Für alle, die bei dem Wort Graswurzelrevolution zuerst an Gartenarbeit denken, gibt’s zu Beginn noch eine kleine Erklärung: Mit Graswurzelrevolution wird eine tief greifende gesellschaftliche Umwälzung bezeichnet, in der durch Macht von unten alle Formen von Gewalt und Herrschaft abgeschafft werden sollen. Mit Graswurzel sind eben die Menschen an der Basis gemeint, die gesellschaftliche Veränderung soll von dort aus, und nicht von oben durch irgendwelche PolitikerInnen erreicht werden. „Graswurzelrevolution“ ist aber auch der Name einer Zeitung. Wie sie selbst sagen, sind sie das einflussreichste und älteste Organ des Anarchismus im deutschsprachigen Raum. Tatsächlich erscheint das Blatt schon seit 1972. Dabei blieben die HerausgeberInnen stets ihren Prinzipien treu. Sie haben sich nicht wie viele andere linke Publikationen in den Mainstream integriert, sondern arbeiten noch immer nach einem basisdemokratischen Prinzip. Das heißt, einen Chef oder eine Chefin gibt es nicht und alle Entscheidungen, die die Zeitung betreffen, werden vom HerausgeberInnenkreis gemeinsam getroffen. Ca. 30 Leute, fast alle ehrenamtlich, sorgen dafür, dass die Zeitung einmal im Monat erscheint und die AnarchistInnen von heute mit geistiger Nahrung versorgt.
Über sich selbst sagen sie: „Wir kämpfen für eine Welt, in der die Menschen nicht länger wegen ihres Geschlechtes oder ihrer geschlechtlichen Orientierung, ihrer Sprache, Herkunft, Überzeugung, wegen einer Behinderung, aufgrund rassistischer oder antisemitischer Vorurteile diskriminiert und benachteiligt werden. Wir streben an, daß Hierarchie und Kapitalismus durch eine selbstorganisierte, sozialistische Wirtschaftsordnung und der Staat durch eine föderalistische, basisdemokratische Gesellschaft ersetzt werden.“
Gewaltfreiheit, NATO und Anti-AKW
Die Themen der Artikel sind vielfältig: Internationales, aber auch die Kämpfe von AktivistInnen hier an der Basis werden vorgestellt, wobei eine kräftige Portion anarchistische Theorie nicht fehlen darf. Wie ein rotes Band ziehen sich die beiden Schwerpunkte der Zeitung durch die Ausgaben: Umweltschutz und Antimilitarismus. Die Zeitung bezieht eindeutig für einen pazifistischen Anarchismus Position. Eine herrschaftsfreie Gesellschaft soll durch gewaltfreie Aktionsformen erreicht werden, Gewalt gegen Sachen ist aber ok. Wenn man nun der Meinung ist, im Kampf für eine andere Welt sollte man sich besser alle Türen offen halten, zumal die Gegenseite ja auch nicht gerade zimperlich ist, wird man nicht alle Artikel mögen. Es ist nichts Schlechtes, wenn eine Zeitung konsequent ihre Position vertritt, da weiß man auch gleich, woran man ist. Es sollte aber klar sein, dass es nicht DEN Anarchismus gibt, sondern viele Formen und Wege, Anarchie zu leben. Natürlich spiegelt sich die anti-militaristische Haltung in der Berichterstattung wider. Daher finden sich viele Artikel zur Situation von Kriegsdienstverweigerern, zur Militärpolitik von BRD und EU, aber auch Berichte von Aktionen gegen die Kriegspolitik wie z.B. Artikel über die Proteste gegen den alljährlichen NATO-Gipfel in München. Aus aktuellem Anlass wurde auch viel zu den Ereignissen rund um die Proteste gegen 60 Jahren NATO berichtet. Ein großes Thema ist auch die Situation in Israel und Palästina. Hierzu bringt die GWR nicht erst seit dem letzten Krieg ausführliche Berichte. Dabei werden natürlich die Aktionen der israelisch-palästinensischen Gruppe „Anarchists Against The Wall“ besonders aufmerksam verfolgt.
Wie schon erwähnt ist der Umweltschutz ein weiteres Anliegen der „Graswurzelrevolution“. Dabei konzentrieren sie sich in alter Tradition besonders auf die Anti-Atom-Bewegung. An deren Entstehung waren Graswurzelgruppen schließlich maßgeblich beteiligt.
Die GWR berichtet aber nicht nur über die Anti-AKW-Proteste vor ihrer Haustür, sondern informiert über die Aktionen von AtomkraftgegnerInnen auf der ganzen Welt. Auch Gentechnik, Umweltzerstörung durch Staudämme und Tierbefreiung werden in der GWR aus einer anarchistischen Perspektive beleuchtet.
