Oury Jalloh, geboren am 2. Juni 1968 in Kabala/Sierra Leone, kam am 7. Januar 2005 durch einen Brand im Keller des Polizeireviers Wolfgangstraße 26 in Dessau (Sachsen-Anhalt) ums Leben. Schon kurz nach dem Tod von Oury Jalloh hatten sich Menschen zusammengeschlossen, die die Selbsttötungsthese von Polizei und Staatsanwaltschaft nicht akzeptieren konnten (die GWR berichtete). Sie beauftragten Rechtsanwält_innen, sammelten Gelder, ließen eine zweite Obduktion auf eigene Kosten durchführen und kämpfen seither als "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh" um die Wahrheit.
Dass sie selbst dabei von der Staatsanwaltschaft und Polizei verfolgt und kriminalisiert wurden, Razzien und Schikanen erleben mussten und einige von ihnen auf Demonstrationen durch Polizeigewalt schwer verletzt wurden, konnte sie nicht zum Schweigen bringen.
Allein durch die Kraft dieser Initiative konnten die ungeheuerlichen Vorgänge auf dem Polizeirevier Dessau-Roßlau benannt und auch international bekannt gemacht werden.
Da die Gerichte die bisherigen Brandgutachten immer sehr eng formuliert vorgegeben hatten (Fragestellung in etwa: „Wie war es möglich, dass Oury Jalloh sich selbst anzünden konnte?“), beschloss die Initiative ein umfassenderes und unabhängiges Brandgutachten erstellen zu lassen.
Sie beauftragte schließlich den Brandsachverständigen und Thermophysiker Maksim Smirnou aus Waterford (Irland), Brandversuche nicht nur zur Brandentstehung sondern vor allem auch zum Brandverlauf durchzuführen und die Ergebnisse mit dem Brandbild in der Dessauer Zelle zu vergleichen.
Ein Polizeivideo, das kurz nach dem Feuer aufgenommen wurde, zeigt den Leichnam von Oury Jalloh, auf dem Rücken liegend bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Die weißen Kacheln der Zelle sind durch schwarzen Ruß dunkel gefärbt – eine Kachel ist geborsten.
Die Fragestellung war also: Was muss geschehen sein, damit ein menschlicher Körper und eine feuerfeste Matratze nach einem Feuer so aussehen, wie auf dem dokumentierten Brandbild der Zelle 5 vom 7. Januar 2005?
In einem Nachbau der Dessauer Zelle wurden Schweinekadaver, die mit T-Shirts und Jeans bekleidet waren, auf einer Matratze mit feuerfester PVC-Hülle positioniert. Dann führte der Sachverständige Smirnou die unterschiedlichen Brandversuche durch.
Um die Selbstanzündungstheorie der Gerichte zu überprüfen, wurde beim ersten Test versucht, die Matratze mit einem Feuerzeug anzuzünden.
Dies gelang erst nach Aufreißen der Matratzenhülle und es entstand ein Schwelbrand im darunter liegenden Schaumstoff. Dieser entwickelte weißen Rauch und farblose bzw. matte Rußablagerungen an den Kacheln. Nach über einer Stunde war weniger als die Hälfte der Matratze verbrannt, eine Verbrennung von Kleidungsstücken entstand nur bei Kontakt mit dem Schwelbrand an den Auflageflächen. Die Oberseite des Schweinekadavers wies keine Verbrennungen auf. Ein Feuerzeug, das unter den Körper gelegt worden war, blieb unbeschädigt und funktionsfähig.
Auch durch die nachfolgenden Versuche (Entfernung der gesamten feuerfesten Oberseite der Matratze, Verwendung von Alkohol, Grill-Anzünder oder Verwendung von 2 Litern Benzin) konnte das Dessauer Brandbild nicht erzeugt werden.
