freunde und helfer

Gipfel der Repression bei den Protesten gegen den G7

Polizeiparade in Garmisch-Partenkirchen - und mittendrin eine linke Demo

| Silke

Der G7-Gipfel Anfang Juni 2015 auf Schloss Elmau an der bayerisch-österreichischen Grenze war in erster Linie ein Gipfel der Repression. Im Großraum Garmisch-Partenkirchen waren weit mehr Polizeikräfte als DemonstrantInnen zu sehen, und die oft absurden Repressionsmaßnahmen und Schikanen zeugen von einer erstaunlichen Kreativität der staatlichen Organe.

Schon Monate im Vorfeld war staatlicherseits ein Bedrohungsszenario entworfen worden, in dessen Ausschmückung sich alle Behörden vom Innenministerium bis hin zum örtlichen Landratsamt zu übertreffen versuchten. Entsprechend detailverliebt wurden diese Prognosen in skandalorientierten Medienberichten weiter aufgebauscht. Die herbei halluzinierten Horden von brandschatzenden G7-GegnerInnen, die die beschaulichen Alpendörfer in Schutt und Asche legen würden, bildeten die Hintergrundfolie für absurde Verbote und Auflagenkataloge. So war noch wenige Wochen vor den Protesten nicht klar, ob es ein Camp geben würde, in dem die Protestierenden schlafen und sich vernetzen könnten. Auch nachdem schließlich ein Platz genehmigt worden war – allerdings unter einer überwältigenden Fülle von Auflagen, die einen ganzen Aktenordner füllten -, wurden den organisierenden Gruppen um das Bündnis „Stop G7“ ständig weitere Steine in den Weg gelegt. Alle Aufbauaktivitäten wurden reglementiert und behindert. Schließlich wollten Polizeitrupps sogar die Anlieferung der Klohäuschen für das Campgelände verhindern, obwohl diese vom Landratsamt genehmigt worden waren. Erst nach mehrstündigen Diskussionen ließen die Einsatzkräfte die offenbar als gemeingefährlich erachteten Sanitäreinrichtungen passieren.

Überhaupt waren der Kriminalisierungsfantasie kaum Grenzen gesetzt: die Anlässe, die bereits bei der Anreise zu Gewahrsamnahmen oder Aufenthaltsverboten führten, waren teilweise hanebüchen. Ein Aktivist erhielt ein Betretungsverbot für die Gegend um Garmisch-Partenkirchen, weil er eine Styroporplatte im Gepäck hatte. Diese als Grabstein gestaltete Tafel mit der Aufschrift „G7 – Rest in Peace“ wurde dem Gipfelgegner als Passivbewaffnung ausgelegt, obwohl genau diese Art von Gegenständen als Teil der antimilitaristischen Demo am Freitag in der behördlichen Anmeldung genannt worden war. Dank anwaltlicher Intervention konnte der Betroffene allerdings auch samt der Styroporplatte an den Protesten teilnehmen.

In einem anderen grotesken Fall wurde bei einer Aktivistin die große Menge an Aufklebern, die sie im Gepäck hatte, beanstandet: die Polizeikontrolle bemängelte, sie habe keinen Gewerbeschein. Die Idee, dass Dinge unter AktivistInnen ohne Bezahlung verteilt werden könnten, überschritt dann offenbar doch die Vorstellungskraft der BeamtInnen.

Auch vor Ort, wo ständige Polizeikontrollen und Einkesselungen etwa vor Supermärkten den G7-GegnerInnen das Leben schwer machten, hagelte es absurde Vorwürfe für banale Abläufe und Gegenstände. Zwei Menschen wurden wegen „ACAB“-Tattoos in Gewahrsam genommen, da sich gelangweilte Einsatzkräfte von deren Anblick beleidigt fühlten. „Straftaten“ wie Körperverletzung kamen dadurch zustande, dass beispielsweise etwas Kaffee über einen Beamten gekippt wurde. Mehreren Leuten wurde ihr Besteck zum Verhängnis, weil die leicht paranoiden Repressionsorgane die Brotmesser als „gefährliche Waffen“ betrachteten. Derlei krude Kriminalisierungsversuche sollen wohl die überschaubare Statistik der Straftaten aufpeppen, die den Einsatz von fast 30.000 Sicherheitskräften rechtfertigen soll.

Bei der zentralen Demo am Samstag in Garmisch-Partenkirchen gingen die SchlägerInnen in Uniform brutal gegen die vielfältigen, lauten und entschlossenen Proteste vor. Ohne Vorwarnung griffen sie während einer Theateraufführung bei der Zwischenkundgebung die Versammlung an und verletzten zahlreiche Menschen durch Pfefferspray und Prügelorgien. Die Demosanis mussten etwa 60 TeilnehmerInnen versorgen, und zusätzlich erhielten viele leichter verletzte GipfelgegnerInnen Hilfe von Umstehenden. Auf dem Rückweg wurde der Protestzug immer wieder von aggressiven Polizeitrupps mit Pfefferspray und Knüppeln attackiert. Mehrere verletzte DemonstrantInnen mussten kurzzeitig ins Krankenhaus.

