Die Produkte der Traumfabrik Hollywood waren noch nie bekannt dafür, die gesellschaftlichen Verhältnisse, aus denen sie geboren werden, zu hinterfragen. Meist besteht ihre Affirmation des Bestehenden jedoch darin, das Politische als Gegebenheit darzustellen, ohne es zu diskutieren und so eine falsche Unveränderbarkeit vorzugaukeln. (2) Neben dieser subtilen Affirmation gibt es jedoch immer wieder auch klassisch propagandistische Machwerke. Gleich zwei davon sind seit Ende März / Anfang April 2014 in den Kinos zu sehen.
Dabei handelt es sich um den Bibel-Blockbuster Noah und die „Extase aus Blut und Stahl“ (3) 300: Rise of an Empire, dem zweiten Teil des Welterfolgs 300 (und deshalb im Weiteren der Einfachheit halber 302 genannt). Beide können als ein mehr oder weniger direktes sozialdarwinistisches Plädoyer für die völlige Vernichtung bestimmter Menschengruppen verstanden werden.
Während bei 302 in loser Anlehnung an die Schlachten von Artemision und Salamis Horden von Perser für „Freiheit!“ und „Demokratie!“ massakriert werden, geht es in Noah gleich der gesamten sündigen Menschheit an den Kragen.
„Extase aus Blut und Stahl“
Kernelement von 302 ist, wie beim Vorgänger, eine scheinbar bei Leni Riefenstahl abgeschaute Ästhetik von halbnackten männlichen Körpern, deren stählerne Muskeln sich in Zeitlupe wieder und wieder anspannen, um Horden von gesichtslosen Persern unter plastischen Blutfontänen niederzumetzeln. Im ersten Teil wurden die Perser noch fast gänzlich als entweder körperlich entstellt oder homosexuell dargestellt (da hat ein Befehlshaber schon mal Krebsscheren statt Händen) und gleichen insgesamt eher den Orks aus Der Herr der Ringe als Menschen.
In 302 besteht ihre Verfehlung dagegen eher darin, irgendwie undemokratisch zu sein, was spätestens dann absurd wirkt, wenn die griechischen Senatoren als alte Weichlinge dargestellt werden, deren einzige Funktion darin besteht, die Kriegsführung zu behindern.
Der ungleich heldenhaftere Charakter der Soldaten wird schon allein durch ihre Anabolikamuskeln unterstrichen, die aufgrund der Tatsache, dass die Soldaten statt eines Panzers nur Unterhosen tragen, den Hauptinhalt der Bilder ausmachen. Der Film lässt keinerlei Zweifel darüber, wie die Griechen zu einem solchen Volk von Hühnen geworden sind: Durch Drill und Selektion. Schon im ersten Teil wird gezeigt, wie die Spartiaten Kinder, die krank oder nicht stark genug sind, einfach auf einem riesigen Müllhaufen entsorgen. Auch im zweiten Teil wird den Griechen, die nicht zu perfekten Killermaschinen taugen, nur Verachtung entgegengebracht.
Bei Noah bekommen die Kategorien von Gut und Böse ebenfalls eine biologische Komponente. So erklärt Regisseur und Autor Aronofski die Aufteilung der Menschheit in Sünder_innen und Gläubige durch einen generationenübergreifenden Konflikt zwischen zwei „Stämmen“. Auf der einen Seite der „Stamm Kains“, also der Nachfahren des ersten Sohnes von Adam und Eva, der seinen Bruder erschlug. Dieser hat offenbar die Sünde im Blut, was alle seine Angehörigen zu gottlosen vernichtungswürdigen Barbaren macht. Auf der anderen Seite stehen die unschuldigen Nachfahren Sets, also des dritten Sohnes von Adam und Eva, die kurioserweise als eine Art esoterische Sekte dargestellt werden, die sich vegan ernährt und fortwährend „die Welt heilen“ will.
Das freilich drückt sich in der völligen Vernichtung allen schuldigen Lebens aus, mit dem Ziel, durch die Reduktion der Menschheit auf deren beste Vertreter_innen (Noah und seine Familie, plus einige Tiere) eine neue, reine Aufzucht zu beginnen.