Erst nach Entfernung der ganzen feuerfesten Matratzen-Oberseite und durch die Verwendung von 5 Litern Benzin (Kanister) kam es zu einer explosiven Feuerentwicklung mit „unmittelbarem Durchzünden“ des gesamten Materials („flashover“), die dann – zum Schutz der technischen Gerätschaft nach einer Minute gelöscht werden musste.
Es entstand der benzintypische schwarze Rauch und Kacheln waren unter der Hitzeentwicklung geborsten. Der Schweinekörper wies „umfängliche Hautdurchkohlung“ auf, wie sie auch bei Oury Jalloh vorgefunden worden war.
Das unter den Schweinekörper gelegte Feuerzeug blieb in Form und Farbe erhalten – ganz im Gegensatz zu dem Feuerzeug, das nach dem Brand in der Dessauer Zelle „gefunden“ wurde, bei dem der gesamte Plastikanteil zu schwarzer Masse verschmolzen war. Dieses verbrannte Feuerzeug soll laut Aussagen von Beamten unter dem Leichnam Oury Jallohs gelegen haben.
Die Tatsache, dass bei den Versuchen hohe Konzentrationen von Cyaniden (Blausäure-Verbindungen) ausschließlich bei der Verwendung von Benzin und Grill-Anzünder auftraten – nicht jedoch bei den Tests ohne Brandbeschleuniger – könnte die Vermutung unterstützen, dass Benzin benutzt wurde, denn bei Oury Jalloh wurden Cyanide im Körper nachgewiesen.
Der Sachverständige Smirnou kommt zu dem Schluss, dass alle Testergebnisse toxikologisch und pathologisch überprüft werden müssen, um die tatsächliche Ursache des Todes von Oury Jalloh zu klären.
Indizien und Beweise
Auf der Pressekonferenz am 12. November 2013 in Berlin, auf der die Oury-Jalloh-Initiative dieses Brandgutachten vorstellte, wurden weitere Widersprüche und Ungereimtheiten benannt.
Die Aussage eines vom Magdeburger Landgericht beauftragten Brandsachverständigen, der annimmt, dass der Brand-Ausbruchsort im Bereich einer geplatzten Wandfliese in der Nähe der rechten Handfessel lag, ist fragwürdig. Wenn das Feuer dort entstanden wäre und der Gefangene an einem inhalatorischen Hitzeschock gestorben ist, also die heiße Luft eingeatmet haben muss, dann hätte er – aufgrund der durch die Hitze verursachten Schmerzen – gebeugt seitlich liegen müssen.
Menschen, die einem Hitzeschock erliegen, sterben in der momentanen Körperhaltung und diese verändert sich danach auch nicht mehr. Da der Leichnam aber auf dem Rücken liegend aufgefunden wurde, war Oury Jalloh entweder nicht bei Bewusstsein, dann kann er sich nicht selbst entzündet haben – oder das Feuer ist von allen Seiten explosionsartig entstanden.
Im Leichnam wurde das Hormon Noradrenalin nicht nachgewiesen, das innerhalb weniger Sekunden in Streßsituationen im Urin gemessen werden kann. Es stellt sich erneut die Frage, ob Oury Jalloh überhaupt bei Bewusstsein war.
Das von der Polizei präsentierte verkohlte Feuerzeug, mit dem sich der Gefangene angezündet haben soll, weist weder DNA-Spuren von ihm noch Faserspuren von seiner Kleidung auf. Stattdessen hafteten dem Feuerzeug große Mengen von Faserresten an, deren Herkunft nicht geklärt wurde, weil das Magdeburger Gericht weitere Analysen ablehnte.
Da also ausgeschlossen werden kann, dass das Feuerzeug jemals in Kontakt mit Oury Jalloh oder der Matratze war, kann die Hypothese der Selbstentzündung nicht mehr aufrechterhalten werden, da hierfür ein nachvollziehbares Tatwerkzeug fehlt.