Graswurzelrevolution auf Türkisch
Mit der zweisprachigen Beilage „otkökü“, was auf türkisch „Graswurzel“ bedeutet, wurde von den ZeitungsmacherInnen der Versuch gestartet, TürkInnen und KurdInnen im deutschsprachigen Raum zu erreichen. Kein einfaches Unterfangen, sind viele von ihnen doch eher in orthodox-kommunistischen Strukturen organisiert und selten anti-militaristisch eingestellt. Und die unpolitisierten Leute erreicht man eben auch kaum über eine anarchistische Zeitung. Deshalb gab es den Plan, die „otkökü“ zusätzlich in der Türkei selbst zu vertreiben. Dort wurde aber schon die erste Ausgabe fast komplett vom Zoll beschlagnahmt. Darin wurde auch über den Völkermord an den ArmenierInnen geschrieben, was vom türkischen Staat geleugnet und unter Strafe gestellt wird. Deshalb mussten die MitarbeiterInnen der GWR in der Türkei mit ernsten Folgen rechnen. Auch mit Themen wie Kriegsdienstverweigerung oder der Schwulen-Lesben-Bewegung in der Türkei war die „otkökü“ für den Staat unbequem. Die Repression war sicher ein Hauptgrund, warum die „otkökü“-Beilage nach acht Ausgaben wieder eingestellt wurde.
Zensur und staatliche Repression
Aber auch in Deutschland blieb die GWR in ihrer über 35-jährigen Geschichte nicht von Repressionen verschont. Regelmäßig wird sie im Verfassungsschutzbericht erwähnt. Ein Ermittlungsverfahren wegen „Aufforderung zu Straftaten“ wurde in den 80ern eingestellt. Ein Aktivist hatte in der GWR über seine Erfahrungen beim Absägen von Strommasten berichtet, eine in der Anti-Atom-Bewegung übliche, gewaltfrei Aktionsform. Weil er das guthieß wurde der Artikel als Aufruf zur Sabotage ausgelegt. Ein Appell an Bundeswehrsoldaten, während des Golfkriegs zu desertieren, brachte der Zeitung ein weiteres Verfahren ein. Auch das wurde eingestellt, obwohl die Redaktion durchsucht und Druckvorlagen beschlagnahmt wurden. Mit einer anderen Form von Zensur muss sich die GWR heute herumschlagen. In tausenden Schulen in Deutschland kann nämlich nicht auf die Internetseite der GWR zugegriffen werden. Wie viele sicher aus eigner Erfahrung wissen, kann man von Schulcomputern bestimmte Seiten nicht öffnen. Man sollte meinen, das hat damit zu tun, dass die Kids nicht während des Unterrichts irgendwelche Ballerspiele zocken. Aber nein, der Staat verhindert so auch, dass die aufmüpfige Jugend mit anarchistischen Ideen in Berührung kommt. Nicht nur die GWR ist von diesem Filter betroffen, auch viele andere anarchistische Webseiten. Wenn ihr nun Lust bekommen habt, selbst mal in eine GWR hinein zu schmökern, eure blöde Schule das aber verbieten will, kann ich euch beruhigen. Die Zeitung gibt’s nicht nur bei Demos und politischen Veranstaltungen, auch in jedem halbwegs vernünftigen Bahnhofskiosk sollte sie zu finden sein. Trotzdem lohnt es sich, einen Blick auf die Homepage zu werfen. Neben den alten Ausgaben der GWR findet ihr dort auch aktuelle Infos zu Aktionen und viele Links zu anderen anarchistischen Seiten.
Lasst euch nicht von RTL und BILD-Zeitung verblöden. Aber glaubt auch nicht alles, was in den „seriösen“ Zeitungen steht. Kritische Informationen können für die Mächtigen ganz schön unbequem werden. Alternative Lebensentwürfe, wie die Anarchie einer ist, können den Leuten die Augen öffnen. Um das zu verhindern bombardieren uns die Medien stattdessen mit Angst-Meldungen über Terrorismus und Krisen aller Art. Um zu sehen, was außerhalb des kleinen Bereichs passiert, den uns die vom Staat und Wirtschaft beeinflussten Medien vorsetzen, ist es wichtig, sich andere Informationen zu beschaffen. Ein Blick in die GWR zeigt dir jedenfalls ein anderes Bild der Welt als es die Tagesschau tut. Hier wird angesichts der Krise schon laut über Sabotage nachgedacht. Und obwohl deutlich gemacht wird, in welchem kranken System wir leben, zeigt die GWR immer wieder, dass auf der ganzen Welt Menschen dagegen kämpfen.
Bettina (www.plastic-bomb.de)
aus: Plastic Bomb Nr. 67 (07.06.09), www.plastic-bomb.de