Die Angst vor dem Weiblichen
Als Vollstrecker dieses göttlichen Plans wird Noah auserwählt, der fortan besessen von der Auslöschung der Menschheit ist – und das vor allem an den Frauen auslässt. Während in der Bibel davon gesprochen wird, dass auch die Frauen von Noahs Söhnen überleben sollen, wird im Film nur eine, Ila, auserwählt, und zwar weil sie scheinbar unfruchtbar ist. Als Ila gegen Ende des Films unerwartet Zwillinge gebiert, will Noah sie umbringen. Seinen Sohn Ham zwingt er dazu, seine Freundin dem Tod zu überlassen.
Trotz der nicht ganz bibelgetreuen Umsetzung zeigt sich darin ein Motiv, das auch schon in der biblischen Noah-Geschichte angelegt ist: Die Zuschreibung allen Übels auf die Sexualität von Frauen. So beginnt in der Bibel der moralische Verfall der Menschheit damit, dass sich „die Gottessöhne mit den Menschentöchtern eingelassen hatten“ (Gen. 6,4).
Dieses Motiv nimmt auch in 302 eine zentrale Stellung ein. Dort wird die Flottenkommandantin Artemisia (historisch die Fürstin von Halikarnassos) als geheime Macht hinter dem Perserkönig Xerxes eingeführt, der schon im ersten Teil als Bösewicht fungierte. Eva Green stellt Artemisia als eine Art Domina dar, deren Gefährlichkeit hauptsächlich aus ihrer Sexualität besteht. Mit Sätzen wie: „Ich kenne jeden einzelnen Mann unter meiner Peitsche“, verkörpert sie eine abstrakte männliche Angst vor einem Matriarchat, die nur durch ihre Vergewaltigung (in der Mitte des Films) und ihre Hinrichtung (am Ende des Films) durch den Helden gebannt werden kann. Sogar letztere wird in sexueller Symbolik inszeniert: Ein letztes Mal versucht sie ihren Gegenspieler Themistokles zu verführen, was in einen sexualisierten Kampf übergeht (Sie leckt sich nach einem Faustschlag ins Gesicht lustvoll das Blut von den Lippen und raunt: „Du kämpfst härter als du fickst.“). Am Ende rammt Themistokles ihr sein Schwert in den Unterleib, das spätestens dann zum Phallussymbol wird, wenn Artemisia einige Male stöhnend darauf hin und her rutscht, um dann vor Themistokles auf die Knie zu sinken.
Themistokles selbst hatte dagegen, wie er Artemisia entgegenhält, „nie Zeit, eine Familie zu gründen. Ich widmete mein Leben der einzigen Liebe meines Lebens, der griechischen Flotte.“ Wie beinahe alle anderen Griechen wird er als das Idealbild eines Mannes als Soldaten inszeniert, der sich durch einen fanatischen Patriotismus, Aufopferung, Muskelkraft und Dominanz auszeichnet. Immer wieder halten die griechischen Feldherren von heroischen Melodien untermalte Ansprachen an ihre Soldaten, wie z.B. „Eines Spartiaten größter Augenblick, die größte Erfüllung bei allem was ihm teuer ist, ist der Augenblick, wenn er sich für den Erhalt unseres Spartas die Seele aus dem Leib geschunden hat und Tod auf dem Schlachtfeld findet.“
Die Ausrottung der Anderen
Vorher sollte er aber selbstverständlich gnadenlos Massen von Anderen niedermetzeln, die als Feinde identifiziert wurden. Und das erstreckt sich keineswegs nur auf die kämpfenden Feinde. So ist der Ausgangspunkt des Filmes, das Versäumnis von Themistokles, den jungen Xerxes gleich mit zu töten, als er dessen Vater erschossen hat. „Themistokles wusste, dass er diesen Knaben hätte töten sollen. Dieser gewaltige Fehler sollte ihn für immer verfolgen“, wird aus dem Off kommentiert.
Dasselbe gilt für Artemisia, die als Kind in griechische Gefangenschaft gerät, dort über Jahre von Soldaten vergewaltigt und dann halbtot auf die Straße geworfen wird. Genau wie Xerxes überlebt sie und schwört Rache. Auch hier greift, wenn auch nur implizit, die Logik, dass die griechischen Soldaten mal wieder zu gnädig waren und sie doch besser gleich hätten umbringen sollen.
