Im November 2014 musste sich ein Polizeibeamter vor dem Amtsgericht Saarbrücken wegen "Körperverletzung im Amt" verantworten. Am Rande eines Neonaziaufmarsches im Sommer 2013 hatte er einen 22-jährigen Mann, der sich an einer Gegendemonstration beteiligte, durch einen Hieb mit dem Schlagstock am Kopf verletzt. Der Beamte rechtfertigte sein Handeln in einem Vermerk mit der Behauptung, der Student sei mit erhobener Faust auf ihn zugekommen, weshalb dieser wegen "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte" angezeigt wurde. Videoaufnahmen des Geschehens verdeutlichten jedoch, dass der Polizist augenscheinlich vollkommen unvermittelt den Mann mit dem Schlagstock attackiert hatte.
Das Amtsgericht verurteilte den Beamten zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten auf Bewährung. Auch in München stand kürzlich ein Polizist wegen „Körperverletzung im Amt“ vor Gericht.
In einer Gewahrsamszelle auf einer Polizeiwache hatte er eine bereits gefesselte junge Frau mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Die Folgen für die 23-Jährige: Eine gebrochene Nase und ein gebrochener Augenhöhlenbogen. In einer ersten Reaktion hatte der damalige Münchner Polizeipräsident das Handeln seines Beamten als „konsequente Vorgehensweise“ bezeichnet.
Der Amtsrichter sah das anders und verurteilte den Polizisten zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung und einer zusätzlichen Geldstrafe. Der Beschuldigte hatte seine Tat zuvor als „Notwehr“ zu rechtfertigen versucht.
Annäherungen an das Schlagen
Die Ohrfeige, der Faustschlag oder der Hieb mit dem Stock: Die Art und Weise des Zuschlagens ist ebenso variabel wie dessen Intensität, die vom einfachen „Klaps“ bis hin zum exzesshaften Erschlagen reichen kann. Das Schlagen stellt die unmittelbarste und alltäglichste Form physischer Gewalt dar.
Diese Feststellung gilt auch für Polizisten. Zum einen geraten Polizeibeamte oft in Situationen, in denen ihnen die Anwendung physischer Gewalt unumgänglich erscheint. Zum anderen sind es aber auch Polizeibeamte, die zu Zielfiguren gewalttätiger Übergriffe werden.
Dieses Spannungsverhältnis zwischen Schlagen und Geschlagen-Werden, zwischen Aktionsmacht und potentieller Verletzungsoffenheit des eigenen Körpers prägt wesentlich die Wahrnehmungen und Verhaltensweisen von PolizistInnen.
Ein simples, aber für die Ausübung unmittelbarer Gewalt sehr funktionales Einsatzmittel ist der Schlagstock, der zudem die Autorität des staatlichen Gewaltmonopols am markantesten symbolisiert.
Streifzüge durch die Geschichte des Schlagstocks
Der Schlagstock setzte sich als charakteristische Polizeiwaffe und Symbol des staatlichen Gewaltmonopols erst nach 1945 durch. Die Polizei des Kaiserreichs hatte beim Einschreiten gegen DemonstrantInnen vor allem „Blankwaffen“ wie etwa den Säbel zum Einsatz gebracht.
Für die Niederschlagung von Unruhen stand das Militär als innenpolitische Ordnungsmacht bereit. Allerdings galt schon damals vor allem in Teilen der Öffentlichkeit die Anwendung quasi militärischer Gewalt als „barbarischer Skandal“.
Während der Weimarer Republik unternahm vor allem das preußische Innenministerium Anstrengungen, die Polizei zu „zivilisieren“. Bis zum Beginn der 1930er Jahre gehörten „Blankwaffen“ zwar weiterhin zu den polizeilichen Ausrüstungsgegenständen, denen allerdings vorwiegend repräsentative Bedeutung zukam.
In Preußen wurden seit 1924 die Polizeidienststellen für den Einsatz „auf der Straße“ mit Gummiknüppeln ausgestattet.
Das Innenministerium erhoffte sich davon die Auswirkungen polizeilicher Gewaltanwendung abzumildern. Die Beurteilung des Schlagstocks durch die Polizei selbst fiel jedoch ambivalent aus. Das „Waffentechnische Unterrichtsbuch für den Polizeibeamten“ vermerkte: „Besonders beim Einsatz geschlossener Verbände findet der Polizeischläger in der vordersten Linie vorteilhaft Verwendung“. Zahlreiche „Praktiker“ hingegen schätzten dessen Einsatzwert als eher gering ein. Die ultima ratio für die Bewältigung von Unruhen stellte weiterhin die Schusswaffe dar.