Noch mehr im Visier des Repressionsapparats war der Sternmarsch am Sonntag, bei dem mehrere Finger versuchen sollten, den Protest zumindest in die Nähe des Tagungsorts zu tragen. Durch Blockaden sollte der reibungslose Verlauf der Politikinszenierung im Alpenschloss zusätzlich gestört werden. Diese Demozüge wurden von vornherein von den Behörden verboten und die Überreste der Versammlungsfreiheit, die für die Tage rund um den Gipfel ohnehin durch die zahllosen Auflagen zur Groteske verstümmelt worden war, vollends ausgehebelt. Das Verwaltungsgericht München war sich nicht zu schade gewesen, zunächst als großzügiges Zugeständnis eine symbolische Delegation von 50 handverlesenen Quotendemonstrierenden zu erlauben. Dieses Grüppchen staatlich geprüfter ProtestvertreterInnen hätte dann artig den kollektiven Unmut stellvertretend in Sicht- und Hörweite des Gipfels vortragen dürfen – bewacht von einem polizeilichen Großaufgebot. Doch dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof war selbst diese peinliche Inszenierung von Minimalgrundrechten zu bedrohlich, weshalb auch die Mini-Versammlung in letzter Minute untersagt wurde.

Entsprechend repressiv war am Sonntag das staatliche Vorgehen gegen die G7-GegnerInnen: jeder kleine Protestzug wurde von einem martialischen Polizeiaufgebot begleitet und schikaniert. Trotzdem ließen sich die AktivistInnen davon nicht einschüchtern oder abschrecken: Hunderte machten sich auf Wanderwegen zum Zaun auf, der Schloss Elmau weiträumig abschirmte, andere zeigten in den umliegenden Orten – vor allem in Garmisch-Partenkirchen – Präsenz. An vielen Bundesstraßen kam es zu kurzzeitigen Blockadeaktionen, die jedoch sofort von den Einsatzkräften geräumt wurden. Zahllose TeilnehmerInnen wurden Personalienfeststellungen unterzogen, und Dutzende wurden für einige Zeit in die Gefangenensammelstelle gebracht und dort teilweise auch erkennungsdienstlich behandelt.

Insgesamt wurden dem Ermittlungsausschuss zum G7, der aus verschiedenen Rechtshilfestrukturen wie der Roten Hilfe und EA-Gruppen bestand, 84 Gewahrsamnahmen gemeldet. Davon waren 67 am Sonntag im Rahmen der vielfältigen Protestaktionen erfolgt. Zwei Aktivisten, die bereits am Samstag in Gewahrsam genommen worden waren, kamen erst am Montag wieder frei.

Die Absurdität dieser Polizeifestspiele, an denen neben fast 30.000 Cops auch Polizeikräfte aus dem benachbarten Ausland sowie Bundeswehrangehörige teilnahmen, stieß allerdings allgemein auf Unverständnis. Selbst der bürgerlichen Presse erschien der uniformierte Großaufmarsch dann doch überdimensioniert, insbesondere nachdem die Einsatzleitung selbst durch rigides Vorgehen und brutale Provokationen gegenüber den Demonstrierenden keinerlei erwähnenswerte Straftatenstatistik zustande brachte.

Die örtliche Bevölkerung war schon seit Wochen zunehmend verärgert über den Ausnahmezustand, der über die Region verhängt worden war und der jede Fahrt zum Supermarkt durch Kontrollen erschwerte. Dass sich die in Medienberichten angekündigten marodierenden Banden als ein bunter Haufen kritischer Menschen entpuppte, der durchaus Interesse an einem freundlichen Austausch und Diskussionen hatte, führte zu zahlreichen Solidaritätsgesten. So brachten AnwohnerInnen Sachspenden aufs Camp, und als der Platzmangel zu groß wurde, stellte ein Landwirt umgehend eine zusätzliche Wiese für weitere Zelte zur Verfügung. Nach dem heftigen Gewitter am Samstag, das die Flächen unter Wasser gesetzt und die Evakuierung des Camps notwendig gemacht hatte, brachten NachbarInnen Stroh auf das Gelände, und für zahlreiche AktivistInnen wurden Übernachtungsmöglichkeiten in Privathäusern organisiert. Zunehmend zeigten die Menschen vor Ort weitaus größeres Verständnis für das Anliegen der GipfelgegnerInnen als für die Umtriebe des Repressionsapparats, denen sie ebenfalls ausgesetzt waren.

Fazit

Es bleibt abzuwarten, welche Folgen dieser Gipfel der Repression noch nach sich zieht. Vermutlich werden trotz des insgesamt ruhigen Verlaufs im Nachgang noch Prozesse gegen AktivistInnen folgen. Hier ist es wichtig, die Betroffenen mit Geldstrafen oder Prozessen nicht alleinzulassen, sondern sie in Zusammenarbeit mit den örtlichen Rechsthilfestrukturen solidarisch zu unterstützen.

Eine andere Frage ist die weitere Entwicklung bezüglich der Grenzkontrollen. Bereits mehrere Tage vor Beginn der Proteste war das Schengener Abkommen außer Kraft gesetzt und flächendeckende Grenzkontrollen eingeführt worden. Vorwand dafür war die Abwehr von „gewaltbereiten DemonstrantInnen“ aus dem Ausland gewesen, doch in der praktischen Umsetzung fielen den Polizeiaktionen vor allem illegale MigrantInnen zum Opfer.

Gerade angesichts der sich zuspitzenden Asyldebatte und der anstehenden erneuten Verschärfung des Asylrechts ist die Forderung, die Grenzkontrollen grundsätzlich wieder verstärkt einzuführen, von zentraler Bedeutung. Insbesondere antirassistische Menschen müssen diesen Tendenzen entschlossen entgegentreten.

Die Proteste enden also keineswegs mit dem G7-Gipfel – an vielen Punkten fangen sie erst richtig an…