Es gibt immer mehr Menschen, die sich die steigenden Mieten nicht mehr leisten können oder die es satt haben, isoliert in teuren Wohnungen zu leben, in Häusern, wo keiner keinen kennt und im Fahrstuhl jede lieber allein ist.
Anders leben, wie geht das? Dass man solidarisch, selbstorganisiert, kollektiv wohnen kann, zeigen auch die im Kommuja-Netzwerk organisierten politischen Kommunen (1). Bettina Kruse (*1975) lebt in der Kommune Hof Rossee (2) bei Eckernförde. Sie ist häufige Autorin der Graswurzelrevolution und Mitherausgeberin des soeben erschienenen Kommunebuchs, in dem über kommunitäre Lebenszusammenhänge, Ziele, Standpunkte, Hoffnungen, aber auch über Probleme und Auseinandersetzungen innerhalb der Kommuneszene berichtet wird: "Der Wunsch, herrschaftsfreie Räume zu schaffen, die sowohl individuelle Entfaltung ermöglichen als auch kollektive Kräfte freisetzen und den Weg zu wirkmächtigen Alternativen öffnen, ist zeitlos wie aktuell. Und so nötig wie nie zuvor." (3)
Am 26. September interviewten GWR-Praktikantin Janina Rott und GWR-Redakteur Bernd Drücke im Studio des Medienforums Münster die telefonisch aus Barkelsby (Schleswig-Holstein) zugeschaltete Kommunardin. Das Interview wurde am 10. Oktober 2014 als Radio Graswurzelrevolution-Sendung im Bürgerfunk auf Antenne Münster (95,4 Mhz., www.antennemuenster.de) ausgestrahlt und erscheint hier in einer überarbeiteten Druckversion. (GWR-Red.)
Janina Rott (GWR): Wie bist Du dazu gekommen in einer Kommune zu leben? Gab es irgendwann einen entscheidenden Punkt, wo Du gesagt hast: Ich werde so leben?
Bettina Kruse: Den entscheidenden Punkt gab es nicht. Ich bin ganz klassisch in einer Kleinfamilie großgeworden und habe mir da auch nicht viele Gedanken zu gemacht. Ich war allerdings, als ich nach Kiel gezogen bin, Mitte der 90er Jahre, in einer Graswurzelgruppe aktiv und wir haben das einerseits als Gewaltfreie Aktionsgruppe gesehen und uns andererseits mit dem Thema Anarchie im Alltag beschäftigt. Einige Menschen aus der Graswurzelgruppe Kiel waren damals in einer Kommune-Gründungsgruppe. Da haben wir auch darüber gesprochen in wie weit das eine Möglichkeit ist, anarchistische Utopien im Alltag zu versuchen umzusetzen. Ich fand das einleuchtend, dass Politik nicht nur auf Demos oder in Aktionen stattfinden sollte, sondern auch im Alltag und zuhause. Dann habe ich einige Umwege gemacht, war unterwegs im Ausland. Am Ende bin ich in einer Kommune gelandet.
Bernd Drücke (GWR): Viele Menschen wissen wahrscheinlich nicht, was eine Kommune ist. Kannst Du etwas zur Geschichte der Kommunen erzählen?
Bettina: Jein. Ich habe mich zunächst nicht viel mit der Geschichte der Kommunen beschäftigt. Als ich aber gemerkt habe, dass Leute oft diese „Kommune I“ und die „Otto Mühl Kommune“ damit assoziieren, habe ich mich doch damit auseinandergesetzt. Gerade diese zwei Gruppen hatten nichts mit den Ideen zu tun, mit denen ich mich identifiziere, weil es da überhaupt nicht um Herrschaftsfreiheit ging. Da ging es viel um Grenzüberschreitungen und deshalb habe ich gemerkt, dass ich mich von diesen Sachen, die unter dem Label „Kommune“ laufen, distanzieren möchte.
Im alten Kommunebuch habe ich etwas gefunden über die „Kommune 3“. In dieser ging es auch viel – von Frauen eingebracht – um Alltagsumgang, um Leben mit Kindern. Das fand ich interessant. Als ich mich selber mit Kommune angefangen habe zu beschäftigen, habe ich mich mehr an Gruppen orientiert, die Mitte der 90er aktiv waren.