Das vollständige Video, das das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt am Brandort aufnehmen ließ, ist verschwunden oder gelöscht. Die Aufnahmen brechen nach ca. 4 Minuten aus sich widersprechenden Begründungen ab. Das Video hätte zeigen können, ob sich tatsächlich ein Feuerzeug unter dem Körper des Toten befand.
Das Fahrtenbuch zweier Polizei-Beamter ist verschwunden, wodurch nicht mehr geklärt werden kann, was die beiden in der Zeit zwischen der Festnahme und dem Brandausbruch gemacht haben.
Das elektronische Festnahmeprotokoll zu Oury Jalloh ist – offensichtlich per Hand – gelöscht worden.
Die rechte Handfessel wurde zwei Wochen nach dem Brand auf Anordnung des Verwaltungsleiters vom Hausmeister des Reviers widerrechtlich mit einem Bolzenschneider von der Wand gelöst und entsorgt.
Ein am Hinterkopf des Toten gesichertes 8 cm großes Stoffstück wurde zwar der Gerichtsmedizin übergeben, taucht aber in der Asservaten-Liste nicht auf.
Ein Gesprächsvermerk, den ein Dessauer Kriminalbeamter über ein erstes Gespräch mit Kollegen aus Stendal am Todestag anfertigte und seinem Vorgesetzten übergab, ist verschwunden. Der Inhalt des Gespräches war, dass dem Innenministerium bekannt war, dass die Polizeibeamten in Dessau „mit Ausländern hart umgehen“.
Die Liste aller Beamten, die sich am Brandort aufgehalten hatten, ist verschwunden. Fotos, die durch Beamte des Reviers am Todestag gemacht wurden, sind verschwunden.
Das Landeskriminalamt (LKA) hatte bei der Tatort- und Spurensicherung keinen Brandsachverständigen hinzugezogen und ließ den Ort auch nicht auf Brandbeschleuniger untersuchen.
Obwohl es im LKA-Bericht vom 10. Januar 2005 heißt, dass der gesamte Brandschutt gesichert worden sei, wurden lediglich vier Tüten mit Brandschutt asserviert und nur zwei davon auf Brandbeschleuniger untersucht. Zudem wurde durch Zeugenaussagen vor Gericht deutlich, dass diese Aluminiumtüten wieder geöffnet wurden, so dass der Nachweis eines möglichen Brandbeschleunigers gar nicht möglich war. Rußablagerungen von den Wänden der Zelle wurden gar nicht erst mitgenommen.
Diese massenhaften Manipulationen an den Beweismitteln, die gravierenden Ermittlungsfehler und Unterlassungen und die vielen Widersprüche bei den Aussagen der Beamt_innen veranlassten die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ und einige Einzelpersonen dazu, am 12. November 2013 eine Strafanzeige wegen Totschlag oder Mord gegen unbekannte Polizeibeamte im Todesfall Oury Jalloh beim Generalbundesanwalt Harald Range zu stellen.
In der Begründung heißt es unter anderem: „Wir wenden uns … an Sie, weil es sich im vorliegenden Fall um eine besonders schwere Straftat mit Bezug zur inneren Sicherheit und Verfasstheit der Bundesrepublik Deutschland handelt, da die zu ermittelnden Täter notwendigerweise exekutive Amtsträger des Bundeslandes Sachsen-Anhalt sein müssen.“
Weitere Infos
www.ari-berlin.org/doku/titel.htm
Spenden
Spendenkonto für das Brandgutachten, für weitere medizinische und toxikologische Untersuchungen, zur Deckung von Gerichts- und Anwaltskosten und zur Finanzierung der anstehenden Aktionen:
Initiative in Gedenken an Oury Jalloh e.V.
Bank für Sozialwirtschaft
Kontonummer: 1233 601
BLZ: 100 205 00
http://initiativeouryjalloh.wordpress.com/
Spenden bis 2000 Euro, die vom 12.11.2013 bis 12.2.2014 auf dem Konto eingehen, werden von der Bethe Stiftung verdoppelt!