Seit 2012 entsteht auf der Halbinsel Chalkidikí im Nordosten Griechenlands eine Goldmine als gigantischer Tagebau.
Die Firma Hellas Gold, ein Tochterunternehmen des kanadischen Konzerns Eldorado Gold, hatte 2011 die Schürfrechte für ein Trinkgeld erworben. Der Deal zwischen Hellas Gold, dem griechischen Bau- und Medienmogul Geórgios Bóbolas und dem ehemaligen Staatssekretär und Oberbürgermeister der Gemeinde Aristotélis, Chrístos Páchtas (Pasok), steht unter Korruptionsverdacht. Anwohner_innen und Initiativen wehren sich gegen die irreversible Zerstörung der Landschaft und die Gefahren für die Menschen. Sie werden mit heftiger staatlicher Repression überzogen. Auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung kommen im September 2014 die im Widerstand aktiven Marína Karastergíou und Giánnis Deligióvas nach Deutschland, um über die Umweltzerstörung, die staatliche Repression, den Widerstand und seine Perspektiven zu berichten. Ralf Dreis sprach für die Graswurzelrevolution mit Giánnis Deligióvas vom Kampfkomitee Megáli Panagía.
Ralf Dreis (Graswurzelrevolution): Welche Pläne zum Goldabbau existieren auf Chalkidikí? Wie weit sind die Arbeiten vorangeschritten?
Giánnis Deligióvas: Es geht um den Nordosten Chalkidikís, um die Gesamtgemeinde Aristotélis, die aus der Zusammenlegung dreier kleiner Gemeinden entstand. (…) Aristotélis umfasst eine Fläche von 740.000 Dekar, (1 Dekar = 1000qm) und besteht aus 16 Dörfern und zwei der wichtigsten Wälder Chalkidikís, die des Strimmonikós und des Kákavos Berges, wozu auch der umkämpfte Wald von Skouriés und viele schöne Strände gehören. Ein recht großer Teil des Gemeindegebiets, 317.000 Dekar, sind als Bergbauzone ausgewiesen. Diese Fläche wird als potentielles Bergwerk gesehen und kann jederzeit an einen „Investor“ gehen. Die Arbeiten im Gebiet von Skouriés sind Teil eines größeren Investment-Plans, der anfänglich aus vier Projekten besteht.
1. Der Errichtung eines Bergbau/Metallindustriezentrums zur industriellen Gewinnung reinen Goldes in Stratóni, sowie der Ausbau des Hafens.
2. Die Ausbeutung des bestehenden Bergwerks in Stratoníki, wo noch ungefähr fünf Millionen Tonnen Erzgestein gefördert werden sollen. Es ist momentan das einzige aktive Bergwerk von Hellas Gold und beliefert die alte Anreicherungsanlage in Stratóni mit Eisenpyrit/Schwefelkies.
3. Die Reaktivierung und Erweiterung des 2003 geschlossenen Bergwerks zur Förderung arsenhaltigen Gesteins in Olympiáda. Die Reserven dieses Bergwerks von ca. 12 Millionen Tonnen reichen ungefähr 20 Jahre. Außerdem die Modernisierung und Wiederinbetriebnahme der Anreicherungsanlage in Olympiáda, einer der Zankäpfel der Kämpfe der 1990er Jahre. Das Werk ist seit einem Jahr in Betrieb und bereitet die giftigen Abbauschlämme aus dem Schlammsee in Olympiáda auf, was der Öffentlichkeit als Versuch dargestellt wird die Sünden der Vergangenheit zu bereinigen. (…)
4. Die Einrichtung eines riesigen Tagebaubergwerks von 700 m Durchmesser und 220 m Tiefe in dem pro Tag 24.000 t Erzgestein gefördert werden sollen, die eine in der Nähe zu errichtende Aufbereitungsanlage füttern. In der Anlage soll ein Kupfer/Gold-Kondensat sowie reines Gold gewonnen werden. Parallel, als umweltpolitische Zugabe sozusagen, sollen zwei riesige Giftschlammseen entstehen, in denen ca. 140 Millionen Tonnen giftiger Schlämme aus der chemischen Goldgewinnung aufgestaut werden sollen. Wird diese Hauptinvestition in Skouriés nicht verwirklicht, endet jede Bergbauaktivität von Hellas Gold in der Gegend. Längst hat der Konzern jedoch sein Interesse an den angrenzenden Gebieten Tsikára und am nahen Piávitsa mit Golderzvorkommen in zehnfacher Menge derjenigen von Skouriés bekundet.