Vor allem gehört da für mich die Kommune Niederkaufungen dazu, weil die sich gut organisieren, viel Praxis und viele Strukturen haben. Ich finde Strukturen toll. Inspiriert hat mich auch, was ich im Wendland bei den Anti-Castor-Aktionen erlebt habe, so eine große Solidarität auch im Alltag. Spannend finde ich, dass sich da in den letzten 10 Jahren viele kleine Kommunen gegründet haben. Manche gibt es da auch schon länger.
Die machen miteinander einen Austausch im freien Fluss, ohne etwas zu verrechnen. Was jetzt gelebt wird und wo ich mit Leuten im Austausch bin, das finde ich am spannendsten.
Janina: Interessant, auch wie Du dazu gekommen bist dich dazu zu entscheiden, in einer Kommune zu leben. Wann und wie ist Eure Kommune entstanden? Wie seid Ihr an das Grundstück gekommen?
Bettina: Da war ich noch nicht wirklich dabei. Aber weil ich mit einigen aus der Gründungsgruppe in einer Gruppe war, habe ich das eng verfolgen können. Es gab viele Gründungstreffen, wo zwischen 10 und 30 Leute aufgetaucht sind. Am Ende haben sich acht zusammengetan und gesagt, jetzt wollen wir etwas kaufen, denn ohne Ort können wir schlecht starten. Die haben dann Anzeigen geschaltet, z.B. im Bauernblatt, und so den Ort gefunden. Das ist ein ehemaliger Hof, der verkauft werden sollte. Das war 2001 und da ich in diesem Umfeld war, bin ich ein halbes Jahr später mit auf das Projekt gezogen, als Gast und noch nicht als Kommunardin. Damals habe ich im Bauwagen gewohnt.
Janina: Wie viele Leute seid Ihr jetzt? Produziert Ihr selber? Wenn ja, was?
Bettina: (lacht) Manche der Leute, die angefangen haben, haben gemerkt, dass Kommune doch nichts für sie ist und manche Konflikte haben wir nicht lösen können. Insofern gab es da viele Veränderungen. Im Moment sind wir fünf Erwachsene und zwei Kinder. Wir sind aber noch mit einigen weiteren im Gespräch, damit wir wieder mehr werden. Ich hätte gerne mindestens 10 Erwachsene hier, das ist eine stabilere Gruppengröße und macht das Zusammenleben einfacher. Wir produzieren irgendwie nichts (lacht), außer das, was der Garten von selber macht: Äpfel, Birnen,…
Die meisten von uns arbeiten außerhalb, sind abhängig beschäftigt, haben aber keine Vollzeitstellen, sonst hätten wir gar keine Zeit mehr für uns.
Janina: Wie sieht der Alltag bei Euch auf dem Hof aus?
Bettina: Wir treffen uns einmal die Woche zum Plenum und da versuchen wir auch einen halben Tag in der Woche gemeinsam etwas auf dem Hof zu machen, was nicht immer nur aufräumen oder so etwas sein muss, sondern es können auch schöne Sachen sein. Vielleicht auch interessant, das eine Kind ist 6 Jahre alt und da haben wir uns ein bisschen aufgeteilt, auch mit der Kinderbetreuung, dass das nicht nur die Eltern machen, das finde ich sehr schön. Wir haben hier ökologische Ferienwohnungen, das ist mein Hauptarbeitsbereich.
Bei so einem Gemeinschaftsprojekt muss man auch immer viele Sachen verwalten.
Bernd: Du hast die Kommune Niederkaufungen erwähnt. Sie hat auch durch ihre besondere Art zu wirtschaften Aufsehen erregt. Über 80 Menschen teilen dort seit 1986 ihren Besitz und das gemeinsame Einkommen nach den Bedürfnissen der Einzelnen, achten darauf, dass Arbeit, Produkte und Dienstleistungen sozial- und umweltverträglich sind. Ähnlich ist das auch in der Kommune Lutter, dem Olgashof und bei anderen Kommunen. Wie funktioniert das bei Euch?
Bettina: Das geht. Ich lebe seit ca. 10 Jahren mit gemeinsamer Alltagsökonomie. Das heißt, alles Geld, was wir einnehmen, verwenden wir gemeinsam. Bei uns wird ein bestimmter Anteil verwendet, um unsere laufenden Kosten für das Projekt zu decken. Wir haben da eine Art „Warmmiete“ ausgerechnet und legen noch etwas zurück, falls etwas plötzlich gemacht werden muss. Falls z.B. die Heizung kaputt geht. Den Rest des Geldes verwenden wir so, wie wir es brauchen, einmal die Woche macht einer von uns einen größeren Lebensmitteleinkauf usw.
