prima klima

Rein in die Grube, raus aus der Kohle!

Rückblick auf das Klimacamp und die "Ende Gelände"-Aktionen. Ausblick auf die Zukunft der Klimabewegung

| Floh

Am Samstagmorgen, den 15. August 2015, als sich etwa 1300 Klimaaktivist_innen mit weißen "Schutzanzügen" und Staubmasken "bewaffnet" vom Klimacamp aus auf den Weg zum Tagebau machten, trennte sie eine Autobahn und viele Hundertschaften Polizei (insgesamt waren 1500 Cops im Einsatz) vom Tagebau. Wegen dieser doch eher ungünstigen strategischen Ausgangslage galt es zu dieser Stunde als ungewiss, ob es gelingen würde tatsächlich in den Tagebau zu gelangen, um diesen für diesen Tag zu dekarbonisieren.

Doch schon nach kurzer Zeit gelang es einem von vier Fingern (dem „grünen“, internationalen Finger), durch eine Unterführung durchzubrechen, welche eigentlich von Polizei gesichert war.

Als dann die Autobahn dank einer Kletteraktion an einer Autobahnbrücke gesperrt werden musste, gelang es auch den anderen drei Fingern auf die Tagebauseite der Autobahn zu gelangen. Auf offenem Feld stellten dann die Polizeiketten keine ernstzunehmende Schwierigkeit dar und wurden einfach durchflossen. Am Ende gelangten von allen vier Fingern ein Großteil der Aktivist_innen in den Tagebau. Mindestens drei riesige Kohlebagger wurden über Stunden blockiert.

Das alles hat einen hohen Symbolcharakter für die Klimabewegung und die Chancen einer Dekarbonisierung von unten. Trotz dem absoluten Willen von RWE (der Vorschlag einer deeskalativen Strategie, den die Polizei machte, wurde laut Recherchen des WDR von RWE abgelehnt) gelang es ihnen nicht, die Klimabewegung aufzuhalten in ihrer Entschlossenheit den Tagebau zu blockieren. Das alles kann übertragen auch so gesehen werden, dass trotz der Blockadehaltung der fossilen Industrie eine Dekarbonisierung gelingen wird, wenn die Klimabewegung entschlossen genug agiert.

Die Aktion war auch für die Klimabewegung ein wichtiges Zeichen. Denn seit Jahren fehlen große Erfolgserlebnisse, um zu verhindern, dass die täglichen Horrormeldungen über den voranschreitenden Klimawandel geradewegs in die Resignation führen.

Weil RWE und Polizei um die Kraft dieser Bilder wissen, versuchten sie im Tagebau gezielt Journalist_innen an ihrer Arbeit zu hindern. Eine WDR-Journalistin wurde in Handschellen gelegt, genauso wie ihre Kollegin von der dänischen Tageszeitung Dagbladet Information, die „über mehrere Stunden gefesselt in einem Polizeikessel ausharren“ musste (taz.de). „Ihr Chefredakteur habe deswegen beim dänischen Außenministerium interveniert, das sich dann an die deutschen Behörden gewandt habe, berichtete sie“ (ebenda).

Auch die Journalistengewerkschaft DJU (innerhalb von Verdi) übt scharfe Kritik. Weil die Protestaktionen „von öffentlichem Interesse“ gewesen seien, habe es einen „Anlass zur Berichterstattung“ gegeben, sagte Geschäftsführerin Cornelia Haß der taz.

Aber auch die Strategie der Berichterstattungs-Verhinderung ging nach hinten los: Die Bilder über die Aktion entstanden natürlich trotzdem, nur wurden sie nun noch weiter verbreitet, gepaart mit einer kritischen Berichterstattung auch bürgerlicher Medien. Denn (leider) ist es eines der wenigen Dinge, die diese zu einer kritischen Berichterstattung bewegen kann, wenn sie die Pressefreiheit in Gefahr sehen.