Der Wald von Skouriés befindet sich auf dem Gebiet unseres Dorfes Megáli Panagía und war bis März 2012 ein wunderschöner Eichen- und Buchenwald. Der einzig von Menschenhand errichtete Bau dort, war die von den Bewohner_innen 2009 errichtete Schutzhütte. Am 20. März 2012 wurde sie von Arbeitern des Konzerns zerstört womit der Angriff auf den Berg begann. Inzwischen ist der Kahlschlag für den offene Tagebau und den Bau des ersten Staudamms für die giftigen Schlämme ebenso vollendet wie die Erdarbeiten am Standort der geplanten Anreicherungsanlage. Der Bau der zentralen Zubringerstraßen des Bergwerks ist weit vorangeschritten.
GWR: Nach dem heftigen Widerstand der letzten zwei Jahre, mit ständigen Aktionen in den Dörfern, 25.000 Demonstrant_innen in Thessaloníki, 35.000 Menschen auf einem Konzert gegen den Goldabbau und heftigen Auseinandersetzungen mit den MAT-Sondereinsatzkommandos im Wald, habe ich den Eindruck, dass in letzter Zeit relative Ruhe herrscht. Ist das so und wenn ja, woran liegt es?
Giánnis Deligióvas: Es ist ungefähr so wie du sagst. Wir wollen natürlich fest daran glauben, dass es sich um die Ruhe vor dem Sturm handelt, doch nach acht Jahren tagtäglichen Kampfes, und speziell nach den letzten zwei Jahren der offenen Auseinandersetzung mit dem Konzern und dem griechischen Staat tauchten Probleme auf, von denen wir glauben, dass sie allgemein die Komplexität sozialer Bewegungen betreffen. Staatliche Repression ist ein wichtiger Faktor zur Erlangung „gesellschaftlicher Zustimmung“, speziell wenn durch eine kraftvolle Widerstandsbewegung bedeutende Wirtschaftsinteressen Infrage gestellt werden. Das sollte als Hemmfaktor für die Entwicklung von Bewegungen von vornherein mitbedacht werden. Tatsächlich begegneten die Leute der Repression am Anfang als etwas Vorhersehbares. Was die widerständige Bevölkerung überraschte und in der Folge viele Probleme bereitete, waren die für griechische Verhältnisse einzigartigen Maßnahmen und die Methodologie von Regierung und Polizei nach dem Brandanschlag auf die Baustelle im Februar 2013 in Skouriés.
Selbst Jurist_innen waren überrascht, unsere Rechtshilfegruppen sprachen von „Ausnahmezustand“ und „Antiterror á la Chalkidikí“. Die Erklärung des Ministerpräsidenten des bankrotten Griechenlands, dass die „Investition um jeden Preis verwirklicht wird“, gab den MAT-Sondereinsatzkommandos grünes Licht für gezielte Schüsse mit Gummischrot und Gummigeschossen, die erstmals in Griechenland (…) eingesetzt wurden. Ohne sachlichen Grund wurden nachts Häuser von Dorfbewohner_innen durch MAT-Einheiten gestürmt und illegale Festnahmen und Entführungen von Minderjährigen durchgeführt.
Letztendlich brachen sie mit der Durchführung massenhafter DNA-Tests ganz offen ihre eigenen Gesetze. Es wurde eine Art unerklärter Ausnahmezustand erlassen und mit allen Mitteln und illegalen staatsanwaltlichen Ermittlungen versucht den Widerstand zu kriminalisieren und 2/3 der Bevölkerung einer Gemeinde mit 20.000 Einwohner_innen zu Mitgliedern einer kriminellen Vereinigung zu erklären. Dieser Angriff des Staates trug ohne Frage zur Zurückdrängung des Widerstands bei, da es gelang einen großen Teil der Leute einzuschüchtern und zu terrorisieren.