Wir nehmen uns davon, was wir brauchen. Damit wir auch eine Idee davon haben, wie viel Geld vorhanden ist und was für Wünsche und Bedürfnisse die einzelnen haben, machen wir einmal im Jahr einen Finanztag, wo wir rechnen, planen und uns austauschen. Das klappt gut und es gibt auch einen angenehmen Rückhalt finanziell nicht alleine dem kapitalistischem Druck ausgesetzt zu sein.
Natürlich kann mensch sich auch gut über Geld und Zahlen streiten, ich denke aber, dass es dabei oft um andere Konflikte geht, die vielleicht nicht so einfach anzusprechen sind.
Bernd: Wie sieht das mit der persönlichen Altersversorgung in Eurer Kommune aus? Und was passiert, wenn jemand aussteigt?
Bettina: Was passiert, wenn eine Person aussteigt, haben wir, wie die meisten Kommunen, vertraglich geregelt. Deine persönlichen Sachen nimmst du na klar mit und auch Geld, um gut starten zu können. Für die Altersvorsorge gibt es, soweit ich weiß, bisher keine gemeinsame Lösung. Angestellte nehmen ja ihre Ansprüche mit und die sind unterschiedlich.
Es gibt Ideen, da etwas gemeinschaftlicheres zu entwickeln, aber das ist schwierig, teuer und dann irgendeine Private Rentenversicherung abzuschließen, wo am Ende wenig rauskommt, das Geld merkwürdig angelegt ist und nicht in die Kommune fließt, um z. B. Schulden vom Kauf kleiner zu machen, ist irgendwie auch quatsch. Also, das ist ein ungelöster Punkt. Wenn es dazu Ideen gibt, wäre ich sehr interessiert.
Bernd: Du bist aktiv im Kommuja-Netzwerk. Auf der Internetseite kommuja.de heißt es: „Kommuja ist ein Netzwerk politischer Kommunen. Wir wollen ein gleichberechtigtes Miteinander, Machtstrukturen lehnen wir ab. Wir wollen die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern und uns vom herrschenden Verrechnungs- und Besitzstandsdenken lösen.“ Das hört sich gut an. Kannst Du näher auf das Kommuja-Netzwerk eingehen? Was macht Kommuja? Wie viele Kommunen und Menschen sind dort vernetzt?
Bettina: Zurzeit sind 35 Kommunen Teil des Netzwerkes. Wie viele Menschen das genau sind? Keine Ahnung. Die größte Kommune hat 80 Menschen und die Kleinste 3. Wir treffen uns einmal im Jahr zu einem internen Netzwerktreffen, wo wir uns austauschen und diskutieren. Da kommen immer so zwischen 30 und 60 Leute.
Nach außen machen wir auch etwas. Als Netzwerk organisieren wir alle zwei Jahre ein großes „Los Geht’s“. Das heißt so, weil es losgehen soll Kommunen zu gründen. Zwischendurch gibt es regionale „Los Geht’s“, die sind kleiner.
Dieses Jahr gab es eins in Österreich und im September war bei uns das „Los Geht’s – Nord“ [siehe GWR 391]. Dieses Treffen, oder vielleicht kann man auch Festival sagen, soll einen Raum schaffen, wo man sich intensiv mit dem Thema Kommune, also gemeinsam und solidarisch zu leben, auseinandersetzen kann. Da gibt es verschiedene Workshops zu den Inhalten, die wir bei Kommunen wichtig finden.
Was ich auch toll dabei finde, ist, dass aus den verschiedensten Kommunen im Netzwerk Leute dabei sind, die erzählen, wie die das in ihrer Gruppe machen. Mit denen kann man dann in Austausch kommen. Wir machen auch alle paar Jahre eine Kommune-Infotour. Da war ich auch schon dabei. Da fahren wir dann mit einem Kleinbus durch die Lande und an Orten, wo uns das geeignet erscheint, machen wir Infoveranstaltungen, wo wir gerne mit den Leuten ins Gespräch kommen und gucken wollen, was an anderen Orten an solidarischen Strukturen vorhanden ist. Seit einiger Zeit versuchen wir uns auch als Netzwerk an politischen Aktionen zu beteiligen. Wo ich dabei war, hatten wir mal eine Kommuja-Bezugsgruppe bei den Wendlandcastoren, oder, da war ich nicht dabei, auf dem BUKO (4) gab es schon mal ein Kommuja-Café und einen Büchertisch.
