editorial

Goethe und die Graswurzelrevolution

Das "Buch des Jahres" und ein Beitrag des Goetheinstituts für die Anarchie

| Bernd Drücke (GWR-Koordinationsredakteur)

Titelseite Gwr 385

Liebe Leserinnen und Leser,

einmal im Jahr verleiht die „Bibliothek der Freien“ einer neu erschienenen Publikation die Auszeichnung „Buch des Jahres“. (1) Damit soll „auf exzellente (vor allem deutschsprachige) Publikationen zu einem anarchistischen Thema aufmerksam gemacht werden (…). Zu den Beurteilungs-Kriterien gehören die wesentliche Vermehrung des Wissensstands zum jeweiligen Themenkomplex, sorgfältige Ausführung in Druck und Layout sowie besondere Recherchequalität, Originalität und Internationalität, wodurch der Publikation insgesamt bleibender Wert zukommt. Die Auflagenhöhe spielt für die Prämierung keine Rolle“, so die libertären BibliothekarInnen aus Berlin. Die Auszeichnung „Buch des Jahres“ ist ein ideeller Preis. Diesmal wurde er an den im Oktober 2013 im Verlag Graswurzelrevolution erschienenen 425-Seiten-Wälzer „Deutsche AntifaschistInnen in Barcelona (1933-1939). Die Gruppe ‚Deutsche Anarchosyndikalisten‘ (DAS)“ von Dieter Nelles, Ulrich Linse, Harald Piotrowski und Carlos García verliehen. (2)

Wunderbar!

Erfreulich ist auch die Resonanz auf die GWR 384. Für Diskussionen hat beispielsweise Kerstin Wilhelms GWR 384-Artikel „Prostitution zwischen Arbeit und Missbrauch“ gesorgt. So schrieb z.B. Elke Steven in ihrer „Bewegungskolumne“ im Neuen Deutschland vom 11.12.2013: „…Wer .. jede Migration als Armutsmigration verteufelt, die Wege verbaut, auf legalem Weg die Grenzen zu überschreiten; wer legale Arbeitsmöglichkeiten verhindert und auch in anderen Bereichen die Ausbeutung von Menschen unter menschenunwürdigen Verhältnissen duldet, meint es nicht ehrlich mit dem Einsatz für die Menschenrechte der Prostituierten. Kerstin Wilhelms schreibt in der ‚graswurzelrevolution‘ Nr. 384: ‚Nicht die Kriminalisierung von KonsumentInnen und ArbeiterInnen ist nötig, sondern die von Profiteuren und Ausbeutern, die eine Selbstverwirklichung in der Prostitution – und dazu gehört auch ein Ausstieg aus der Prostitution – verhindern.‘ Demokratie und Menschenrechte werden nicht durch Restriktionen, Verbote, Strafen gewährleistet, sondern durch Schutzmechanismen, die Freiheiten ermöglichen und auch Abweichungen von der Norm zulassen. Die Verteufelung der Prostitution ist moralinsauer…“

Die in der GWR 384 angefangene Diskussion wird in den nächsten Ausgaben fortgesetzt. Wenn Ihr Euch beteiligen wollt, nur zu! Das würde uns freuen.

Einige Artikel, die bei uns angekommen sind, haben trotz der Aufstockung auf 24 Seiten diesmal noch nicht den Weg ins Blatt gefunden. Auch einen Text zu den aktuellen Entwicklungen in der Ukraine, der uns kurz vor Drucklegung erreichte, können wir Euch erst in der nächsten Ausgabe präsentieren. 20 Jahre zaptistischer Aufstand, Antimilitarismus, Anarchie, Mandela,… die Euch vorliegende GWR 385 bietet genug spannenden Stoff, um die Zeit bis dahin zu überbrücken.

Und wenn Ihr zwischendurch, bei all den ernsten Themen, mal herzlich lachen möchtet, dann surft doch auf der Seite des Goetheinstituts. Dort gibt es „Ein Ticket nach Berlin“ als „Angebot zum Deutschlernen“: „Auf ihrer Reise quer durch Deutschland müssen sechs junge Deutschlerner aus aller Welt spannende Herausforderungen bestehen. … Die Website von ‚Ticket nach Berlin‘ bietet die Möglichkeit, die sechs jungen Deutschlerner … zu begleiten … Zu jeder Folge gibt es viele interaktive Übungen zu Hör- und Leseverstehen, Grammatik oder Wortschatz, mit denen ihr euer Deutsch üben und verbessern könnt. In der Community berichten die Kandidaten von ihren Erfahrungen bei ‚Ticket nach Berlin‘, und ihr habt die Möglichkeit, alle sechs etwas besser kennenzulernen. Für einen abwechslungsreichen Deutschunterricht ab dem Niveau B1 werden zu jeder Folge Arbeitsblätter und Handreichungen für Lehrkräfte zum Download angeboten. Bis Anfang 2014 wird jeden Donnerstag eine neue Folge von ‚Ticket nach Berlin‘ veröffentlicht.“

In Folge 11 ist zu sehen wie „Team Nord“ das selbstverwaltete Wohnprojekt Breul/Tibusstraße in Münster besucht und dort eine Graswurzelrevolution-Seite produziert. (3) Dazu das Goetheinstitut: „Team Nord sieht in Münster, dass es in Deutschland sehr unterschiedliche Formen gibt in einem Haus zusammenzuwohnen. … Vielleicht können sie in dieser Folge lernen, wie man ohne Konflikte zusammenlebt.“

Skurril, aber amüsant. Während das Innenministerium die Graswurzelrevolution seit 1972 immer wieder in den „Verfassungsschutzberichten“ als „linksextrem“ diffamiert, nutzen die zum Außenministerium gehörenden Goetheinstitute diese anarchistische Zeitung, um Menschen aus aller Welt Deutsch beizubringen und Deutschland als weltoffen darzustellen. Das ist Dialektik. Über die indirekte Werbung und das GWR-freundliche Video (4) haben wir uns gefreut. Es darf zudem vermutet werden, dass die Graswurzelrevolution auch dem „Großdichter“ und Namensgeber des Goetheinstituts gefallen hätte. Schließlich hat Goethe schon 1821 in den „Zahmen Xenien“ folgendes gedichtet: „Warum mir aber in neuester Welt / Anarchie gar so gut gefällt ? – / Ein jeder lebt nach seinem Sinn, / Das ist nun also auch mein Gewinn. / Ich lass einem jeden sein Bestreben, / Um auch nach meinem Sinne zu leben.“

In diesem Sinne wünsche ich Euch einen guten Rutsch, schöne Feiertage und ein tolles Jahr 2014,