Es war einmal ein Namibia-Tag. Der wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen 1973 - also vor 40 Jahren - beschlossen und seither jeweils am 26. August begangen. An diesem Tag fanden 1966 die ersten militärischen Scharmützel zwischen Guerrilleros der Befreiungsbewegung Swapo und der südafrikanischen Armee in Omugulugwombashe statt. Deren Verlauf war wenig heldenhaft, aber das ist hier wie auch anderswo in der patriotischen Geschichtsschreibung nicht so wichtig - diese hält von Fakten nicht allzu viel, und offizielle Geschichte schreibt die Geschichte derjenigen, die an der Macht sind.
Als dann die Swapo zur Befreiungsbewegung an der Macht avancierte, wurde so auch der Namibia-Tag nicht nur zum offiziellen Feiertag, sondern schon wenige Jahre später in Heldentag umbenannt.
Seinerzeit gab es eine öffentliche Debatte ob des Sinns und Zwecks solcher Namensänderung. Die Regierung war damals bemüht zu betonen, dass die Wahl der Helden allen frei stünde und dies zu keinen exklusiv fest gelegten Heldenfiguren verpflichte. – So mögen sich die Leserinnen und Leser dieses Kommentars dazu ermuntert fühlen, jener zu gedenken, die sie verehren. Eine solche Beliebigkeit verlegt die Deutungshoheit des Heldentums in die persönliche Präferenz. Da dürften sich also recht unterschiedliche Heldenfiguren tummeln.
Im öffentlichen Raum geht es da erheblich restriktiver zu.
Denn die Definitionsmacht liegt – wie anderswo auch – bei den politisch Herrschenden. Man möge sich nur die Abbildungen in der mittlerweile bereits ziemlich ramponierten Heldengedenkstätte am südlichen Rande Windhoeks betrachten. Der dort in überdimensionaler Größe Allmacht suggerierende unbekannte Soldat ist dem Konterfei des pensionierten ersten Staatsoberhauptes auf den neuen Banknoten frappierend ähnlich (siehe Foto).
Zwei weitere Standbilder, die ganz offiziell den Gründungsvater der unabhängigen Republik Namibia ehren werden, sollen bereits der Aufstellung harren. Eines soll in Omugulugwombashe die dortige Gedenkstätte komplettieren. Das andere harrt der Platzierung vor dem neuen Unabhängigkeitsmuseum. Die Statuen wurden von derselben nordkoreanischen Firma geschaffen, die auch die Heldengedenkstätte am Fuße der Auasberge, das neue Staatshaus, das noch immer nicht eröffnete Militärmuseum in Okahandja und das ebenfalls noch der Eröffnung harrende Unabhängigkeitsmuseum zwischen Christuskirche und Alter Feste erbaute.
Der Schutztruppenreiter – ein Held vergangener Tage – musste diesem Monstrum nachkolonialer Architektur weichen und wurde um einige Meter versetzt. Aber es gibt ihn noch. Jetzt wird gerätselt, ob der mehr als Hundertjährige wieder etwas näher gerückt wird und welche anderen Monumente noch zur Umrandung der Kaffeemaschine in Auftrag gegeben werden. Die dann zur Schau gestellte Heldengalerie wird Einsichten in die nachkolonialen Vorbilder eröffnen. Inwieweit diese dem Gedanken der nationalen Versöhnung Respekt erweisen, wird sich dann zeigen.
Allerdings wäre eine ernsthafte nachkoloniale Versöhnung im Sinne der gemeinschaftlichen Nationsbildung vielleicht besser beraten es ganz ohne Heldenverehrung zu probieren. Helden repräsentieren im gesellschaftspolitischen Zusammenhang eigentlich fast immer Macht oder Gegenmacht.
Es geht ja nicht um die unbekannten Helden des Alltags. Es geht um diejenigen, die sich einen Namen gemacht haben – oft auf Kosten anderer oder um den Preis des Verlusts der eigenen Menschlichkeit.
Der Held, der unter Einsatz seines eigenen Lebens vor der Swakopmunder Mole dem Ertrinkenden das Leben rettet, landet nicht auf einem Sockel am Strand oder vor dem Unabhängigkeitsmuseum. Auch die Mutter, die während der Dürre, arbeitslos und ohne jegliche Unterstützung alleine ihre drei kleinen Kinder so gut es nur geht behütet und erzieht, dürfte dort kaum Platz finden – obwohl es Menschen in dieser schwierigen Lage leider allzu viele in diesem Land gibt. Gleiches gilt für die Jugendlichen und Kinder, die als Aids-Waisen ihre noch kleineren Geschwister durch zu bringen versuchen.
Wer Mut und Courage im Überlebenskampf des Alltags zeigt, oft unter großen aber wenig spektakulären persönlichen Opfern, eignet sich meist nicht für das offizielle Heldentum.
