Jacques Tardi: ICH RENÉ TARDI, KRIEGSGEFANGENER IM STALAG IIB, Edition Moderne, Zürich 2013, 200 Seiten, farbig, 22 x 30 cm, Hardcover, 49 SFr / 35 Euro, ISBN 978-3-03731-112-7
Der Anarchosyndikalist und Antimilitarist Jacques Tardi (*1946) ist einer der ganz Großen der französischen Comicszene.
In seinem Œuvre nimmt die intensive Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg (z.B. „Elender Krieg“) eine zentrale Rolle ein, neben adaptieren Kriminalgeschichten aus der Feder von Léo Malet, einem Zyklus über die Pariser Kommune („Die Macht des Volkes) u.v.m.
Mit seinem neuesten Werk „ICH, RENÉ TARDI, KRIEGSGEFANGENER IIB“ beschäftigt sich Tardi nun erstmals auch mit dem Zweiten Weltkrieg – erzählt durch die Augen seines Vaters René.
René Tardi war nach eigenem Bekunden ein euphorischer Idealist, bevor er in den Krieg zog. Wie wurde aus ihm ein verbitterter, immer zu wütender Mensch, fragte sich auch der Zeichner, als er den Vater bat, seine Geschichte aufzuschreiben. Drei Schulhefte, gefüllt mit Erinnerungen an Krieg und Gefangenschaft, bekommt der Sohn ausgehändigt. Doch dieser zögert mit der Umsetzung der Geschichte in Comicform. Erst nach dem Tod des Vaters beginnt er mit der Arbeit und bedauert, die eine oder andere Frage nicht mehr stellen zu können.
Tardis Vater meldete sich freiwillig zur Armee. 1940 zieht er als Panzerführer in den Krieg gegen Deutschland.
„Unschlagbar“ seien sie, wird den jungen Männern eingebläut und lange glauben sie daran. Bis die Nazis Paris überrollen. „Invincible“, also „Unbesiegbar“ prankt auf einem der zerschossenen, französischen Panzer, die in Tardis graphic novel abgebildet sind. Sinnbild für den Hochmut und das Verderben.
Immerzu schimpft René Tardi – auf den eigenen Staat, der sie schlecht vorbereitet in diesen Krieg geschickt hat, auf die Deutschen, die all diese Verbrechen begehen, auf den Krieg, auf den Hunger und auf die Kälte.
Nach einem Jahr Kriegsbeteiligung kommt der Vater in deutsche Gefangenschaft. Zunächst in ein Zwischenlager nach Trier, später in das Lager Stalag IIB, in Pommern, im heutigen Polen. Neben kurzzeitigen Arbeitseinsätzen herrscht hier vorrangig die Monotonie und immer wieder Hunger, Hunger, Hunger. „Es wurde immerzu nur über Fressen geredet“, erzählt Tardi senior. Insgesamt bleibt René Tardi vier Jahre in Gefangenschaft.
Lässt sich eine solche Geschichte als Comic erzählen? Ja, und das vielleicht besser, als es ein anderes Medium hätte tun können. In den Schulheften des Vaters sind immer wieder kleine Zeichnungen zu finden. Da, wo die Worte des Vaters versagten, griff auch er zum Bild. Das gleiche gilt für den Comic. Das Bild vermag nicht selten über das Wort hinauszugehen und eindringlicher zu erzählen, was das Wort schon nicht mehr beschreiben kann.
Für gewöhnlich zeichnet Tardi in schwarz und weiß. Um das zu erzählen, was er erzählen möchte, braucht er keine Farbe. Wenn in dem einen oder anderen seiner Comics doch mal Farbe auftauchen sollte, so Tardi, würde der Verleger dahinter stecken, der meinte, in der Farbe ein weiteres Verkaufsargument gefunden zu haben.
Bei „Stalag IIB“ ist es etwas anderes, wie Tardi betont. Hier ist die Kolorierung von seiner Tochter Rachel vorgenommen worden. Allerdings verlässt sie den Pfad ihres Vaters nicht.
Den zuweilen düsteren Zeichnungen von Tardi fügt sie trostlose Grautöne hinzu, hier und da lediglich akzentuiert durch das Blutrot der Hakenkreuzfahnen.
Jacques Tardi ist mit seinem bisher persönlichsten Werk „ICH, RENÉ TARDI, KRIEGSGEFANGENER IIB“ eine großartige graphic novel gelungen. Wieder einmal.