Die Bilder gingen um die Welt (selbst Fox News in den USA berichteten). Sie werden für Inspirationen sorgen und Mut machen. Somit ist die Wirkung dieser Aktion bestimmt nicht nur im ökonomischen Schaden für RWE zu bemessen. Die Inspiration ist allerdings keine Einbahnstraße und die Aktion ist aus internationaler Perspektive nicht überzubewerten (wie es einige im Freudentaumel taten). Die Herangehensweise bei dieser Aktionsform ist eine, die in der hiesigen Tradition spektrenübergreifender Massenblockaden seit dem G8-Gipfel in Heiligendamm steht. Aus anderen Ländern ist von starken Aktionen zu hören, die nach anderen Bewegungsansätzen geplant werden, und gucken wir in den globalen Süden, sind hiesige Bewegungsansätze sicher nicht anwendbar. International sollte sich also zurückgehalten werden mit Superlativen zu dieser Aktion, sondern diese eher als ein Puzzlestück einer wachsenden globalen Klimabewegung gesehen werden, die sich gegenseitig inspiriert.

Und da gibt es gerade von allen Kontinenten Mut machende Beispiele von Graswurzel-Klimabewegungen; auch und gerade aus den Ländern, die oft als Rechtfertigung dafür dienen, dass „wir“ (gemeint ist damit meistens Deutschland) ja das Klima „nicht alleine retten können“ (anhand der Zahlen der historisch angewachsenen Klimaschuld ein ziemlich absurder Diskurs): Aus den USA (wo sich in den letzten Jahren eine breite Klimabewegung bildete, die unter anderem zahlreiche Kohlekraftwerke verhinderte) und aus China (wo ein teilweise sehr heftiges Vorgehen gegen die Emissionen aus Industrie und Energieproduktion stattfindet).

Sicherlich sind diese Widerstände alle zu punktuell und zu klein, um der Größe des Problems Klimawandel gerecht zu werden, aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir gerade historisch an dem Zeitpunkt angelangt sind, an dem der Klimawandel sich von einem abstrakten Problem der Zukunft in ein akutes Problem der Gegenwart wandelt, das ganz konkret die eigenen Lebensverhältnisse an vielen Orten der Welt verschlechtert. Mancherorts zerstört der Klimawandel schon seit Jahren lokale Lebensgrundlagen, an anderen Orten wird es noch einige Jahre oder gar Jahrzehnte dauern. Klar ist es der geographische Süden, der größtenteils identisch mit dem politischen Süden ist, der zuerst leidet, und klar gibt es dadurch unterschiedliche Perspektiven auf den Klimawandel. Aber dennoch wird es auch global eine Verschiebung der Wahrnehmung des Klimawandels geben, wenn dieser mehr und mehr als aktuelle Realität auftritt. Wenn sich dieser historische Zeitpunkt überschneidet mit einer Überwindung der Resignation mit der große Teile der Gesellschaft(en) dem Klimawandel gegenüberstehen, ist Großes möglich. Nämlich das, was heute noch kaum jemand zu hoffen wagt: Dass der Klimawandel tatsächlich auch eine Chance bietet, überkommene Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen zu überwinden (die zudem schon immer scheiße waren).

Neben der Aktion selber waren aber auch das zehntägige Klimacamp und die „Degrowth-Summer-School 2015“ wichtige Elemente, um die wachstumskritische Klimabewegung aus der Marginalisierung zu holen. In Kursen, Workshops und Podien bildeten sich die Woche über insgesamt rund 2000 Teilnehmer_innen (über die Tage verteilt) weiter und vernetzten sich. Gerade auch die Vernetzung mit den ca. 300 anwesenden „Internationals“ war sehr wichtig für die Klimabewegung vor Paris, wo die UN-Klimaverhandlungen im Dezember stattfinden werden.

