REDaktion (Hg.): Chiapas und die Internationale der Hoffnung; Mit einem Fotoessay (s/w). Neuer ISP-Verlag; Köln 1997. 250 Seiten, 29,80 DM.
„Wirklich revolutionär wäre daher nicht so sehr der Kampf um staatlich-politische Machtpositionen, sondern die konkrete Verweigerung, die Beendigung des ganz alltäglichen Mitmachens, das praktisch werdende Bewußtsein, sich nicht mehr alles zumuten zu lassen“(Joachim Hirsch, S.133). Irgendeines Aufhängers bedarf es immer, sollen Buchbesprechungen nicht nur den Inhalt zusammenfassend wiedergeben. Und von Anarchie ist in diesem Buch gar nicht die Rede, und gerade deshalb soll es hier darum gehen. Um mich nicht gänzlich der Vereinnahmung schuldig zu machen, der Satz für die Verlagsprospekte & Klappentexte gleich zu Beginn: Diese Buch ist das beste zum Thema, das seit der Aufsatzsammlung der Topitas (1994) erschienen ist; den HerausgeberInnen ist es gelungen, die aktuellen Diskurse um den zapatistischen Aufstand kritisch kreisen und hoffnungsvoll auf den Punkt bringen zu lassen. In sechs Kapiteln werden, ausgehend vom 1.Interkontinentalen Treffen im vergangenen Jahr in Chiapas, Erlebnisberichte von dort und Analysen der Situation in Mexiko, theoretische Überlegungen zur Globalisierungsdebatte und das zapatistische Politikverständnis in Aufsätzen und Interviews auseinandergenommen und in Zusammenhang gebracht. Ich weiß nicht, ob dieses Buch dazu angetan ist, Hoffnung zu verbreiten, etwas Neues signalisiert es aber ganz sicher. Im Bericht vom „Intergalaktischen“, wie das Treffen von Chiapas auch genannt wird, steht der Aufruf, den Widerstand gegen den Neoliberalismus horizontal zu organisieren, weil letztlich Leben und Politik nicht voneinander zu trennen seien. Die libertär-feministische Forderung, daß das Private politisch sei, ganz zu Beginn des Buches, stellt so den Zusammenhang zu anarchistischen Theorien & Praxen her, die in vielen der Beiträge Anwendung & Niederschlag finden.
„Der Staat“, so John Holloway, „trennt das Öffentliche vom Privaten und indem er dies tut, legt er uns selbst eine Trennung auf, teilt unsere öffentliche, ernste Hälfte ab von der anderen, der privaten, der nichtigen und irrelevanten. Der Staat fragmentiert, entfremdet uns von uns selbst“ (S.149). Dafür, daß Staat und neoliberale Wirtschaftsstrategien sich nicht widersprechen, wie immer wieder gern behauptet wird, um z.B. den wohlfahrtsichernden Staat gegen die entfesselten Kapitalgewalten aufzubieten, findet Friederike Habermann so grundsätzliche wie klare Worte. Und wenn beide, Staat & Kapital, alle Bereiche unseres Lebens durchdringen, ist es erst recht revolutionär und das Faszinierende am Zapatismus, die rebellische Gemeinschaft den materiellen Werten entgegenzusetzen.
Über das wirklich Revolutionäre ist in der Geschichte der Linken viel gestritten worden. Um so erstaunlicher, daß MarxistInnen im Zapatismus-Fieber plötzlich zu libertären Erkenntnissen kommen. Die Argumentationsfigur ist dabei in etwa die, daß die ökonomischen Verhältnisse der letzten Jahre die Grundlagen der sozialen Organisation aus dem Produktions- in den Reproduktionsbereich verlegt haben. Das heißt, persönliche Bindungen haben dem Arbeitsplatz den Rang abgelaufen, was die innere Konstituierung von Gesellschaft betrifft, und damit sei gleichzeitig die „Herrschaft aus der Fabrik auf die Straße gezogen“(Ana Esther Cecena, S.117). Im Kampf gegen die Herrschaft führt das folglich dazu, daß nicht nur Eigentums- und Verteilungsprobleme die Schauplätze der Befreiungsbemühungen sind, sondern vielmehr die Bedingungen des eigenen Lebens: statt Klassenkampf also „Soziale BürgerInnenschaft“ (Cecena) oder „Frage der Demokratie“ (Hirsch).