Seit über einem Jahr ist Telefonüberwachung durch die Aufhebung des Telefongeheimnisses bei über 400 Menschen zur Normalität geworden und die spezielle Art der Geiselhaft durch polizeiliche und staatsanwaltliche Vorladungen schon fast Alltag. Ein weiterer wichtiger Faktor unter dem extremen staatlichen Druck ist eine von vielen empfundene emotionale und psychische Ausweglosigkeit, die oft durch familiäre oder berufliche Zwänge hervorgerufen wird. Soziale Kämpfe sind auf bestimmte Art und Weise klassenübergreifende Kämpfe und beinhalten im allgemeinen interne Auseinandersetzungen auf Grund von unterschiedlichen Interessen und Gefühlslagen.
Unter den beschriebenen Bedingungen bilden sich unterschiedliche Fraktionen bezüglich der Fortsetzung des Kampfes, die nur noch schwer miteinander kommunizieren, wenn sie erst einmal die Interventionen der vielen Rechtsanwälte, Journalisten und auch der vielen politischen Karrieristen akzeptiert haben. Man braucht ein hohes Maß politischen Bewusstseins, politischer Reife und Klarheit, um nicht plötzlich dem vielleicht hinterhältigsten Gegner jeder Bewegung auf den Leim zu gehen. Der Rückkehr zur Logik der Übertragung von Verantwortung. Leider fällt es vielen Menschen schwer den „Sirenen der Vorwahlversprechungen“ zu widerstehen, so dass Bewohner_innen Chalkidikís, und viele andere Griech_innen, in fast schon hysterischer Erwartung die Ankunft des nächsten Messias ersehnen.
GWR: Habt ihr einen Überblick wie viele von der beschriebenen Repression betroffen sind?
Welche Auswirkungen hat das repressive Klima auf die Bevölkerung, wie gehen die Leute damit um?
Giánnis Deligióvas: Die Repressionshysterie und die Flut von Strafverfahren, die über den Nordosten Chalkidikís schwappt, betreffen momentan ca. 320 Leute, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass weitere Verfahren eröffnet werden.
Die Prozessflut überzieht die verschiedensten Angeklagten mit fast dem kompletten Strafkatalog des Strafgesetzbuches. Ungefähr ein Drittel der Verfolgten sind mit Anklagen für schwere Straftaten konfrontiert, gegen die restlichen wird in vielen unterschiedlichen Strafverfahren wegen einfacher Vergehen ermittelt. Das beginnt bei Ermittlungen wegen „Ausübung illegaler Gewalt“, geht über „Verkehrsbehinderung“ und endet bei Konstrukten des „versuchten Mordes“ und „Bildung einer kriminellen Vereinigung“.
Das Ziel von Polizei und Staatsanwaltschaft ist eindeutig: Die ansässige Bevölkerung mittels Einschüchterung von jeglicher Teilnahme am Widerstand abbringen, die Führung eines ökonomischen Krieges und die Zerschlagung der Bewegung. Diese Willkür hat ganz klar Einfluss auf die Kämpfenden, da schon die einfache Teilnahme an Kundgebungen als Rechtsbruch gilt.
Das Konstrukt „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ stützt sich z.B. einzig darauf, dass die Betroffenen „speziell im Vorfeld der Mobilisierungen“ tägliche und enge Beziehungen zueinander unterhalten. Womit auf die ekelhafteste Art zwischenmenschliche, freundschaftliche und allgemein soziale Beziehungen, wie sie in kleinen Orten bestehen und die sich in den letzten Jahren auch im gemeinsamen Kampf gegen den Goldabbau äußern, strafrechtlich uminterpretiert werden. Eine ganze Gesellschaft wird kriminalisiert.
Zwei Leute saßen sechs Monate, zwei weitere drei Monate ohne ernsthafte Indizien, geschweige denn Beweise, für einen Brandanschlag auf die Baustelle in Untersuchungshaft. Der Schock über die Wucht der Repression und die darauf folgende Furcht davor, zu was der Staat in der Lage ist, brachte das Koordinierungskomitee der BIs (KK) in hilflose Verlegenheit. Die Herangehensweise zur Haltung der Angeklagten im Verfahren und hauptsächlich die Unentschlossenheit des KK in Bezug auf die vier in U-Haft Sitzenden, führte zur direkten und letztlich maßgeblichen Einflussnahme von Verwandten, zur Einmischung von Polit-Karrieristen und damit explizit zum Ausschluss der Bewegung. Für viele Monate war die Organisierung der juristischen Verteidigung und der gemeinsamen Aktionen sehr problematisch, was auch zum Rückgang der Bewegung führte. Innerhalb der BIs entstand plötzlich ein „ihr“ und „wir“, eine neue Hierarchisierung. Diejenigen, die aus welchem Grund auch immer, mit einer schwerwiegenden Anklage konfrontiert sind und die anderen.