Daran konnten die Nationalsozialisten nahtlos anknüpfen, als sie nach der Machtübernahme im Januar 1933 daran gingen, die bestehenden Polizeikonzepte zu beseitigen. Schon bald setzte ein gezielter Militarisierungsprozess ein. Nationalsozialistische Polizeitheoretiker beabsichtigten die Trennungslinien zwischen Polizei und Armee aufzulösen. Zum polizeilichen Leitbild avancierte der „Polizei-Soldat“.
Der Gummiknüppel galt als Symbol der demokratischen „Systemzeit“. Das Reichsinnenministerium untersagte bereits im Juli 1933 dessen Gebrauch im Straßendienst. Die Maßnahmen verdeutlichten die Abkehr vom polizeilichen Verhältnismäßigkeitsprinzip. In den „Grundsätzen für die Polizei“ hieß es: „Tiefe symbolische Bedeutung hatte es daher, als der Polizeibeamte den Polizeiknüppel ablegen durfte: Nicht Schlagen ist Art des deutschen Mannes, sondern wenn es sein muss, Kämpfen. […] Wer sich gegen Führer, Volk und Vaterland stellt, den trifft die Waffe, dann aber auch bis zur Vernichtung.“
Die Abschaffung des Schlagstocks bedeutete keineswegs das Ende physischer Gewaltausübung. Ob in den Konzentrationslagern oder bei der Gestapo: Allenthalben wurde Ge- und Erschlagen. Sei es durch den Einsatz der Fäuste, sei es unter Verwendung von Hilfsmitteln wie der Stahlrute, die zu den polizeilichen Ausrüstungsgegenständen gehörte.
Das Ende des NS-Regimes hatte in mehrfacher Hinsicht Konsequenzen für die deutsche Polizei. Deren Selbstverständnis stand den britisch-amerikanischen Vorstellungen einer entmilitarisierten „Bürgerpolizei“ entgegen. Für Unmut in Polizeikreisen sorgte die von den Alliierten zunächst vorgenommene Entwaffnung der Beamten. Die Ausstattung mit Schusswaffen wurde streng reglementiert. Stattdessen führten die Besatzungsmächte den im Nationalsozialismus abgeschafften Schlagstock wieder ein.
Die in der britischen Zone ausgegebenen Holzknüppel stießen bei deutschen Polizisten oft auf Ablehnung. Seit Beginn der 1950er Jahre knüpfte die Polizei in der Bundesrepublik jedoch wieder an die Ausbildungs- und Ausrüstungsstandards der Weimarer Zeit an. Im Zentrum polizeilicher Bedrohungsanalysen bis zur Mitte der 1960er Jahre standen vermeintlich drohende bewaffnete (kommunistische) Umsturzversuche. Die seit 1951 aufgestellten Bereitschaftspolizeien wiesen daher paramilitärische Züge auf.
Die „Schwabinger Krawalle“ im Juni 1962 sowie die „Beatkrawalle“ der Jahre 1965/66 verdeutlichten jedoch, dass die auf die Bewältigung von Bürgerkriegsszenarien fixierten polizeilichen Einsatztaktiken und Ausrüstungsstandards der Wirklichkeit in der Bundesrepublik nicht entsprachen. Auch die Demonstrationen und Aktionsformen der 68er-Bewegung, bei denen es zwar zu teils gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen war, konnten kaum als Umsturzversuche „bewaffneter Banden“ bezeichnet werden.
Auf administrativer Ebene leiteten die Notstandsgesetze im Jahr 1968 eine strukturelle Entmilitarisierung der Polizei ein. Die Gesetze, die seither in Krisenfällen den Einsatz der Bundeswehr im Landesinneren ermöglichen, führten zu einem Funktionswandel der Bereitschaftspolizeien und des Bundesgrenzschutzes (BGS), die ihre Bedeutung als potentielle „Bürgerkriegsarmeen“ verloren. Die militärischen Waffen verschwanden allmählich aus den Arsenalen der Polizei. Die Beamten wurden nunmehr mit Helmen, Schildern und langen Schlagstöcken aus Holz oder Plastik ausstaffiert.