Der antike Krieg gegen den Terror
Es ist schwer, in dieser Logik nicht eine Begleitpropaganda zum „Krieg gegen den Terror“ zu sehen, in dem immer wieder mit derselben Rhetorik die Ermordung von Freunden und Familienmitgliedern von „Terroristen“ gerechtfertigt wird. Dass die Perser im Film Selbstmordattentäter einsetzen, die sich mit umgeschnallten Bomben an die griechischen Schiffe klammern, macht dem von westlichen Medien sozialisierten Blick wohl unmissverständlich klar, wer hier gemeint ist.
Als Grund für den „Terror“ der Perser reicht im Film, wie im echten Leben, die Feststellung, diese seien „verärgert über die Freiheit der Griechen“. Selbstverständlich geht es aber nicht nur um Griechenlands, sondern um die Rettung der gesamten Welt (vor dem Morgenland), wie gleich zu Anfang angekündigt wir. Und diese Rettung erfordert „eine Flutwelle aus Heldenblut.“
Auch bei Noah erweist es sich als Fehler, die Feinde nicht bis zum letzten ausgemerzt zu haben: Nachdem die Besatzung der Arche die zurückbleibenden Barbaren mit Waffengewalt daran gehindert hat, auf das Schiff zu gelangen, werden diese von den Wassermassen verschlungen – bis auf den Sünderkönig Tubal-Kain, der sich an das Schiff klammert. Kaum ist er an Bord, beginnt er Ham, der noch darüber erbost ist, dass seiner Freundin dem Tod überlassen wurde, auf die Seite der Sünde zu ziehen und gegen Noah aufzuhetzen.
Christliche Sorgen
Noch vor dem Erscheinen von Noah meldete die einflussreiche National Religious Broadcasters Group Bedenken gegen die Darstellung der Auslöschung der Menschheit an – und zwar recht erstaunliche: „Alle Menschen bis auf acht zu töten, um neu anzufangen (wie es die Bibel darstellt), mag unseren modernen Geistern etwas übertrieben erscheinen, aber aus einer christlichen Perspektive bestätigt dies das Bild von Gott im Menschen, das ihm Wert gibt, trotz des Bösen.“
Die Vernichtung der Menschheit wird also nicht positiv genug dargestellt, wo sie doch eigentlich den Verbleibenden so viel Wertschätzung zeigt. Auch mit der Darstellung von „Evolution“ im Film war die NRB nicht zufrieden. Im Film gibt es zunächst Gott, der das Licht schafft und dann das Leben, das sich – Ketzerei! – von selbst weiterentwickelt. Zwar erscheint dann plötzlich aus dem Nichts ein Menschenpaar, ohne Primaten-Vorstufen, aber das ist der NRB nicht genug: „Ein klares Lesen der Bibel legt nahe, dass neue ‚Arten‘ von Leben eigens erschaffen wurden und nicht entstanden sind.“
Diese und andere Beschwerden der NRB ließen Paramount wohl um die Zuschauerscharen der fundamentalistischen Christ_innen fürchten, die schon Mel Gibsons Folterepos „Die Passion Christi“ zu einem Kassenschlager machten, so dass die Firma den Film anpassen lassen wollte, was der Regisseur nach heftigen Diskussionen verhinderte. Als Kompromiss wird der Film und sämtliches Werbematerial nun in den USA die Warnung enthalten, dass er eine spekulative Auslegung der Bibel sei, keine wörtliche, und dass die Geschichte Noahs im Buch Genesis nachgelesen werden könne.
Es gab aber auch positive Reaktionen der Kirche auf den Film. So lobte der katholische Promi-Priester Robert Barron den Film dafür, die wichtigsten christlichen Werte zu beinhalten: „Gott, Schöpfung, Vorsehung, Sünde, Gehorsam, Erlösung. Nicht schlecht für einen großen Hollywood-Film.“
Wie ihm wohl 302 gefallen hat? Den Zuschauer_innen zumindest scheinen wohl beide Filme gleichermaßen zuzusagen, denn gleich bei seinem Erscheinen verdrängte Noah 302 von Platz 1 der US-Kinocharts.
Es stimmt bedenklich, wenn eine faschistoide Ästhetik, wie diejenige von 302, und die Ausrottung der Sündigen einen derartigen Anklang finden.