In dem Bereich würden wir gerne mehr machen, aber das klappt nicht immer. Wenn wir etwas machen, dann könnt ihr das auch auf unserer Homepage finden. Wichtig ist uns auch, Gründungsgruppen zu unterstützen.
Bernd: Klasse. In der Nähe von Münster, in Laer, gab es viele Jahre lang die mittlerweile aufgelöste Kommune Laerifari. Ansonsten gibt es in Münster auch alternative Wohnprojekte: die Wagenburg, die ist recht groß. Dann das Nieberding, die Grevener Straße 31, die schon 1972 besetzt wurde und heute immer noch ein alternatives Wohnprojekt ist, und die selbstverwalteten Häuser an Breul und Tibusstraße, in denen wir mit 60 Leuten leben. Die Grafschaft 31 wurde gerade gegründet und ist Teil des Mietshäusersyndikats, also eines bundesweiten Zusammenschlusses alternativer Wohnprojekte.
Habt ihr als Kommuja-Bewegung auch Kontakte zu ähnlichen, selbstverwalteten Wohnprojekten, wie ich sie jetzt gerade aufgezählt habe?
Bettina: Als Kommuja-Netzwerk irgendwie nicht. Das läuft eher über Beziehungen, über Menschen, die man kennt, vielleicht aus der politischen Arbeit, und wie die jetzt leben.
Wir kennen Leute in Kiel, da gibt es zwei genossenschaftliche Wohnprojekte und da kennen wir auch überall Leute. Wir sind mal mehr und mal weniger im Austausch. Mit dem Mietshäusersyndikat gibt es manchmal Überschneidungen, dann machen wir auch etwas zusammen. Aber da habe ich jetzt nicht so viel Kontakt, obwohl wir jetzt gerade gemerkt haben, wir müssen auf jeden Fall mal wieder etwas zusammen machen. Es soll nämlich ein neues Vermögensanlagegesetz geben und das ist für alle Wohnprojekte wichtig da hinzuschauen, denn wenn das so durchgeht, dann wird es bald total schwierig sein, noch Direktkredite zu bekommen. Das soll dann alles unter Aufsicht gestellt werden. Es wäre sinnvoll da jetzt mal auf die Homepage www.syndikat.org/de zu gucken und sich darum zu kümmern, dass wir weiterhin auch unabhängig von Banken unsere Projekte finanzieren können.
Janina: Wenn man mit anderen Menschen darüber spricht, wie es wohl wäre in einer Kommune zu leben, da kommt von vielen der Einspruch, dass man dort viel arbeiten muss und kaum Freizeit hat. Du hast ja schon gesagt, dass Ihr gar nicht so viel selber produziert. Wie sieht das in der Realität aus? Ist es so, dass man weniger Zeit hat oder kann man sich trotzdem noch gut politisch engagieren?
Bettina: Müßiggang und Kommuneleben sind immer wieder Thema, das ist wichtig. Jetzt ist die Frage, womit man das vergleicht. Wenn ich das jetzt vergleiche mit der Zeit, als ich selber studiert habe, da hatte ich mehr Zeit für politisches Engagement. Aber wenn ich gucke wie andere Leute jetzt in Kleinfamilien leben oder im Arbeitsleben eingebunden sind, dann denke ich, dass ich größere Freiräume habe. Ja, das kann man nicht so direkt sagen, also gerade in einer Zeit, wo eine Gruppe neu startet, dann braucht man eben auch viel Zeit für Gruppenprozesse, für Wohnraumbeschaffung, meistens können wir uns ja keine Häuser leisten, die groß und fertig ausgebaut sind.
Man muss Geld fürs tägliche Leben rankriegen. Aber das muss man auch, wenn man nicht in einer Kommune lebt.