Die Entmilitarisierung der Polizeiverbände seit dem Ende der 1960er Jahre war auch Ausdruck eines neuen Leitbildes, das die Polizei als einen Bestandteil des expandierenden Sozialstaates definierte. Polizeiliches Einschreiten sollte präventiv und weniger repressiv erfolgen, Gewalt bei Demonstrationseinsätzen minimiert werden.
Die Reformeuphorie innerhalb der Polizei verlor jedoch angesichts der „bleiernen Zeit“ der „Terrorismusbekämpfung“ an Elan. Nun wurde wieder die Frage nach Bedeutung und Notwendigkeit des „‚Militärischen‘ im polizeilichen Handeln“ intensiver diskutiert.
Zudem kam es gerade bei Protesten während der 1970er Jahre zu heftigen Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstrationsteilnehmern. Schauplätze für Konfrontationen gab es viele: etwa der „Frankfurter Häuserkampf“ in den Jahren 1971-1974 oder die Proteste gegen die Atomkraftwerke in Brokdorf, Grohnde oder Kalkar.
Den seit 1968 vorgenommenen Reformen folgten weitere Umbrüche in den 1980er Jahren. Während dieser Zeit flammten erneut Diskussionen über polizeiliche Einsatzphilosophien auf. Große Bedeutung kam hier dem „Brokdorf-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 1985 zu, das den Grundrechtscharakter der Versammlungsfreiheit betonte. Das polizeiliche Einschreiten sollte sich gegen „Störer“, nicht aber gegen die gesamte Versammlung richten. Die vom Bundesverfassungsgericht erhobene Forderung nach gezieltem Eingreifen stellte neue Ansprüche im Hinblick auf polizeiliche Taktik und Ausrüstung. Seit Ende der 1980er Jahre riefen daher nahezu alle Bundesländer sowie der BGS „Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten“ (BFE) ins Leben. Diese besonders geschulten Einheiten sollten ein schnelles Einschreiten gegen „Störer“ ermöglichen.
Die Ambivalenz der neuen Einsatzkonzepte, die Forderung nach „Deeskalation“ einerseits, die Androhung massiver Härte gegen „Störer“ andererseits, spiegelte sich in einem neuartigen Schlagstockmodell, dem Tonfa, wider, mit dem seit Mitte der 1980er Jahre zunächst die polizeilichen Spezialeinheiten ausgestattet wurden. Um die mit den Begriffen „Schlagstock“ und „Knüppel“ verknüpften Assoziationen zu vermeiden, erhielt der ursprünglich aus dem Fernen Osten stammende Ausrüstungsgegenstand die Bezeichnung „Mehrzweckeinsatzstock“ (MES). Der ca. 61 cm lange Stock aus Hartplastik verfügt auf einem Viertel der Länge über einen 14 cm langen Griff. Im Gegensatz zu konventionellen Schlagstöcken, mit denen der Polizist im Grunde „nur“ schlagen konnte, erlaubt der MES flexible Anwendungen.
So kann der Stock wie eine Schiene am Unterarm mitgeführt werden. Diese Trageweise ist unauffällig und erscheint kaum bedrohlich. Zudem können mit Hilfe des durch den MES verstärkten Unterarm Schläge oder Wurfgeschosse abgewehrt werden.
Polizeitechniker betonten vor allem dessen defensive Eigenschaften. In einem Trainingshandbuch heißt es entsprechend: „Seine Handhabung basiert weitestgehend auf Techniken, die aus dem Bereich Selbstverteidigung / Ju-Jutsu stammen.“ An gleicher Stelle wird jedoch betont: „Der MES ist, eine fundierte Ausbildung vorausgesetzt, eine sehr wirksame Waffe.“
Tatsächlich bedeutete die Einführung des MES eine Verschärfung des Gewaltpotentials. Der Stock erlaubt über den seitlichen Griff Drehschläge, die mit ungemein größerer Wucht ausgeführt werden können als Schläge mit einem normalen Knüppel. Ein Vertreter der Polizeigewerkschaft GdP konstatierte demnach: „Wenn der Stock bei Dreh- und Schleuderbewegungen einen Kopf trifft, dann knackt er jeden Schädel.“
Schlagstock und „Cop Culture“
Neben seiner „praktischen“ Funktion sind dem Ausrüstungsgegenstand offenkundig auch kulturelle bzw. subkulturelle Bedeutungsebenen eingeschrieben. Vor allem der Soziologe Rafael Behr hat in seinen Arbeiten über den „Alltag des Gewaltmonopols“ auf die Existenz polizeispezifischer Subkulturen aufmerksam gemacht. Diese oft von der offiziösen Polizeikultur abweichende „Cop Culture“ entsteht und reproduziert sich im alltäglichen Dienst. In ihr kommen die durch Einsatzerfahrungen geprägten Wahrnehmungsmuster und Ressentiments zum Ausdruck, die Selbstverständnis und Habitus der Polizisten mitbestimmen. Innerhalb polizeilicher Subkulturen sind kämpferisch aufgeladene Männlichkeitsvorstellungen weit verbreitet, die ihre spezifischen Stilmittel hervorbringen. Der Schlagstock könnte ein solches sein.