Nur Soldaten kommt solches zu. Ihre Anonymität steht für den Opfergestus des nationalen Patriotismus. Das ändert aber nichts daran, dass sie letztlich Gewalt repräsentieren, auch wenn sie oftmals als Opfer von Krieg dargestellt werden. Denn sie zogen eigentlich aus, um selber zu töten, anstatt getötet zu werden.
Die Pazifisten, Fahnenflüchtigen, Kriegsdienstverweigerer und anderen Mutigen, die für ihre Überzeugung bedrängt, drangsaliert, beleidigt, inhaftiert oder gar exekutiert werden, finden nur selten die Anerkennung, die ihnen eigentlich zusteht. Der Tavistock Square im Stadtteil Bloomsbury der Innenstadt Londons, in dessen Parkmitte ein Gandhi-Denkmal noch immer Besucher anzieht und in dessen idyllischem und friedsamem Ambiente Gedenksteine und Tafeln der Gewaltfreiheit die Ehre erweisen, ist ein seltenes und eindrucksvolles Gegenbeispiel. Dass bei der direkt an diesen Park angrenzenden Bushaltestelle der terroristische Bombenanschlag am 7. Juli 2005 mehrere Menschenleben forderte gehört zu den tragischen Momenten, die uns daran erinnern, dass unsere Welt alles andere als friedlich ist.
So ist es auch leider nicht verwunderlich, dass die Helden im „Land der Mutigen“ – wie sie auch in der Nationalhymne Namibias besungen werden – immer Symbolfiguren für die Identifikation mit Macht und Gewalt sind. Sie haben meist mit militärischem Kampf zu tun.
Dabei werden oft aus Revolutionären auch Unterdücker. Gewalt deformiert. Eine sich auf Emanzipation berufende vermeintliche Befreiung verkehrt sich häufig in neue Formen von Unfreiheit. Heldentum wird so zu einer relativen Begrifflichkeit, die genau besehen auch in das Gegenteil von Freiheit und Menschenwürde umschlagen kann. Wir können verfolgen, wie aus den einstigen Helden des Befreiungskampfes Unterdrücker von Demokratie, Menschenrechten, Gerechtigkeit und Emanzipation werden.
Genosse Bob (1) im Nachbarland Zimbabwe gehört dazu. Auch nach 33 Jahren kann er von der Macht nicht lassen, obwohl ihn die Mehrheit der Stimmberechtigten schon vor mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr gewählt hatte. Dass sein auf Terror gestütztes Regime auf Kosten des Volkes geht, schert ihn wenig. Er lässt sich weiter als Held der Befreiung feiern.
Mugabes angolanischer Kollege dos Santos ist sogar schon ein Jahr länger in Amt und Würden. Dabei grenzt es eher an Würdelosigkeit und Schande, dass sein Familienclan dank des Ölreichtums zu den reichsten des Kontinents gehört, während nach Statistiken der UNESCO für Kinder unter fünf Jahren Angola das Land mit den weltweit zweitschlechtesten Überlebenschancen ist. Aus den vermeintlichen Menschenrechtskämpfern sind Herrenmenschen geworden, die sich als Helden feiern lassen.
Von A wie Angola bis Z wie Zimbabwe.
Deren reklamierter Heroenstatus ist allenfalls noch für Stiefellecker unbefleckt. Und für Amtskollegen mit ähnlicher Geschichte. Die wechselseitige Verehrung der Befreiungskämpfer an der Macht zeigt welches Heldenverständnis da geteilt und vermutlich auch gefeiert wird. Es ist keinesfalls Zufall, dass Jacob Zuma und Hifikepunye Pohamba zu den Ersten gehörten, die Robert Mugabe nach seinem Wahlbetrug gratulierten. Des Kaisers neue Kleider lassen grüßen…
Am heutigen Tag brauchen wir uns keine Illusionen darüber zu machen, welches Heldentum den Namibia-Tag ersetzt hat, wessen gedenkt wird und wer wem huldigt. Dass offizielles Heldentum auch anderswo auf unserer Erde meist die Form von ausübender Macht hat ist ein schwacher Trost, sollte aber dennoch nicht vergessen werden. Trotzdem: vielleicht können wir den Tag dazu nutzen, um unsere Gedanken auf ein anderes Heldentum zu verwenden, das im Stillen existiert. Ein wenig Besinnung kann nicht schaden. Nicht nur, aber auch am namibischen Heldentag.
(1) gemeint ist Robert Mugabe
Anm. d. GWR-Red.:
Henning Melber (* 22.08.1950) ist Afrikanist, politischer Aktivist, häufiger GWR-Autor und seit 1974 Mitglied der namibischen Befreiungsbewegung SWAPO. Er hat viele Bücher und Schriften über Probleme und Geschichte Namibias veröffentlicht, ist emeritierter Direktor der schwedischen Dag Hammarskjöld Stiftung und Professor an der Universität von Pretoria. In leicht abgewandelter Form wurde sein obiger Kommentar im August 2013 in Namibia im Deutschen Hörfunk auf NBC ausgestrahlt.