Bernd: Im Januar 2014 ist in der GWR Nr. 385 ein Artikel von Dir erschienenen, über Kommune und Freiheit. Da hast Du u.a. geschrieben: „Freiheit ist ein wichtiger Teil der anarchistischen Utopie“. Kannst Du das konkretisieren? Weil die Massenmedien den Begriff immer noch verdrehen, denken viele Leute ja leider immer noch, dass Anarchie Chaos und Terror bedeutet. Wir haben als Reaktion auf die letzte Radio Graswurzelrevolution-Sendung Hörerbriefe bekommen, die genau diesen massenmedial beeinflussten Tenor hatten. Was bedeutet Anarchie für Dich?
Bettina: Ja, was jetzt gelebte Anarchie ist, kann ich gar nicht sagen, das weiß man ja auch nicht wirklich und das wird sehr vielfältig sein. Die Wortbedeutung ist Herrschaftsfreiheit und das ist für mich das wichtigste an der Idee, also dass keine und keiner Macht über mich hat und dass Entscheidungen freiwillig und gemeinsam getroffen werden, wenn sie mich betreffen.
Bei diesem Wort „freiwillig“, das sind ja auch zwei Teile, etwas mit Freiheit und mit willig. Ich glaube nicht, dass es darum gehen kann, egoistische Ziele zu verfolgen, sondern, dass es mehr darum geht, verantwortlich Dinge miteinander regeln zu wollen.
Gerade bei dem Artikel, den du angesprochen hast, da habe ich mich dann auch gefragt, was bedeutet Freiheit im Zusammenhang mit Kommune? Eben kam ja schon durch, vielleicht hat man keine Zeit mehr, vielleicht kann man Sachen nicht mehr frei entscheiden. Frei von Herrschaft sagt ja noch nichts darüber aus, was man denn dann macht. Der Freiheitsbegriff, den wir in unserer westlichen Welt haben, ist ja oft mit Autonomie verbunden, also im Sinne von Unabhängigkeit. Da denke ich, dass das die falsche Idee von Freiheit ist. Antje Schrupp schreibt ja auch öfters für die Graswurzelrevolution, mit ihr gehe ich sehr d’accord. Sie hat auch gesagt: das kann eigentlich gar nicht die richtige Auslegung von Freiheit sein, denn Menschen sind nicht unabhängig. Menschen sind immer abhängig von anderen, eine Freiheit gibt es nur in Bezogenheit, also wenn man sich aufeinander bezieht. Ich finde, die Kommune ist schon, auf jeden Fall für mich, ein gutes Übungsfeld davon. Ich weiß ja, dass ich von den anderen abhängig bin und damit geht es mir besser, als wenn ich von irgendeinem Arbeitgeber abhängig bin oder vom Amt.
Bernd: Du warst in der Graswurzelgruppe Kiel aktiv. Du verstehst dich als Anarchistin? Wie kam es dazu? Kannst Du etwas dazu erzählen?
Bettina: Jaaa, ich verstehe mich als Anarchistin, ich finde ja Schubladen so blöd (lacht). Ich würde lieber sagen, viele anarchistische Ideen finde ich sehr inspirierend, allerdings auch Ideen aus dem Feministischen und aus dem Queerfeministischen. (5)
Ganz zu Anfang bin ich eher über eine feministische Schiene in die Graswurzelgruppe geraten und habe auch lange damit gehadert, dass das so eine gemischte Gruppe ist und dass Anti-Atom mehr Raum hat, als sich mit Geschlechterrollen und -hierarchien auseinanderzusetzen. Prinzipiell kann ich sagen, dass es mich interessiert, mich mit Alternativen zur jetzigen kapitalistischen Gesellschaft auseinanderzusetzen und auch mit Leuten in Kontakt zu sein, die andere Dinge ausprobieren oder die Geschlechterhierarchien in Frage stellen.
Janina: Kannst Du noch etwas zum neuen Kommune-Buch sagen?
Bettina: Ja, gerne. Es ist aus dem Kommuja-Netzwerk entstanden. In einem vierjährigen Prozess hat sich eine Gruppe von Leuten immer wieder getroffen, Themen diskutiert, Texte verfasst. An diesem intensiven Prozess war ich selber nur am Rande beteiligt.