Diese Annahme scheint vor allem auf die Angehörigen der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten zuzutreffen.
Im Zentrum der Erwartungshaltungen, die viele BFE-Beamte vor oder während ihrer Einsätze entwickeln, steht der Wille, sich in der Konfrontation zu bewähren. Die „hohe Motivation“, die diesen Polizisten regelmäßig bescheinigt wird, ist demnach nicht nur auf die Durchsetzung bestimmter polizeilicher Ziele hin ausgerichtet. Sie resultiert vielmehr auch aus persönlichen oder gruppenspezifischen Befindlichkeiten. Gewalttätige Konfrontationen mit Demonstranten oder Hooligans bieten die Gelegenheit, die kriegerisch-männlichen Selbstentwürfe zu reproduzieren und sich der Leistungsfähigkeit des eigenen Körpers zu vergewissern.
Die Selbstbilder der Beamten sind aber nicht nur vom Vertrauen auf die eigene Aktionsmacht geprägt, sondern auch von dem Bewusstsein, dass sich ihr Körper gleichzeitig als verletzlich erweisen kann. Im Verlauf gewalttätiger Konfrontationen liegen diese Wahrnehmungen eng beieinander.
Die Praktiken, mit denen sich die Beamten zu polizeilichen „Kämpfern“ stilisieren oder zu solchen stilisiert werden, greifen auf mythische Bilder vom vormodernen Krieger ebenso zurück, wie auf futuristisch geprägte Vorstellungen vom Cyborg. Der Helm, der Einsatzanzug, oftmals auch die Motorradmaske, die dem Beamten ähnlich wie dem autonomen Straßenkämpfer einen „Nimbus der Militanz“ verleiht – all diese Utensilien weisen demnach über ihre reine Funktionalität hinaus.
Sie stellen Requisiten dar, die den kampfbereiten Körper inszenieren. Diese Praktiken sind jedoch ambivalent. Mit dem Anlegen der Schutzausrüstung nehmen die Beamten die Rolle des „gepanzerten Kriegers“ an, zugleich erinnert aber genau jener „Panzer“ die Polizisten ständig an die eigene Verletzbarkeit.
Zentrale Bedeutung kommt der Waffe zu. Sie ist Werkzeug der eigenen Aktionsmacht, wie auch ein Gegenstand, mit dem der „Kämpfer“ seinen Körper in konfrontativen Situationen schützen kann. Der Schlagstock trägt entscheidend zur martialischen Selbstdarstellung bei. Er wirkt bedrohlich auf das Publikum und reproduziert gleichzeitig das kämpferische Selbstbild des Polizeibeamten. Von Beginn an wurden die BFEs mit Tonfas ausgestattet. Der Ausrüstungsgegenstand verdeutlichte deren exklusiven Charakter, blieb er doch zunächst diesen Formationen vorbehalten. Das Führen des MES erfordert besondere Fähigkeiten, ähnlich wie in früheren Zeiten das Schwert.
Zu vermuten ist, dass das intensive Training mit dem Stock und dessen „gekonnte“ Verwendung im Einsatz die Herausbildung einer kriegerisch-männlichen „Cop Culture“ fördert und entsprechende Handlungsmuster evoziert. Der Soziologe Wolfgang Sofsky konstatiert: „Wie jedes technische Artefakt prägt auch die Waffe ihren Gebrauch vor und bestimmt dadurch die Tat. […] Die Waffe trägt auch Bedeutungen, sie hat Kulturwert. Sie ist inkorporierte Gewalt und symbolische Gewalt in einem. Die Waffe demonstriert Macht und Stärke. Sie ermutigt ihren Besitzer und schüchtert den Gegner ein.“
Gernort Piestert, der ehemalige Leiter der Berliner Schutzpolizei, wies bereits vor einigen Jahren auf den seiner Meinung nach nicht zu unterschätzenden Einfluss der Bewaffnung auf die Psyche der Beamten hin.