Das KK arbeitete kraftlos mit Tendenz zur Bürokratisierung. Es gelang ihm eigentlich nur die zum Glück gut besuchten Solidaritätskundgebungen zu den verschiedenen Gerichtsverfahren und Infoveranstaltungen zu koordinieren.
Nur durch die Ausdauer und offen direktdemokratische Herangehensweise weniger Delegierter im KK und einiger solidarischer Unterstützer_innen aus Thessaloníki gelang es, unterstützt auch durch den psychologischen Befreiungsschlag, den die Entlassung der vier aus der U-Haft hervorrief, endlich wieder Aktionen der Bewegung gegen den Konzern auf die Tagesordnung zu setzen. Die mehrstündigen, ein- oder mehrtägigen Versuche verschiedene Aktivitäten des Konzerns und seiner Subunternehmer zu stoppen und zu blockieren, die seit November 2013 bis April 2014 fast täglich stattfanden, zeigen eine neue Dynamik auf, die eventuell das ist was dem Konzern momentan tatsächlich Kopfzerbrechen bereitet. Eine Dynamik, die aufzeigt, dass der Kampf praktisch und weniger am Spektakel ausgerichtet und so möglicherweise erfolgreicher geführt werden kann.
GWR: Ich habe den Eindruck, dass viele die im Widerstand gegen den Goldabbau aber auch anderen Bewegungen in Griechenland aktiv sind, eher auf Neuwahlen und einen Sieg von Syriza hoffen. Ist das nicht ziemlich naiv?
Giánnis Deligióvas: Ich glaube, dein Eindruck stimmt. Die Situation ist mit dem unerwarteten prozentualen Aufstieg von Syriza bei der Wahl im Juni 2012 entstanden, als Syriza von der Drei-Prozent-Partei zur stärksten Oppositionspartei aufstieg. Die anfängliche Tendenz zur Sammlung, vor allem der öffentlichen Angestellten, denen Syriza den Erhalt ihrer Arbeitsplätze trotz der Ansagen der Regierung und des Drucks der Troika versprochen hatte, wurde sozusagen als allerletzte Hoffnung von einem Großteil der Bewegung der Empörten aufgenommen, die zuvor mit großer Brutalität zerschlagen worden war und eigentlich am Ende war. Teile anderer Bewegungen – auch der unsrigen – ließen sich angesichts der repressiven und unmenschlichen Politik der Regierung vom Sirenengesang zur parlamentarischen Auftragserteilung bezaubern. Es handelt sich dabei nicht um eine naive, sondern um eine gefährliche Logik. Der Rückzug der Bewegung einerseits und die Übertragung der politischen Verantwortung auf eine ganz und gar herkömmliche Partei, die wie es aussieht nicht gewillt ist neue Wege zu beschreiten und einen politischen Schnitt zu vollziehen andererseits, sind die besten Voraussetzungen dafür, politisches Scheitern und Enttäuschung zu erzeugen, was in der Folge einzig und allein zum Aufstieg populistischer und rechtsradikaler Tendenzen führt. Unsere Erinnerung an das Deutschland der 20er Jahre und den Aufstieg des Nazismus sollte lebendiger und deutlicher sein.
GWR: Hat der Sieg von Syriza bei den Europawahlen etwas verändert? Und was denkst du würde eine zukünftige Syriza-Regierung für euch in Skouriés bedeuten?
Giánnis Deligióvas: Die Europawahl betreffend, bei der erstmals eine linke Partei zur stärksten Partei wurde, kann ich sagen, dass auf jeden Fall ein Klima relativer politischer Instabilität entstanden ist, da Syriza jetzt vorgezogene Neuwahlen fordert. Was das Land, kurz gesagt, in eine ständige Vorwahlperiode versetzt und meines Erachtens die schlechteste Voraussetzung für wegweisende Bewegungsinitiativen ist. Das Warten auf einen mutmaßlich bevorstehenden Wechsel, hält die Menschen in einer Erwartungshaltung und politischer Inaktivität gefangen, in der alles auf ein nahes oder fernes Morgen verschoben wird. Ein Morgen, das nicht durch direkte Einmischung der Interessierten bestimmt, sondern das ihnen auf fast schon mystische Art von oben präsentiert wird.