Ich habe einen Text mit Ulli aus der Kommune Niederkaufungen geschrieben, da geht es um das Thema Arbeit, bzw. dass wir den Begriff Arbeit nicht mehr verwenden wollen. Das Buch ist umfangreich, das finde ich toll. Es gibt viele Texte, die sind interessant für Menschen, die sich mit dem Thema Kommune beschäftigen wollen, aber auch für Leute, die schon Gruppen- und Gemeinschaftserfahrungen hinter sich haben. Es sind nicht nur theoretische Texte, es ist auch ein Interview verschriftlicht worden und es wurde eine Umfrage ausgewertet. Es gibt inhaltlich acht Themenbereiche: Zusammenhalt, Geschlechterverhältnisse, Politik, Ökonomie, Arbeit und Altwerden, ein bisschen etwas zur Kommunegeschichte und ein Kapitel Praxis: Loslegen, Suchen, Gründen, Ankommen. Es ist eine gelungene Mischung.
Bernd: Das finde ich auch. Das alte KommuneBuch vom Verlag Die Werkstatt ist vor 16 Jahren erschienen (6). Das habe ich damals auch gelesen, ein tolles Buch. Aus dem neuen Kommunebuch haben wir in der GWR 392 einen Vorabdruck gebracht. Du hast gerade erzählt, dass es in dem Beitrag, den Du mit Ulli für das neue Kommunebuch geschrieben hast, um das Thema Arbeit geht. Erzählst Du uns dazu noch ein bisschen mehr?
Bettina: Ich finde diesen Begriff Arbeit doof, wir sollten von Tätig sein sprechen und vor allem, dass alles, was Arbeit ist, irgendwie schwer und anstrengend sein muss. Ich finde, wir sollten unser Leben so nicht zergliedern lassen.
Mit dem Thema Arbeit habe ich mich intensiv auseinandergesetzt, damit, dass vielleicht durch das gemeinsame Kommuneleben auch dieser Arbeitsbegriff ganz in Frage gestellt wird. Wir haben gedacht, dass verschiedene Sachen, die man so macht, Reproduktionsarbeit, Lohnarbeit, das wollen wir eigentlich nicht, dass alles unterschiedlich bewertet wird oder dass davon dann irgendwie ausgegangen wird wie viel Geld man ausgeben darf.
In diesem Prozess wurde es immer merkwürdiger von Arbeit zu reden, weil dann plötzlich alles irgendwie Arbeit war: Beziehungsarbeit, Kinderbetreuung, Essen kochen,… Deshalb kam in diesem Kommunebuch-Schreibprozess die Idee auf, dass vielleicht tätig sein oder Tätigkeiten zu machen, die gut für die Gruppe und für einen selber sind, dass das doch noch mal die Perspektive wechselt und man dann auch ein anderes Gefühl zu seinem Alltag bekommt. Ich weiß nicht, wie das bei euch ist? Ist euer Leben aufgeteilt in Arbeit und Nicht-Arbeit?
Bernd: Es ist nicht repräsentativ wie ich lebe. Ich bin privilegiert, weil ich für die GWR arbeite und in einem alternativen Wohnprojekt wohne. Meine Arbeit ist zwar prekär, macht aber zu 90 Prozent Spaß, weil ich sie für sinnvoll und nicht entfremdet halte. Die Produktion der GWR ist ein kreativer, kollektiver Prozess, der basisdemokratisch mit den GWR-AutorInnen und -MitherausgeberInnen läuft. Am Monatsende haben wir das Ergebnis in der Hand. Ein Glücksfall.
Janina: Ich trenne zwischen Studium und privat. Bei mir ist im Moment das Studieren meine Arbeit. Da ist das unterschiedlich, es macht manchmal Spaß, manchmal nicht, es kommt immer darauf an, was man gerade so für Seminare hat. Privat ist es so, dass ich mich gerne politisch engagiere. Das ist dann für mich aber eigentlich keine Arbeit in dem Sinne, das ist dann eher etwas, was ich gerne mache und was mir wichtig ist. Also, wenn ich jetzt Arbeit höre, denke ich eher an negative Sachen.
Bettina: Ja, das kommt da auch so ein bisschen bei rum. Arbeit ist das, was eigentlich keinen Spaß machen darf. Das erinnert mich an eine Anekdote, die wir mal bei einem Kommunetreffen hatten. Da hat eine Frau erzählt, sie hätte da beim Plenum gesagt: „Oh, die Arbeit im Garten macht mir total Spaß“. Dann kam als Antwort: „Dann ist es ja eher deine Freizeit, dann kannst du ja noch etwas anderes machen, einen anderen Arbeitsbereich übernehmen.“ Da kommt noch einmal heraus, wie verrückt unser Denken eigentlich ist.
