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Stellungnahme der Red. Graswurzelrevolution

zum Artikel "Gift und Galle" von "einigen FreundInnen des wendländischen Widerstands" in aaa 78, S.50

| Redaktion Graswurzelrevolution

TODOIn der aaa 78 spucken „einige FreundInnen des wendländischen Widerstands“ Gift und Galle auf Jochen Stay, langjähriger Redakteur der Graswurzelrevolution. Da mit dieser Spuckerei Jochen demontiert aber die gesamte Graswurzelbewegung getroffen werden soll, sehen wir uns gezwungen, dazu Stellung zu beziehen.

Die FreundInnen des wendländischen Widerstands werfen zwar Jochen unsauberes Zitieren vor, ihnen selbst passiert aber schon in der Einleitung ihres Beitrages der erste faux-pas: „Wie würde es wohl einem Hannes Kempmann, ehemaliger Pressesprecher der BI Lüchow-Dannenberg, angesichts eines Jochen Stay ergehen, der dereinst offen der Atommafia mit nordirischen Verhältnissen drohte …“, fragen sie einleitend und suggerieren dabei so ganz nebenbei, nicht Hannes Kempmann, sondern Jochen Stay habe mit „nordirischen Verhältnissen“ gedroht. Mitnichten, und auch wenn die Unregierbarkeit des Wendlandes (und nicht nur des Wendlandes) sicherlich ein Ziel graswurzelrevolutionärer Politik war (und ist), so dachte dabei weder Jochen noch sonst jemand in der GWR-Redaktion jemals an „nordirische Verhältnisse“, die vom Ziel einer „gewaltfreien, herrschaftslosen Gesellschaft“ (Untertitel der GWR) wohl genauso weit entfernt sind wie die „teutschen Zustände“.

Es ist im übrigen nicht gerade ein Beitrag zur solidarischen Diskussion von Seiten der Redaktion der aaa, wenn sie es zuläßt, ihren viele Jahre solidarischen und überaus produktiven Mitarbeiter und Autor auf diesem persönlichen Niveau in die Pfanne zu hauen. Wenn der Artikel schon abgedruckt wird, hätte es der aaa-Redaktion gut zu Gesicht gestanden, den Beitrag ihrem langjährigen Autor wenigstens vorab zuzusenden und ihm die Möglichkeit zur Replik in der gleichen Ausgabe zu geben. In ‘Gift und Galle’ wird Jochen von interessierter Seite als Zielscheibe genommen, um dadurch bestimmte gewaltfreie Ansätze als spalterisch und sich anbiedernd, deren VertreterInnen als bestenfalls naive Büttel des Verfassungsschutzes aus dem Widerstand auszugrenzen. Es ist eine bequeme Position, sich auf die Forderung nach „uneingeschränkter Solidarität“ zurückzuziehen und gleichzeitig Denunziation zu suggerieren: „Schwerer indes wirkt seine offen denunziatorische Haltung, indem er praktisch mit dem Finger auf jene weist, die ‘offen Militanz propagieren und auch agieren’. Von diesem ‘seht her, es sind doch die anderen’ bis zum Äußern von vermeintlich konkreten Vermutungen ist es nur ein sehr kleiner Schritt.“ (aaa 78) Soll da Jochen etwa unterstellt werden, er würde Informationen an den Staatsapparat weitergeben? Wie absurd soll es denn noch werden? Eine Auseinandersetzung mit solchen Unterstellungen erübrigt sich.

In GWR 215 hat sich Jochen u.a. mit dem Verfassungsschutzbericht zu „linksextremistischen und militanten Bestrebungen im Rahmen des Anti-Castor-Widerstands“ auseinandergesetzt und diesen politisch analysiert. Er macht deutlich, daß der VS-Bericht gezielt versucht, gewaltfreien Widerstand als ‘gewaltsam’ bzw. ‘militant’ zu diffamieren und so die Grundlage für ein härteres Vorgehen der Staatsgewalt zu liefern. „Es ist doch offensichtlich: Je deutlicher es Regierenden und gewissen Teilen der Presse im Vorfeld gelingt, den Castor- Widerstand pauschal als gewalttätig abzuqualifizieren, um so mehr Polizeigewalt wird die Öffentlichkeit widerspruchslos hinnehmen.“ (GWR 215)