Was beeindruckt und einer soziologischen und psychoanalytischen Untersuchung wert wäre ist, wie leicht Menschen von ihren tatsächlichen, erlebbaren, alltäglichen Forderungen, die ihnen greifbare wenn auch kleine Schritte in Richtung gesellschaftlicher Befreiung erlauben zurücktreten, um sich mit leeren Versprechungen, frommen Wünschen und nicht existenten Fortschrittsparadiesen zufrieden zu geben. Diese Situation, dieses politische Klima, hat natürlich auch Einfluss auf den Nordosten Chalkidikís.
Seit dem prozentualen Aufstieg Syrizas im Juni 2012 ist die politische Nötigung die da heißt, entweder Regierungswechsel oder es gibt keinerlei positive Perspektive für Skouriés, bedrückender Alltag. Hinzu kam noch die zweite Nötigung, nämlich die, um jeden Preis an den Kommunalwahlen (zeitgleich zur Europawahl) teilzunehmen, was uns durch viele Fehler und politisches Karrieristentum zur Wahl eines Unternehmers als Kandidaten und zukünftigen Bürgermeisters führte, der ein fanatischer Anhänger der kapitalistischen Theorie der „nachhaltigen Entwicklung“ ist.
Aus einer anderen Perspektive betrachtet bringt der Europawahlsieg von Syriza und auch der des neuen Bürgermeisters natürlich einen moralischen Vorteil für die Bewohner_innen Chalkidikís und alle anderen an verschiedenen Fronten Kämpfenden mit sich. Das Gefühl, dass etwas „Anderes“ möglich ist entfacht den Kampfeswillen. Wir können das in den letzten Tagen durchaus feststellen und diskutieren wieder generell über gesellschaftliche Kämpfe.
Die Antwort darauf, welche Folgen die eventuelle Wahl von Syriza zur nächsten Regierung hätte, ist ziemlich kompliziert. Wir müssen dazu als erstes festhalten, dass Syriza obwohl sich die Partei als Verfechter des Kampfes der Bevölkerung Chalkidikís präsentiert, keine klare politische Position dazu verabschiedet hat. Es handelt sich um eine Partei, die Fortschritt im rein kapitalistischen Sinn unterstützt und schlicht einige „rote Linien“ oder einschränkende Bedingungen formuliert ohne sich jemals grundsätzlich zum Thema Goldabbau zu äußern. Eine Partei, die offiziell nichts zum Thema der Ausweisung des Gebiets als Bergbauregion verlautbaren lässt, aber ziemlich oberflächlich die Repressionspolitik der Regierung kritisiert. Was ihre mögliche Wahl wohl bringen würde ist eine Verzögerung der Arbeiten, da sie betonen die skandalöse Überschreibung der Besitztitel der ehemaligen Bergwerke Kassandras auf Hellas Gold überprüfen zu wollen. Die scheinbare Großspurigkeit mit der einige Funktionsträger behaupten, die Firma dicht machen zu wollen, sind wohl mehr als Vorwahlkampfversprechen anzusehen. Der mögliche Wahlsieg – zusammen mit der neugewählten Kommunalbehörde – bringt wie gesagt einen moralischen Vorteil für die Leute im Widerstand, als neue offizielle Mehrheit. Das alleine, ohne die kämpferische Kraft der direkt Betroffenen, wird jedoch als Bremse wirken. Es besteht die Gefahr, dass sich die Bewegung in Erwartung des nächsten Erlösers ruhigstellen lässt.
GWR: Welche Diskussionen führt ihr momentan? Wie wollt ihr den Widerstand weiterführen?
Giánnis Deligióvas: Was uns die ganze Zeit über beschäftigt sind die fortschreitenden Aktivitäten des Konzerns, der kontinuierlich den Beginn der Goldförderung vorbereitet. In letzter Zeit außerdem (…) die Bedrohung des Lebens und der Menschenwürde eines unserer Mitkämpfer, des einzigen Bewohners des Berges. Sein Haus steht weniger als Hundert Meter vom geplanten Fuß des Staudamms des Giftschlammsees entfernt und sein Land wird tagtäglich unter dem Lärm berstender, entwurzelter Jahrhunderte alter Bäume mit herabstürzenden Gesteinsbrocken bombardiert, die durch die Bauarbeiten der Straße zum zukünftigen Staudamm hervorgerufen werden. Unsere Überlegungen und Sorgen drehen sich darum einen Weg zu finden unseren Genossen zu „beschützen“ und die wahrscheinliche Aufgabe des ersten Hauses eines Bewohners von Megáli Panagía wegen des Goldabbaus zu verhindern.
