Was tun, wenn's klemmt. Strategien gegen die Bewegungsstarre. gONZo Verlag, Mainz 2014, 72 S., 6 Euro, ISBN 978-3-944564-01-2
Die Beiträge in diesem Band des gONZo Verlages haben eines gemeinsam: Sie kritisieren die autonome Bewegung von Innen oder aber wenigstens mit einer gewissen Grundsympathie. Und auch, wenn mir einiges entweder nicht weit genug oder auch zu weit geht, so rennen die Individuen und Gruppen mit ihrer Kritik bei mir offene Türen ein.
Denn als ich mich selbst in „autonomen Strukturen“ (so nannten wir das) bewegte, beschlich mich bereits vor ziemlich langer Zeit das ungute Gefühl, dass etwas Grundlegendes schief lief: Konnte es richtig sein, wenn die Welt da draußen, die wir ja ändern wollten und in der die meisten von uns wenigstens den halben Tag verbrachten, wenn diese Welt mit ihren falschen Voraussetzungen und Ausgrenzungen und unser autonomes Dasein mit seinen freiheitlichen Ideen so wenig miteinander zu tun hatten? Wer nicht in unserem Infoladen auftauchte, den hatten wir in der Regel gar nicht auf dem Radar! Wir wollten so anders sein wie unsere Eltern, und wie schockiert war ich daher, als z.B. der Moderator der WDR Sendung „ZAK“ Friedrich Küppersbusch Autonome als „spießig“ wahrnahm. Schließlich, nachdem wieder jemand, der oder die sich engagieren wollte, an unserer eiskalten Überheblichkeit und Angst abgeprallt war, dämmerte mir, was in dem Band so beschrieben wird:
„Autoritäres Gehabe findet sich bei Ihnen nicht signifikant seltener als anderswo, meine Liebe. Das glauben Sie nicht? Achten Sie gelegentlich auf den Ton, wenn es bei Ihnen mal wieder etwas disharmonischer zugeht, wenn beispielsweise einer Ihrer Mitstreiter eine der in Ihrer Welt geltenden Regeln verletzt – oder sollte ich ‚herrschenden Regeln‘ sagen? Wie schnell wird da plötzlich jemand angeherrscht? Wie schnell wird die Sprache aggressiv und in ihrem Gefolge auch die Handlungen?“
Ausdrücklich begrüße ich, dass endlich sonst Selbstverständliches eingefordert und benannt wird (und das, obwohl nach Kontakt mit der Staatsgewalt auch meine Haut schon mal so aussah wie die meines eigenen blauen Avatars): Wir müssen damit aufhören, „anderen ebenfalls ständig das Menschsein abzusprechen, konkret aus Polizisten nicht länger ‚Bullen‘ und aus ‚Bullen‘ nicht länger ‚Schweine‘ zu machen. … Sollen die Fronten soweit verhärten, dass am Ende blanker Vernichtungswille regiert? Zwei von ihnen für einen von uns und dann munter hinein, in die nicht enden wollende Blutrache?“
Und wie schwer wird es sein, nicht hinter den in der Demokratie gewährten Freiheitsrechten zurückzufallen (was niemals geschehen darf)! „Sie“ gegen „uns“ kann es einfach nicht sein: „Was denken Sie, was passiert, wenn Polizei und Militär aufgehört haben zu existieren? Gehören wird die Straße dann Banden aus dem Bereich der organisierten Kriminalität etwa oder Rockergangs und natürlich der extremen Rechten.“
Zuwenig Beiträge (nämlich genau einer anhand der Müllentsorgung) weisen darauf hin, dass wer überzeugen will, auch nachvollziehbare Vorschläge braucht. Ich denke sogar, es müsste etwas in der Art eines leicht verständlichen Manifestes sein, in dem, wie ich finde, die Frage des Gemeineigentums an erster Stelle stehen sollte. Anhand dieses blinden Fleckes tritt etwas zu Tage, was die autonome Bewegung oft unfruchtbar macht, nämlich das Schmoren im eigenen Saft. Warum sich nicht mehr mit anderen anarchistischen, sozialistischen oder syndikalistischen Ansätzen beschäftigen? Was ist mit Produktion und Selbstorganisation? Nichts wird gehen, solange niemand bereit ist, dafür mehr als den keinen Finger zu rühren.
Manches in dem Band liest sich, sorry, wie der schönste Tagtraum des Staatsschutzes, z.B. die Vorschläge, die Rote Flora eigenhändig abzureißen oder vom schwarzen Block auf halbnackte Flower Power Performance umzuschulen. Anderseits sollte es uns tatsächlich zu denken geben, wenn eben jener Staatsschutz Krawalle initiiert, bis hin zu Steine werfendenden Beamten, um Widerstand ausgrenzen zu können. Was mir noch fehlt? Was ist, wenn Autonome Kinder bekommen (soll vorkommen) oder einfach so älter werden? Mit 80 noch im schwarzen Block? Ich jedenfalls möchte mit meinem unpolitischen (und das darf er auch bleiben!) Nachbarn im Szenetreff, Mensch ärgere dich nicht, Halma oder Schach spielen und dort abends der Hobbymusikerin von nebenan zuhören, die auch mal den Ton nicht richtig trifft. Insgesamt macht mir der Band aber Mut. Autonome Köpfe sind dann doch groß genug, dass sich in ihnen die Denkrichtung ändern kann, Radikalität macht nicht mehr vor den eigenen Widersprüchen halt. Danke dafür und wenn daraus ein neuer Weg entsteht, haben wir viel gewonnen.