Es ist schlicht eine interessegeleitete Interpretation, daraus einen „wichtigtuerischen Aufschrei, ihr trefft die Falschen“ (aaa 78) zu machen, und gegen Ende einzufordern, daß „politisch mit diesem Bericht umgegangen wird“ (aaa 78). Wenn dann genau dieser politische Umgang zu einem Ergebnis führt, das nicht dem eigenen (Kurz-)Schluß folgt, so wird dieses als „sich anzubiedern und so zum Spielball jener staatlichen Kräfte zu werden, denen nichts wichtiger ist, als den Widerstand gegen den Castor und damit den neu aufkeimenden Protest gegen das Atomprogramm zu zerschlagen“ (aaa 78) diffamiert. Eine politische Auseinandersetzung mit gewaltfreien Konzepten des Widerstandes findet dagegen nicht statt!

Dabei hat der Tag X3 gezeigt, daß es gerade diese gewaltfreien Strategien waren, die sich als erfolgreich erwiesen haben. Die Konzeption, mittels einer eindeutigen gewaltfreien Sitzblockade „vielen Unerfahrenen oder Ängstlichen die Möglichkeit der Teilnahme am Castor-Widerstand“ (GWR 215) zu eröffnen hat sich ausgezahlt und schließlich zu der größten Aktion Zivilen Ungehorsams in der Geschichte der BRD geführt. „X-tausendmal quer“ hat es geschafft, nicht beim Lippenbekenntnis stehen zu bleiben, daß es uns darum geht, viele Menschen am Widerstand zu beteiligen und in die Aktionen einzubeziehen, sondern hat diese Menschen mit ihren Ängsten ernst genommen und so gerade zu einer erheblichen Verbreiterung des Widerstandes ohne „Anbiederung“ und „dem Staat auf den Leim (zu) gehen“ (aaa 78) beigetragen. Der ‘starre’ Aktionsrahmen, der die für die einen notwendige Sicherheit schafft, schränkt natürlich die Spontanität der anderen ein. Das ist und bleibt ein schwieriger Balanceakt, mit dem konstruktiv umzugehen ist, und da kann in Zukunft bestimmt einiges besser ‘ausbalanciert’ werden. Aber völlig an der Realität vorbei geht eine Einschätzung wie in der interim vom 20. März, wenn „X-tausendmal quer“ zu einem „Synonym für Entpolitisierung und grüne WählerInnenschaft“ gemacht und in Widerspruch zu Gewaltfreien, „deren gewaltfreier Widerstand weiterhin phantasievoll, unberechenbar und effektiv sein soll“ (interim, 20.3.97) gestellt wird. Das gipfelt dann in folgenden Äußerungen: „‘X-1000mal quer’ war für die Atomindustrie so ‘gefährlich’, wie die niedersächsische Landesregierung. Die Bullen und die Atomlobby hatten keinen Grund, sich zu ängstigen. Alles war abgesprochen. Wir sitzen hier ‘ne Weile für die Presse und ihr räumt uns dann friedlich ab. Dafür sorgen wir, daß es keine häßlichen Bilder am Verladekran gibt und distanzieren uns von GewalttäterInnen. Etwas besseres hätte den Bullen nicht passieren können. … Wenn aber das, was X-1000mal Quer praktiziert hat, Graswurzellinie ist, dann hat sich diese Bewegung vom Widerstand verabschiedet und bewegt sich zum Helfer der Inszenierung eines konservativen Gewaltmonopolbegriffs.“ (interim, 20.3.97) Auch wenn die ‘FreundInnen des wendländischen Widerstands’ das so in ihrem Beitrag nicht formulieren, so geht ihr Angriff in der Tendenz in die gleiche Richtung.

Wir sehen das bei „X-tausendmal“ zum Ausdruck gekommene Konzept als ein mögliches von vielen, vielfältigen und unterschiedlichen Ansätzen, Konzepten und Formen gewaltfreier Aktion. Wir sehen als GraswurzelrevolutionärInnen auch nach den Aktionen beim letzten Transport überhaupt keinen Anlaß, uns davon zu distanzieren. Und wir wissen, daß sich die InitiatorInnen für „X-tausenmal quer“ eingesetzt haben, nicht etwa weil sie andere direkte Aktionen wie Sabotage, Straßenunterhöhlungen, Barrikaden usw. ablehnen, sondern weil nach politischer Einschätzung der Gesamtsituation für die vielen Neuen und Unorganisierten ein solches Konzept einer Massenblockade das Sinnvollste erschien und sich zudem mit anderen Aktionsformen im Streckenkonzept ergänzen konnte.