Bernd: Ja, das ist in gewisser Weise immer noch die „protestantische Arbeitsethik“, die im Kapitalismus eine Rolle spielt und auch in unseren Köpfen herumspukt. Die Calvinisten haben viel gearbeitet und Reichtümer angehäuft, weil sie dachten, dann im „Himmelreich“ einen besseren Posten zu bekommen.
AnarchistInnen lehnen die kapitalistische Lohnarbeits-Tretmühle ab. Wir kämpfen für das Recht auf Faulheit. Alle sollen glücklich leben können und so viel oder wenig arbeiten wie sie möchten. Das sollte im Idealfall oft Spaß machen.
Anarchismus bedeutet auch Kampf gegen entfremdete, sinnlose Arbeit wie Panzer, Waffen und Atomkraftwerke bauen, Wegwerfprodukte für den Konsum produzieren usw. Es kommt auch auf die Form der Arbeit an, ob man ausgebeutet wird, einen Chef hat oder im Kollektiv arbeitet und versucht, hierarchische Strukturen zu überwinden.
Im Kapitalismus lebt man normalerweise immer noch in einer hierarchischen Struktur, wo Chefs bestimmen und wir nur Rädchen im System sind. Dieses ausbeuterische System wollen wir überwinden.
Bettina: Aber so lange das System noch da ist, brauchen auch die Kommunen Kohle. Da ist es dann sinnvoll zu gucken, was verbinde ich mit diesem Arbeitsbegriff und will ich ihn überhaupt noch so benutzen? Man tut den ganzen Tag ja etwas, was für sich, was für andere, was für Geld, was für Bildung, und die Care-Arbeit auch noch oder diese Tätigkeiten. Es macht Sinn, da umfassender drauf zu gucken.
Bernd: Eine Frage ist auch, wie man den Begriff Arbeit historisch fasst. Im Mittelalter war der Begriff gleichbedeutend mit „Mühsal“ und „Strapaze“. Im Kapitalismus gibt es ein Verständnis von Arbeit, das im Grunde durch die Calvinisten geprägt wurde: Arbeiten, um „gottgefällig“ zu sein. Fleiß, das Erlangen von Macht und Reichtum sind in dieser Sichtweise Pflichten, die ins „Himmelsreich“ führen, Müßiggang ist Sünde. Der Soziologe Max Weber hat diesen Einfluss der „protestantischen Ethik“ auf die Entstehung des Kapitalismus gut beschrieben. Haben wir jetzt einen anderen Arbeitsbegriff? Wollen wir den Arbeitsbegriff komplett über Bord werfen? Ich finde es wichtig zu unterscheiden, auch zwischen entfremdeter Lohnarbeit und Arbeit, die einem Spaß macht und die man für sinnvoll hält.
Bettina: Und was ist dann mit der sogenannten Reproduktionsarbeit?
Bernd: Die ist sinnvoll.
Bettina: Ja, aber die ist nicht immer super lustig inspirierend und macht total Spaß. So Kacke wegräumen, Kotze aufwischen,…
Bernd: Ja, das stimmt.
Bettina: … Klo putzen, den Abwasch machen, also da sind ja auch viele Sachen, die sind einfach notwendig, aus sich heraus, für ein gutes Leben. Deshalb finde ich es schwierig, an diesem Arbeitsbegriff festzuhalten.
Denn auch dieses Wort Reproduktionsarbeit greift ja letztlich zu kurz. Ich möchte nicht, dass das, was ich tue, unter einen Begriff fällt, der nur dafür da ist, dass man kapitalistisch ausbeutbar ist. Den Begriff Care finde ich gut, da gehört das ja dazu, also, dass es Zeit gibt, sich umeinander zu kümmern, miteinander im Austausch zu sein und eben diese Basis-Versorgungsleistung, so haben wir es auch im Kommunebuch geschrieben, die ist die Grundvoraussetzung dafür, dass es einem gut gehen kann.
Bernd: Wenn Du auf die letzten Jahre zurückschaust, würdest Du dann sagen, es hat sich gelohnt eine Kommune zu gründen? Kannst Du dir ein besseres Wohnen vorstellen?
Bettina: Ich kann mir eigentlich gar nicht vorstellen anders zu leben. So, wenn ich sehe, wie andere alleine leben, oder in einer Kleinfamilie, das könnte ich mir auch gar nicht vorstellen. Ich habe ja auch ein Kind und bin auch mit dem Vater zusammen.