Der Anarchist Gustav Landauer stritt sich geradezu exemplarisch mit MarxistInnen über die Frage der objektiven Bedingungen, die es für AnarchistInnen nie gab, wenn die Motivation zur Revolte oder zum sozialistischen Beginnen zur Debatte stand. Herrschaft findet sich nicht erst in Zeiten der Privatisierung im öffentlichen Raum, sondern tummelt sich seit je in Straßen, Betten, Körpern. Bei der Frage der Macht kommt so auch Holloway zu der anfangs zitierten Folgerung, daß nämlich Würde, Wahrheit, Nicht-Identität „nicht als transzendente Essenzen, sondern als Verweigerung in der Gegenwart, als Kampf, als Negation des Falsch-Seins der kapitalistischen Gesellschaft“ existieren (S.151). Der Aufstand der Zapatistas kam so unerwartet, weil er die unerträgliche Situation des eigenen Lebens zum Anlaß nahm – und sie mit der eigenen Geschichte (502 Jahre Kolonialismus) und der eigenen Zukunft (Existenzraub durch NAFTA) in Zusammenhang setzte. Und daß die Zapatistas nicht zuletzt durch ihre Konzeptlosigkeit für die Artikulationsräume (J.Winter, S. 171) gesorgt haben, die zur Zerrüttung des mexikanischen Herrschaftsapparates beitragen konnten, zeigt sich als der richtige Grundsatz zur richtigen Zeit.
Als soziale Bewegung, die jegliche Einbindung in staatliche Strukturen negiert, steht der Zapatismus aber tendenziell auch auf der tragischen Seite anarchistischer Tradition. Mit der Regierungsbeteiligung in Spanien 1936 verloren die anarchistischen FührerInnen nicht nur den Krieg, sondern auch das Vertrauen der breiten Basis und damit die Macht, die sie institutionell abzusichern versucht hatten. Das zapatistische Organisationsprinzip des mandar obedeciendo – „gehorchend befehlen“, „in unserer Politsprache mit dem Konzept des ‚imperativen Mandats‘ vergleichbar“(S.83) – ist nicht nur angesichts dessen mehr als nur der Schnickschnack zur Erhaltung moralischer Integrität. Die Verbindung von Ethik und Politik, wie sie im Zapatismus anzutreffen ist, hat mit Thoreau und Gandhi jedenfalls mehr gemein als mit mancher lateinamerikanischen Guerilla. „Letztlich wird eine faktische Demokratisierung Mexikos nur stattfinden können, wenn Menschen die Fähigkeit erobern, ihre Interessen unabhängig von Staat und der herrschenden Klasse zu verteidigen, durch eine Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen sozialen Gruppen, ohne der Gefahr des Klientelismus zu erliegen“ (Christine Weiß, S.79).
Dies ist, wie gesagt, nur die an einer Ecke aufgehängte Lesart eines Buches. Daß darin auch ein netter Fotoessay enthalten ist, die Grenzen des Konzepts Zivilgesellschaft diskutiert werden und zur Vernetzung Adressen und kommentierte Bücher aufgelistet sind, spricht außerdem für dieses Werk. Auch im Streit um den Nationalismus der EZLN gibt es weiterbringende Beiträge: während Nationalismus John Holloway („…so sehr ich mich auch bemühe, mein Hirn mit allem Wohlwollen zu verrenken…“) immer noch krank macht (S.183), versucht A.E. Cecena die Nation als den Raum der beherrschten Klasse auszumachen – im Gegensatz zu Staat und Markt als Räume der Herrschenden – und für universell zu erklären. Nicht nur die deutsche Realität als Gegenbeispiel läßt dieses Unterfangen schnell als Quatsch erscheinen. Mit Universalisierungen ist es ja eh vorbei, denn auch Zapatismus hat mit Postmoderne zu tun. Anne Huffschmid formuliert wahrhaft visionär über den taz-Tellerrand hinaus: „Postmoderne Skepsis stünde demnach nicht mehr notwendig im Widerspruch zu utopischem Denken, und die EZLN wäre eine der ersten wirklichen Befreiungsbewegungen, die die Utopie wieder mit der Gegenwart versöhnen“(S.145).