Daß „X-tausendmal quer“ durchaus gefährlich (allerdings nicht im Sinne einer physischen Gefährdung) war für die Polizei und die Atomindustrie zeigte der Ablauf selbst. Allein die Masse der 9.000 BlockiererInnen zeigten der Polizei die Unmöglichkeit, hier „verhältnismäßig“ vorgehen zu können. Daß die Versuche „friedlich abzuräumen“ schnell scheiterten, und dann eben doch Wasserwerfer und Gummiknüppel eingesetzt wurden, dürfte hinlänglich bekannt sein. Daß dabei immer noch nicht so brutal vorgegangen werden konnte, wie dies sicherlich gegenüber militanten Aktionen häufig geschieht, ist eine der Stärken gewaltfreier Aktion. Abgesprochen war bei dem ganzen gar nichts, auch wenn die Polizei das gerne gehabt hätte und am Tag vor der Räumung den Kontakt zu „X-tausendmal quer“ gesucht hat. Auch das ein Zeichen unserer Stärke. Ebenso absurd ist der Vorwurf der Distanzierungen: „Deshalb ist es so wichtig, daß die Kampagne in öffentlichen Äußerungen immer wieder klarmacht, daß es genauso gewaltfrei ist, wenn die Bäuerliche Notgemeinschaft mit ihren Treckern auf die Strecke geht, die Gorlebenfrauen Schmierseife auskippen, Leute damit anfangen, öffentlich die Straße abzubauen oder irgendwo spontane Sitzblockaden ohne vorherige Selbstverpflichtung und Übereinkunft stattfinden.“ (Interview mit Jochen in GWR 216)

„X-tausendmal quer“ hat sich von Anfang an als der Teil des Wendland-Widerstandes verstanden, der sich darauf konzentriert, durch eine deutliche Begrenzung der Aktionsformen an einem bestimmten Ort die Hemmschwelle für die Beteiligung möglichst vieler möglichst niedrig zu hängen: „Wichtig ist, daß es Orte gibt, an denen Leute sicher sein können, daß ihnen niemand die Straße unterm Hintern weggräbt, wenn sie das nicht wollen.“ (GWR 216) Wer daraus Distanzierung und Ausgrenzung bestimmter Aktionsformen konstruiert, hat das Streckenkonzept des Widerstandes nicht kapiert oder sich im Nachhinein davon verabschiedet – das sollte er/sie dann aber auch öffentlich so erklären.

„X-tausendmal quer“ war alles andere als eine „Entpolitisierung“ des Widerstandes. Tausende haben sich im Rahmen der Aktion in Bezugsgruppen organisiert und sich somit an den Diskussionen und Entscheidungsprozessen im Rahmen der Aktion beteiligt. Ein größeres politisches Bildungsprogramm in Sachen herrschaftsfreier Entscheidungsstrukturen, Konsensfindung und eigenverantwortlichem Handeln hat es wohl bisher nicht gegeben. Die Kritik an autonomen Entscheidungsstrukturen in den Camps (z.B. in Quickborn), wo gerade das nicht stattfand, sparen wir uns hier.

Die Entwicklung bei den drei Castor-Transporten hat eine ungeheure Dynamik des Widerstandes gezeigt, die gerade auch von der Vielfalt der Aktionsformen lebte. „X-tausendmal quer“ war dabei einer der gewaltfreien Aktionsansätze, und der Erfolg hat bestätigt, daß ein solches Konzept der Massenblockade ein wichtiger Bestandteil des Widerstandes sein sollte. Es geht daher darum, die Diskussionen über Strategien im Hinblick auf den nächsten Castor-Transport (eventuell auch nach Ahaus) nicht destruktiv zu führen, sondern unter Berücksichtigung der Vielfalt durch konstruktive Kritik – auch an „X-tausendmal quer“ – weiterzuentwickeln. Wir sollten die entstandene Dynamik nicht durch bewegungsinterne Streitereien brechen, sondern ausweiten. Das Streckenkonzept – und als ein Bestandteil „X-tausendmal quer“ – war dabei ein erfolgreicher Ansatz, den es weiterzuentwickeln gilt.