Die Degrowth-summer-School brachte ein neues Spektrum zur Bewegung hinzu, das eher aus einer akademischen Richtung die Notwendigkeit einer Wachstumsrücknahme propagiert, aber auf der letztjährigen europaweiten Degrowth-Konferenz zu dem Ergebnis gekommen ist, dass Degrowth praktischer werden und am fossilen Kapitalismus ansetzten muss. So kamen Bewegungen aus verschiedenen Richtungen dieses Jahr im Rheinland zur gemeinsamen Praxis. Das ist ein Grund dafür, warum die Bewegung so breit aufgestellt war, und das machte es so schwer sie gesellschaftlich zu marginalisieren. Bedeutende Bewegungen entstehen oft dadurch, dass aus verschiedenen Strömungen ein Aufeinander-zu-Bewegen und Verschmelzen entsteht, wenn die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eine bestimmte Notwendigkeit vorgeben. So wie es derzeit eine offensichtliche Notwendigkeit ist, die Gesellschaft umgehend in eine postfossile zu transformieren, es aber zur – schon erwähnten – absoluten Blockadehaltung von interessierter Seite kommt.

Wenn die Aktion auch international nicht zur Superlative taugt, so muss doch festgestellt werden, dass sie im deutschsprachigen Raum vermutlich die – zahlenmäßig – größte, direkte Klimaaktion der letzten 20 Jahre war (nicht aber aller Zeiten, wie ebenfalls gesagt wurde: Schon bei der Startbahn-West stand das Klima-Thema im Fokus). Darauf kann aufgebaut werden. Deshalb wird zu einer Aktionskonferenz in Leipzig am 7. und 8. November aufgerufen, um die weiteren Perspektiven zu besprechen.

Die Erarbeitung von Perspektiven nach der Kohleverstromung für das Rheinland selber ist eine Baustelle, in die die Bewegung noch mehr Energie stecken muss. Denn noch gelingt es RWE hervorragend einen Teil der lokalen Bevölkerung gegen die Klimaaktivist_innen aufzubringen, mit dem Argument, es gäbe ohne die Braunkohle keine Perspektive für die Region.

Auch für die Proteste gegen die UN-Klimaverhandlungen im Dezember in Paris war diese erfolgreiche Aktion ein wichtiges Zeichen. Zum einen wird sie der Klimabewegung Mut machen, zum anderen flankiert sie die Proteste im Dezember diskursiv: Sie macht deutlich, dass die Bewegung nicht um eine Dekarbonisierung bettelt, sondern diese selber umsetzt, wenn es notwendig ist. Und dass sie nicht auf Regierungsvertreter_innen setzt, sondern auf soziale Bewegungen von unten.

Polizeigewalt

Die letzten Zeilen dieses Artikels sollen jenen gelten, die bei der Aktion Polizeigewalt erfahren mussten. Zahlreiche Aktivist_innen mussten erleben, wie sie von der Polizei zu Boden geprügelt wurden und am Boden liegend weitere Schläge und Tritte abbekommen haben. Mindestens zwei Menschen landeten im Krankenhaus, es gab Platzwunden und Knochenbrüche. Viele bekamen Pfefferspray ab. Schon das Miterleben dieser Szenen, ohne selbst betroffen zu sein, kann traumatisierend wirken. Deshalb ist es wichtig, dass unter den beteiligten Aktivist_innen auch dafür Raum ist, über diese Erfahrungen zu reden, und dass nicht nur geprahlt wird, sondern auch geguckt wird, wem es womit nicht gut geht.

Außerdem ist mit juristischer Repression zu rechnen. Vermutlich wird es viele Anzeigen geben. RWE hat 800 Strafanzeigen gestellt (viele davon allerdings gegen unbekannt, da viele Aktivist_innen ihre Personalien nicht angegeben haben). Auch hier ist Unterstützung für die Betroffenen im eigenen Umfeld wichtig, genauso wie eine Unterstützung der Rechtshilfestruktur, deren Kontodaten unten angegeben sind.