Andreas W. Hohmann (Hg.): Ehern, tapfer, vergessen. Die unbekannte Internationale. AnarchistInnen & SyndikalistInnen und der Erste Weltkrieg, Verlag Edition AV, Lich 2014, ISBN 978-3-86841-093-8, 285 S., 18 Euro
Das Buch „Ehern, tapfer, vergessen. Die unbekannte Internationale. AnarchistInnen & SyndikalistInnen und der Erste Weltkrieg“ bietet einen sehr guten Überblick und eine Menge wertvoller Informationen über die vergessenen Diskussionen und Antikriegsaktionen der anarchistischen und syndikalistischen Bewegung in verschiedenen Ländern.
Es werden dabei grundlegende Kontroversen deutlich, denn nicht erst der II. Weltkrieg – mit dem Kampf gegen den NS weitaus verständlicher -, sondern schon die Positionen zum I. Weltkrieg brachten eine tiefe Spaltung der internationalen anarchistischen Bewegung mit sich. Kropotkin kündigte schon 1906 an, er werde im Kriegsfall das „Frankreich der Revolutionen“ gegen Deutschland verteidigen, nur war dieses bürgerlich-republikanische Frankreich dann mit dem reaktionären russischen Zarismus verbündet.
Die langjährige, von breitem Grundkonsens getragene antimilitaristische Vorkriegsagitation zerfiel im Kriegsfall vielerorts erschreckend schnell.
Ausgezeichnet, dass Michael Halfbrodt mit „Das Manifest der Sechzehn“ von 1933 (S. 13-53) einen grundlegenden Text des hierzulande noch unbekannten, aber bedeutsamen belgischen gewaltfreien Anarchisten Hem Day (1902-1969) übersetzt hat, der einen umfassenden Überblick zu dieser umstrittenen und zu Gegenerklärungen der KriegsgegnerInnen geradezu herausfordernden Position der Kropotkin-„Interventionisten“ gibt und dabei relevante Stellungnahmen innerhalb der europäischen anarchistischen Bewegung dazu im Wortlaut wiedergibt. Die Kontroverse setzte sich nach Kriegsende die gesamten Zwanzigerjahre hindurch fort.
Nach dieser transnationalen Diskussion bietet das von Andreas W. Hohmann herausgegebene Buch Texte zu den Diskussionen in einzelnen europäischen Ländern, weiter hinten sogar zu Argentinien, Brasilien und Neuseeland.
Zuerst werden Originaltexte von Anarchisten/Syndikalisten aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren mit Schwerpunktsetzungen zu einzelnen Strömungen abgedruckt (Grigori Maximoff zum Syndikalismus in Russland; Gerhard Aigte zum Syndikalismus in Frankreich; Pierre Ramus zur Kritik der Sozialdemokratie in Österreich), im weiteren Verlauf historische Gesamtdarstellungen (Martin Veith zu Rumänien; Franco Bertolucci zu Italien; Walther Bernecker zu Spanien).
Besonders spannend lesen sich m.E. die Ereignisse in Italien, wo eine antimilitaristische Demonstration im Juni 1914 zu einer „Roten Woche“ mit Generalstreik und Revolten überging, die dazu beitrug, dass sich der Kriegseintritt Italiens um zehn Monate verzögerte (S. 154ff.). Auch die in der Situation von 1915 ermutigende Agitation der Anarchistin Leda Rafanelli gegen den als „revolutionären Krieg“ legitimierten Kriegsinterventionismus wird erwähnt (S. 160). Dass es in Italien zum Ende des Krieges hin rund 50.000 Kriegsdienstverweigerer gab, ist enorm (S. 172).
So wird dieses Buch seinem Anspruch gerecht, einen Blick auf die vergessenen „Nein-Sager“ und die Antikriegsaktionen der libertären Arbeiterbewegung zu werfen, noch dazu in einem interessanten Vergleich der Geschehnisse in verschiedenen Ländern.