Was die Fortsetzung unseres Widerstands betrifft und zwar eines Widerstands der es Wert ist so genannt zu werden und der realistische Erfolgschancen hat, so wird dies nur möglich sein wenn es uns gelingt den institutionellen Interventionismus, der unsere eigenen Vorstellungen einebnet, zurückzuweisen, und die Logik andere mit der Durchsetzung unserer Interessen zu beauftragen zu überwinden, da uns diese Logik zu Hause vor unseren privaten Fernsehgeräten einschläfert. Es gibt noch Spielraum, da es dem Konzern bisher nicht gelungen ist sich festzusetzen und sie noch immer versuchen das Bewusstsein der Leute zu kaufen. Uns gegenüber haben wir die zwei gefährlichsten Feinde des Menschen, Staat und Kapital. Zwar ist der Kampf ungleich, doch dafür die ökonomisch-historischen Umstände besonders interessant.
Wir befinden uns sozusagen in vorderster Front. Im großen und Ganzen haben wir nur zwei Möglichkeiten: Entweder Kampf und Intensivierung der Versuche die täglichen Aktivitäten des Konzerns zu behindern und zu stoppen bis Hellas Gold davon überzeugt ist, dass kein „positives Investitionsumfeld“ besteht, oder das Packen einiger weniger Sachen, die uns auf unserer Reise zu einem nahen oder fernen Migrationsziel begleiten.
GWR: Anfang September kommt ihr zu einer Informationstour nach Deutschland. Wie können wir als Bewegung euren Kampf unterstützen?
Giánnis Deligióvas: Allein die Tatsache, dass wir zu einer Informationstour ins europäische Machtzentrum namens Deutschland eingeladen werden ist eine wichtige Hilfe. Es bedeutet, dass unser Kampf und unsere Sorgen die engen lokalen und nationalen Grenzen übersprungen haben.
Das Thema des Abbaus von Bodenschätzen ist ein spezielles Thema, dass im allgemeinen meisterhaft von der fortschrittsgeilen Propaganda der Regierungen und Konzerne totgeschwiegen wird. Es betrifft bisher hauptsächlich Länder der so genannten dritten Welt mit denen sich hier kaum jemand ernsthaft beschäftigt.
Der Grund dafür ist weder das Fehlen von Informationen noch die vielen Tausend Kilometer, die zwischen uns und den Abbaugebieten liegen (…). Der Grund ist die Heuchelei, das Desinteresse und der Rückzug ins Private, die seit Jahren in unserer Überflussgesellschaft kultiviert werden. Folglich ist auch der Widerstand gegen den Abbau von Bodenschätzen ein spezielles Thema. Oft sind die Widerstand leistenden von lokalpatriotischen Gedanken und Logiken bestimmt, wie es auch bei uns speziell während der Phase des Kampfes in Olympiáda in den 1990er Jahren war, als verschiedene Initiativen nur deshalb Widerstand leisteten, weil der Standort des Goldbergwerks oder der Anreicherungsanlage zu nah an ihren Häusern lag, oder wie es heute ist, wo viele sich deshalb wehren weil ihre eigenen eng gesteckten ökonomischen Interessen gefährdet sind. Oft wird ihnen Provinzialismus, Lokalpatriotismus oder gar Rassismus vorgeworfen, da sie es trotz der Tatsache elender Ausbeutung und Zerstörung der Entwicklungsländer weiterhin akzeptieren „Nutzen“ aus der kapitalistischen Lebensweise zu ziehen. (…) Die trommelfeuerartige Propaganda der Konzerne und ihrer politischen Mentore ist deshalb alles andere als Zufall. Zum Wohle des Paralogismus den sie Fortschritt nennen und zur Verewigung des Mythos des Wohlstands der angeblich überlegenen westlichen Kultur, sei die Opferung des ökologischen Gleichgewichts und der menschlichen Gesundheit und Würde nötig. Insofern denke ich, die einzige Möglichkeit uns zu helfen und geholfen zu bekommen, ist die Eröffnung eines tatsächlichen Dialogs und ein Überdenken von Begriffen, wie menschlicher Grundbedürfnisse, unserer Werte und Wünsche. (…)
GWR: Willst du noch etwas hinzufügen?