Im Hinblick auf eine künftige standardmäßige Ausstattung der geschlossenen Polizeieinheiten Berlins mit dem MES betonte er: „Mit dem Mehrzweckstock kann aus dem gewollten Gefühl der Überlegenheit leicht ein Gefühl von Macht entstehen, das sich negativ auswirken kann. Eine äußere Aufrüstung führt auch zu einer inneren.“
Insgesamt scheint jedoch der Schlagstock in jüngster Zeit an Bedeutung eingebüßt zu haben. Stattdessen greifen Polizeibeamte verstärkt auf Pfefferspray oder die eigenen Fäuste zurück.
Die Sinnlichkeit des Schlagens
Wenig Beachtung gefunden haben bislang die Emotionen, die die Ausübung unmittelbarer physischer Gewalt bei TäterInnen, Opfern und ZuschauerInnen hervorruft. So enthält das Schlagen in den Wahrnehmungen der Geschlagenen, wie auch bei denjenigen, die das Schlagen beobachten, immer die Angst vor der Hemmungslosigkeit des Schlagenden.
Existentielle Bedrohungsgefühle werden nicht nur durch den Anblick des Schlagstocks, die Ungewissheit über die Dauer der Tortur oder zugefügte Verletzungen hervorgerufen, sondern auch durch die dumpfen Geräusche, die entstehen, sobald der Schlagstock den Körper des Geschlagenen trifft. Das Schlagen stellt demnach eine äußerst sinnliche Erfahrung dar.
Die Ängste, ge- oder erschlagen zu werden, resultieren nicht nur aus eigenen körperlichen Erfahrungen. Es bedarf lediglich der Drohung, dass etwas passieren könnte. Demnach entstehen existentielle Ängste bereits durch die allgegenwärtigen Berichte, in denen vom Schlagen die Rede ist.
Wenige Bilder rufen ähnliche Emotionen hervor, wie die des Schlagens. Heftige Reaktionen lösten etwa die Videoaufnahmen der polizeilichen Übergriffe in Los Angeles im Jahr 1991 aus. Die Aufnahmen, die eine Gruppe von Polizeibeamten zeigten, die mit Schlagstöcken auf den am Boden liegenden Rodney King einprügelten, sorgten weltweit für Empörung. Als die beteiligten Polizisten im April 1992 von einem Gericht freigesprochen wurden, kam es zu tagelangen Ausschreitungen.
Bemerkenswerterweise waren es nicht die regelmäßig von Bürgerrechtlern erhobenen Vorwürfe, die den unverhältnismäßigen Schusswaffengebrauch der vorwiegend „weißen“ Polizei von Los Angeles gegen Schwarze anprangerten, sondern die Bilder vom „Schlagen“, die dazu beitrugen, eine erneute Gewaltspirale in Bewegung zu setzen.
Ähnlich verstörend wirkten die Berichte von den Vorfällen in Genua während des G8-Gipfels im Juli 2001. Betroffenheit und Entsetzen entzündeten sich am deutlichsten an jenen Bildern, die die blutigen Wände der Diaz-Schule zeigten, in der dutzende GlobalisierungsgegnerInnen von PolizistInnen verprügelt worden waren.
„Paralyse“ statt „Fragmentierung“?
Die Entwicklungen im Bereich der polizeilichen Ausrüstung stellen keinen linearen Prozess hin zu einer Minimierung physischer Gewalt dar. Gleichwohl sind die Veränderungen innerhalb der Polizei seit den Zeiten des Kaiserreichs unverkennbar.
Die Polizei begreift sich nunmehr als zivilgesellschaftliche Instanz. Ein Anspruch, der auch im polizeilichen Sprachgebrauch seinen Ausdruck findet.
Potentielle Konfliktsituationen bei Protestereignissen sollen durch kommunikatives „Konfliktmanagement“ bewältigt werden.
Im Kontext dieser Transformationsprozesse haben sich auch die Gewaltpraktiken verändert. Der Historiker Thomas Lindenberger hat auf den Wandel der kulturellen Codes hingewiesen, die entscheidend die Formen von Gewaltausübung beeinflussen. So waren am Beginn des 20. Jahrhunderts für die Disziplinierung (polizeilich) männlicher Aggressionsbereitschaft militärische Muster prägend.