Besser wohnen, das könnte ich mir schon vorstellen. Ein bisschen mehr Dämmung (lacht).
Ja genau, also es gibt hier immer etwas zu tun, wir sind immer noch am Bauen und suchen noch Leute. Wir sind im Prozess mit einigen. Insofern hoffe ich, dass es immer noch besser wird als es schon ist.
Bernd: Welche Perspektiven der Kommunebewegung und des Kommuja-Netzwerkes siehst Du?
Bettina: Im Moment finde ich es schwierig über Perspektiven zu sprechen. Eine Krise jagt die andere. Wenn wir uns noch mehr ins Außen einbringen, das fände ich gut. Ich weiß von einer Gruppe aus dem Netzwerk, die auch sehr in der Flüchtlingssolidarität aktiv ist. Also, wenn da viel mehr von uns noch kommen würde… Ansonsten hoffe ich, dass wir Sachen ausprobieren, die nicht so „normal“ sind. Dass das vielleicht auch andere Leute inspiriert, wenn wir unsere Erfahrung weitergeben, damit wir eine Idee entwickeln, was wir nach der Krise machen können. Ich habe keine Ahnung, wann das so weit ist, aber es sieht nicht so aus, als wenn das so weitergehen könnte wie bisher.
Bernd: Mal angenommen Leute lassen sich durch dieses Interview inspirieren, was würdest Du denen empfehlen?
Bettina: Das Kommuja-Netzwerk möchte gerne andere Gruppen unterstützen und über die Homepage kann man Kontakt kriegen. Da ist auch eine Liste der zugehörigen Kommunen, vielleicht ist auch eine in der Nähe. In manchen Gruppen, in Niederkaufungen, manchmal bei uns, da gibt es Wochenenden, Kommune-Seminare nennen wir das, wo wir auch Zeit und Raum haben wollen, um über Themen zu reden, wie z.B.: Kasse, oder wie kann man Gemeinschaftsbesitz regeln?
Wie kann man sinnvoll Entscheidungen treffen? Wie kann man ein soziales Miteinander gestalten? Gibt es Erfahrungen, wo es um solche Dinge geht? Das würde ich sagen und ansonsten: Anfangen!
Janina: Noch eine Frage: Was wolltest Du schon immer einmal in einer Radiosendung sagen? (lacht)
Bettina: Genau, eine witzige Fragestellung. Zum Thema Kommune würde ich am liebsten sagen: Gründet Kommunen, vernetzt euch, probiert Sachen aus und ja, „wann, wenn nicht jetzt, wo wenn nicht hier, wie, wenn ohne Liebe und wer, wenn nicht wir?“ (lacht) Ein bisschen poetisch, aber genau das gilt nach wie vor. Wenn wir was verändern wollen, sollten wir anfangen.
Janina und Bernd: Ein schönes Schlusswort. Herzlichen Dank für das Gespräch.
(2) Kontakt: Kommune Hof Rossee, Rossee 1, 247360 Barkelsby. http://hof-rossee.de
(3) Kommuja: Das Kommunebuch. utopie.gemeinsam.leben, Assoziation A, Berlin/Hamburg, Oktober 2014, 344 Seiten, 18 Euro, ISBN 978-3-86241-431-4, www.assoziation-a.de/vor/Kommunebuch.htm
(4) Die Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) steht für emanzipatorische Politik, radikale Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse und für eine internationalistische Bewegung. Sie ist ein unabhängiger Dachverband, dem über 120 Eine-Welt-Gruppen, entwicklungspolitische Organisationen, inter- bzw. transnationalistische Initiativen, Solidaritätsgruppen, Läden, Kampagnen und Zeitschriftenprojekte sowie zur Zeit fast 100 Einzelpersonen angehören." (weitere Infos unter www.buko.info)
(5) Zum Thema Queerfeminismus siehe auch: Warum ich nicht queer bin. Eine autobiografische Annäherung von Antje Schrupp, in: GWR 348, April 2010, www.graswurzel.net/348/queer.shtml
(6) Das alte "KommuneBuch. Alltag zwischen Widerstand, Anpassung und gelebter Utopie" (Verlag Die Werkstatt, Göttingen 1998) soll bald auf www.kommuja.de dokumentiert werden.