Giánnis Deligióvas: Ich möchte einige Gedanken anfügen, (…) die vom antiautoritären Flügel der BI’s, speziell der Protoboulía enántia stis Blaptikótites (ungefähr: Initiative gegen Schädlichkeiten) aus Megáli Panagía vertreten werden. Beginnend damit, dass ein schmutziges Band unumkehrbarer Umweltzerstörung und gesellschaftlich-ökonomischen Zwangs die Eingeborenen der Welt von Lateinamerika über Australien, Zentral- und Südafrika bis zum Balkan und Chalkidikí miteinander vereint, möchten wir betonen, dass wir niemals Menschen ins Fadenkreuz nehmen sondern Politiken und Logiken. Wir sind keine Richter und wollen es auch nicht werden.
Wir sind allerdings sicher, dass es einen Neuanfang geben muss. Wir sind überzeugt, dass es ein Fehler und eine Schande ist, für ein paar Gramm eines seltenen oder wertvollen Metalls die ganze Erde in eine Müllhalde zu verwandeln und wir sind uns sicher, dass das kritische und aufrechte Wort noch nie das Erkennungsmerkmal der Unterwürfigen war.
Wir sind folglich gegen den Begriff des Wachstums, eines irreführenden Wortes, da es sich einzig um einen ökonomischen Kampfbegriff handelt, der in keinerlei Zusammenhang mit tatsächlichem gesellschaftlichem Wohlstand und Fortschritt steht sondern allgemein und unbestimmt wirtschaftliche Steigerung, also die Steigerung des Bruttosozialprodukts (BSP) beschreibt (…).
Wir müssen das Wirtschaftswachstum Chinas von 8-10% ins Verhältnis dazu setzen, was dies für chinesische Fabrikarbeiter_innen bedeutet, deren Tageslohn im besten Fall 1,5 Dollar beträgt, oder was für die Bewohner_innen Guatemalas die 5% Wachstum des letzten Jahrzehnts, wenn 50% der Bevölkerung sich von dem ernährt, was sie im Müll finden. Oder näher an uns, was für Griechenland die rasanten ökonomischen Steigerungsraten und das hohe BSP von 7-8% der 1990er Jahre bedeuten, wenn um uns herum alles zusammenbricht. Im Namen dieser verqueren, ungerechten und willkürlichen Logik wurde weltweit die von der Landwirtschaft lebende Bevölkerung zusammengeschrumpft und die Produktion konservierter, in Plastik eingeschweißter, industrieller Nahrungsmittel erzwungen.
Ein Agrarland wie Griechenland wurde zu etwas Undefinierbarem, Durcheinandergeratenem, das bis vor kurzem Erzeugnisse des quartären Wirtschaftssektors, Scheindienstleistungen und heiße Luft verkaufte. Die Zerstörung der produktiven Basis des Landes und die Manie so genannter Modernisierer verwandelten eine beinah autarke Agrarökonomie in ein Banken-Politik-Geschacher überbewerteter Zuschüsse während sie die landwirtschaftlichen Produkte auf der Müllhalde entsorgten. Im Namen des Wachstums und des Fortschritts wurden hunderttausende Hektar immer wieder abgebrannter Wald und Buschland zu hunderttausenden nutzlosen Wochenendhäusern (…). Im Namen des Wachstums und des Fortschritts wurde der allen freie Zugang und das freie Zelten am Strand abgeschafft, wurden tausende Strände von Beach-Bars, Imbissbuden, Liegestuhlvermietungen besetzt und illegal angeeignet. Es wurden hunderte wunderschöne Buchten und Küstenstriche dieses wirklich wundervollen Fleckchens Erde privatisiert (…).
Mit ungenauen und widersprüchlichen Begriffen wie ökologisches Wachstumsmodel, lebenswertes Wachstum, Nachhaltigkeit, führen sie die Öffentlichkeit über ihre wirklichen Absichten in die Irre (…). Denn „Schädlichkeiten“ sind nicht nur Bergwerke. Schädlich sind die durch Brandstiftung zerstörten, zuvor in Grundstücke verwandelten Wälder, die 50.000 illegal errichteten Bauten alleine auf Chalkidikí, die jahrelang zusammengeflickten Straßen, die zum freien Zelten gesperrten Strände, die Kommerzialisierung jeder menschlichen Aktivität. Es ist das schmutzige Wasser, die versiegten Quellen und ausgetrockneten Seen, genauso wie Trinkwasser in Plastikflaschen. Schädlich sind die seit Jahrzehnten überholten Mülldeponien, die mit ihrem vergifteten Gestank unsere Wahrnehmung verändern und uns nicht erlauben darüber nachzudenken, Probleme zu lösen, nicht zu vergraben.