Der Gebrauch des Säbels bezweckte nicht nur die physische Unterdrückung Protestierender, er war gleichzeitig Ausdruck einer sozial-kulturellen Distanzierung.Heute weisen Konfrontationen zwischen PolizistInnen und DemonstrantInnen oft sportlich hedonistische Züge auf. In den Projektionen, mit denen zumindest ein Teil der Protagonisten in die Auseinandersetzungen geht, scheint die Figur des Einzelkämpfers eine zentrale Rolle zu spielen.
Auf den „sportlichen“ Aspekt dieser Gewaltpraktiken verweist nicht zuletzt der Tonfa, der als Requisit fernöstlicher Kampfsporttechniken vermarktet wird. Diese neuen Formen der Konfliktaustragung, so resümiert Lindenberger, gründen in einer Gesellschaft, die „nicht nur den umfassenden Gewaltverzicht zwischen Individuen, sondern auch ein Gesundheits- und Fitnessideal [fordert und fördert], das jeden und jede einschließen soll, zugleich jedoch unter dem Label des ‚Sports‘ den legitimen Rahmen für die Kultivierung neuer, hybridisierter Formen des ritterlich-männlichen Kampfes abgibt.“
Andererseits repräsentieren die zivileren, „sportlichen“ Ausrüstungsgegenstände weiterhin ein erhebliches Gewaltpotential. Ob und in welchem Ausmaß Gewaltpraktiken zur Anwendung kommen, hängt von den PolizeibeamtInnen selbst ab, deren Handlungen ebenfalls von unterschiedlichsten Emotionen geprägt sind.
Individuelle wie kollektive Aggressionen und Ressentiments, aber auch Ängste bedingen eigensinnige Verhaltensweisen, die sich offiziösen Leitbildern oftmals entziehen. Prügelexzesse wie der geschilderte auf dem Münchner Polizeirevier gehören in der Bundesrepublik verglichen mit anderen Regionen der Welt zu den Ausnahmen.
Dennoch ist Skepsis gegenüber jenen Prognosen angebracht, die behaupten, eine künftige Ausstattung der Polizei mit Einsatzmitteln wie etwa dem MES, dem Pfefferspray oder der Elektroschockwaffe „Taser“ werde zu polizeilichen (Gewalt)praktiken führen, die nicht mehr die womöglich irreversible „Fragmentierung“, sondern eine lediglich temporäre „Paralysierung“ des Körpers bezwecken.
Der Fall Rodney King verdeutlicht, dass der Gebrauch „moderner“ Polizeiwaffen keineswegs zu einer Zivilisierung (polizeilicher) Gewaltausübung führen muss. King wurde, bevor die Beamten auf ihn einschlugen, mit einem Taser bewegungsunfähig geschossen. Auf den Einsatz von „moderner“ paralysierender Gewalt folgten die „traditionellen“ Praktiken unmittelbarer physischer Gewalt.
Die Begriffe „Tradition“ und „Moderne“ stehen hier nicht in einem Widerspruch zueinander, sondern ergänzen und verstärken sich gegenseitig.
Zwei verbreitete Auffassungen stehen demnach zur Diskussion. Zum einen die Vorstellung, mit der Durchsetzung der verrechtlichten, arbeitsteiligen und ausdifferenzierten Industriegesellschaft habe die Bedeutung unmittelbarer physischer Gewalt zugunsten anderer „rationalerer“ Formen der Konfliktaustragung an Bedeutung verloren.
Zum anderen die Feststellung, dass in diesem Prozess auch die Gewaltpotentiale der Polizei eine Minimierung erfahren hätten.
Die Auffassung, sämtliche Machtbeziehungen seien letztendlich durch Gewaltausübung oder durch die Androhung von Gewalt fundiert, greift wiederum zu kurz. Die Erscheinungsformen und Spielarten der Macht sind mannigfaltig.
Die Angebote, Versprechungen und Hoffnungen, die sich etwa an „Gratifikations-“ oder „Partizipationsmacht“ knüpfen, gründen nicht zwangsläufig auf gewalttätigem Handeln. Dennoch hieße es einer „Lebenslüge“ der „Moderne“ aufzusitzen, wollte man die Alltäglichkeit unmittelbarer Gewaltpraktiken übersehen. Diese Feststellung gilt nicht nur, aber auch für das polizeiliche Handeln. Der Blick auf den erhobenen Schlagstock möge daran erinnern.
Anmerkungen
Michael Sturm ist Historiker und lebt in Münster.