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Whistleblower, Presse und Staat – einst und jetzt

| Leonie Felix

Vor 50 Jahren – am 7.2.1963 – kam der Chefredakteur und Herausgeber des „Spiegel“, Rudolf Augstein, nach 103 Tagen Haft aus dem Gefängnis frei. Die Bundesregierung unter Konrad Adenauer und Franz-Josef Strauß war mit dem Versuch gescheitert, durch Instrumentalisierung der Justiz ein unabhängiges und unbequemes Presseorgan mundtot zu machen. „Der Spiegel“ hatte zuvor darüber berichtet, dass die Bundeswehr nach Ansicht der NATO nur „bedingt abwehrbereit“ sei. Diese Enthüllung erschien der Bundesregierung als „Landesverrat“. Die Redaktionsräume der Hamburger Wochenzeitung waren wochenlang durch die Polizei besetzt. Aufgrund dieses prädemokratischen Verhaltens kam es in der BRD zu einer Solidarisierungswelle der kritischen Öffentlichkeit. Franz-Josef Strauß musste schließlich als Verteidigungsminister zurücktreten. Die „Spiegel-Affäre“ trug maßgeblich zur relativen Zähmung des Obrigkeitsstaats BRD bei.

Vor 40 Jahren – 1973 – erhielten die „Washington Post“ und ihre zwei Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein den Pulitzer-Preis für „Dienst an der Öffentlichkeit“. Sie hatten maßgeblich zur Aufdeckung der „Watergate-Affäre“ beigetragen, die aus einer Reihe krimineller Akte der US-Regierung von Richard Nixon bestand – am bekanntesten die versuchte Ausspionierung der Parteizentrale der konkurrierenden Demokratischen Partei durch Abhörwanzen des Weißen Hauses. Ein FBI-Whistleblower hatte den Journalisten entscheidende Informationen zugespielt. 1974 musste Richard Nixon aufgrund der Enthüllungen der Regierungskriminalität zurücktreten.

Heute – im Sommer 2013 – hat sich die Welt geändert. Bradley Manning, der viele Kriegsverbrechen der USA in Afghanistan und im Irak publik machte, wird zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt, während die Mörder und Folterknechte, deren Taten er enthüllte, unbehelligt bleiben. Edward Snowden, dem wir die Einsicht verdanken, dass die Stasi überwachungstechnisch ein Kindergeburtstag war, verglichen mit der heutigen Praxis im „freien Westen“, wird von den USA quasi für vogelfrei erklärt. Agenten des britischen Geheimdiensts GCHQ erscheinen in den Räumen der linksliberalen Tageszeitung „The Guardian“ und zwingen die MitarbeiterInnen, Computer-Festplatten zu zerstören. Der „Guardian“ hatte sich an der Verbreitung der von Snowden öffentlich gemachten Informationen über Regierungsverbrechen beteiligt. Weder der für diesen Akt des staatlichen Vandalismus verantwortliche britische Premierminister Cameron, noch der US-Präsident Obama, der die Verwandlung seines Landes in ein Überwachungs-Monstrum auch noch öffentlich verteidigt, scheinen zum Rücktritt genötigt zu werden. Die von Manning geouteten Joystick-Helden, die sich am Totschießen mittelöstlicher Zivilisten aufgeilen, dürfen weiter ihrem Mordhandwerk nachgehen.

Skandale sind offenbar nicht mehr, was sie mal waren. Die Whistleblower – echte Helden, wenn dieses Wort denn überhaupt einen positiven Klang haben soll – riskieren heute nicht nur gnadenlose Verfolgung durch die betroffenen Staaten, sondern auch die Folgenlosigkeit ihres Tuns. Eigentlich wären wir verpflichtet, das zu verhindern!