Schädlich ist das Desinteresse, die Passivität, das Privatisieren und die träge Gleichgültigkeit. Und es ist eine noch ernstere und gefährlichere „Schädlichkeit“ dem Trugschluss aufzusitzen, dass Urbar- und Plattmachen von Bergen oder das Zuschütten und Bebauen von Bachläufen trüge zur Errichtung eines besseren Morgen für uns und unsere Nachkommen bei (…). Wir finden uns Konzernen gegenüber deren jegliche Aktivitäten eine einzige Schädlichkeit darstellt und wir ertragen ihre Anwesenheit noch immer, auf Grund eines Junta-Gesetzes – des Bergbaugesetzes – und Bestandteils der Verfassung, das jegliche Aktivitäten verbietet die sich nachteilig auf Bergbautätigkeiten auswirken könnten.
Für die Einheimischen gibt es also keinen anderen Ausweg als den Kampf. Ein Kampf gegen den totalitären Feldzug von Ausplünderung und Zerstörung der natürlichen Umwelt. Gegen die Geringschätzung des Lebens und das Niederwalzen menschlicher Gesellschaften. Gegen Privatisierungen und den Zwang so genannter Alternativlosigkeit und lohnender Investitionen. Gegen die Ideologie des Wachstums, die seit Jahrzehnten die größten ökologischen Verbrechen deckt, schlimmste Formen der Ausbeutung schönt, soziale Unterdrückung und Entfremdung vertuscht. Ein Kampf für die Schaffung von Bedingungen für ein wirkliches, genussvolles Leben und nicht nur zum Tode verurteilten Überlebens.
Wir müssen verstehen, dass das Umweltproblem ein strikt gesellschaftlich-politisches Problem ist und keine Teilannäherung oder Abenteuerspielereien zulässt. Wir glauben, dass das lokalisierte gemeinsame Problem ein guter Anlass für den Start eines wirklichen gesellschaftlichen Dialogs, zur Schaffung eines neuen Gesellschaftsbegriffs ist. Es ist die Chance für eine Gesamtbetrachtung des ganzen Themas! Denn wir glauben etwas besseres verdient zu haben und auch in der Lage zu sein es zu erreichen. Nur unser Taten, unser Aktivwerden, unser Interesse kann eine Veränderung bewirken. (…) Wir können zu einem Ort werden, der durch seine Schaffenskraft und nicht über seine Hoffnungslosigkeit charakterisiert wird. (…) Unsere Inaktivität unsere Apathie kann letztendlich Mitschuld sein.
Genau wie Freiheit und Besonnenheit soziale und wirtschaftliche Gleichheit, Gleichberechtigung und Würde hervorbringen können, so kann auf der anderen Seite Willkür und Großkotzigkeit zum Himmel schreiende Ungerechtigkeiten, gesellschaftliches Unrecht, Armut, Parlamentsasyl, Privatinteressen und Unwürdigkeit hervorrufen. (…) Wir denken, dass Menschen, die mit Würde leben, wenn möglich ihre Probleme alleine lösen, oder ansonsten kollektiv und in Zusammenarbeit mit anderen. Die einzige Möglichkeit die momentan schlechte Situation zu verändern, ist die Entscheidung der Betroffenen aktiv zu werden und sich das zurück zu holen, was ihnen gehört. Es muss verstanden werden, dass wir in einer privilegierten Gegend leben, die als Quelle natürlichen und gesellschaftlichen Reichtums für kommende Generationen nur gerettet werden kann wenn ihr der Titel Bergbauregion aberkannt wird und die Schäden behoben werden. (…) Viel Zeit bleibt nicht. (…) Der Kampf für die Erde und die Freiheit ist ein Kampf für die Würde, die Solidarität und die Selbstbestimmung.
GWR: Ich danke euch und wünsche euch viel Kraft und Erfolg in eurem Kampf.