Halle 5 auf der Leipziger Buchmesse vom 17. bis 20. März 2016. Die dort im letzten hinteren Eck jedes Jahr platzierten linken und libertären Verlage staunten nicht schlecht, als sie zu Messebeginn sahen, wen ihnen die Messeleitung direkt vor die Nase gesetzt hatte: Im selben Gang E, nur wenige Meter weiter vorne befand sich ein Riesenaufbau bis direkt unter die Hallendecke von Jürgen Elsässers "Querfront"-Zeitschrift "Compact", Untertitel: "Magazin für Souveränität", das neue Wort der europäischen Rechten für Nationalismus.
Auf einem ständig flimmernden Bildschirm liefen die gesamte Messezeit über Interviews mit dem neurechten Elsässer, geführt von kaum 18jährigen, immer langhaarigen Mädchen, die Elsässer mit naiv bewundernden Augen anstarrten, Moderatorinnen von „Russia Today“ nicht unähnlich.
An allen vier Ecken des Standes ebenfalls die gesamte Messezeit über vier Schränke, in schwarze Seide gehüllt, leicht erkennbar als Bodyguards, von neofaschistischen Schlägertrupps geliehen.
Solch eine Provokation mochten die linken und libertären Verlage nicht auf sich sitzen lassen.
Schon vor einigen Jahren wurde der Versuch der Messeleitung, einen (großen) Stand der Bundeswehr auf der Messe langfristig zu etablieren, durch ständige direkte Aktionen vor und im Stand sowie nahe dem Riesensandkasten für Kinder, auf dem Schlachten nachgespielt wurden, vereitelt (die GWR berichtete). Diesmal war das Ziel der Aktionen, Elsässer und seine Zeitschrift aus der Messe wieder zu vertreiben.
Es kam jeden Messetag regelmäßig um 14 Uhr 30 vor dem Compact-Stand zu Protestkundgebungen aus dem Spektrum der linken und libertären Verlage, lautstark wurde gerufen: „Souverän gegen Rechts!“ und Parolen gegen Sexismus und Rassismus. Spontan Hinzugekommenen waren die nahe Compact vom Stand der Graswurzelrevolution erhältlichen Ausgaben eine propagandistische Hilfe, denn die Aufmacher „Bleiberecht für alle“ und „Gegen Sexismus und Rassismus“ eigneten sich gut, um sie bei der Protestkundgebung hochzuhalten. Dem neurechten Elsässer und seiner Zeitschrift wird heute eine Auflage von 41.000 Exemplaren nachgesagt und sie machen u.a. offen Propaganda für die AfD: Frauke Petry sei die bessere Bundeskanzlerin, behauptet etwa ein Titelblatt.
Elsässer gehört zu den autoritärsten, unsympathischsten und deprimierendsten Figuren der deutschen (Ex-)Linken seit Ende der Siebzigerjahre.
Elsässer war zunächst im Südwesten der BRD als hypermilitanter Fighter des Kommunistischen Bundes innerhalb der Anti-AKW-Bewegung aktiv, denunzierte dabei gewaltfreie AktivistInnen gern als „Spalter“ – nur um dann selbst in seiner antideutschen Phase Ende der Neunzigerjahre die Massenblockaden gegen Castor-Transporte nach Gorleben als zivilisationskritische Rückkehr zur Scholle und damit als faschistisch und antisemitisch zu kritisieren.
Die Maxime „Heute so, morgen so, wie’s grad passt, hoffentlich merkt’s keiner“ gehört schon lange zu seinem Lebenselixier, so viele politische Kehrtwendungen hat er durchgemacht. 1990 erschien im „Arbeiterkampf“ sein Artikel: „Warum die Linke antideutsch sein muss“, kurz zuvor hatte er die Friedensbewegung ob ihres Boykottaufrufs für französische Produkte anlässlich der Atomtests des neuen Präsidenten Chirac für komplett antisemitisch erklärt und diesen Boykott mit dem der Nazis gegen die Juden verglichen.
So gehörte er zu den Gründern der Antideutschen und blieb einer von deren maßgeblichen Protagonisten die gesamten Neunzigerjahre hindurch. Er spaltete als Redakteur die „junge Welt“ 1997, war Mitbegründer der „Jungle World“, bis er dort endlich im Jahre 2000 rausgeworfen wurde. Er schrieb regelmäßig für die „Allgemeine Jüdische Wochenzeitung“ und wurde Redakteur von „konkret“, bis er dort 2002 mit einem anderen Alphamännchen, Gremliza, aneinandergeriet und wieder entlassen wurde.
Zuvor hatte der Freund des Miloevi?-Regimes für „konkret“ und in „konkret“-Büchern die serbischen Verbrechen in Srebrenica geleugnet und dafür „marodierende“ Einheiten verantwortlich gemacht, die nur den Tod von Angehörigen gerächt hätten, die zuvor von Muslimen getötet worden seien. Dass man, wie gewaltfreie Aktionsgruppen damals, sowohl gegen serbisch-faschistische Tschetniks als auch gegen die UN- und später NATO-Militärintervention sein konnte, war Elsässer und in seinem Gefolge vielen Linken in ihrem borniert-binären Denken nicht beizubringen. Seine Wendung weg vom Antideutschtum und seine plötzliche Antiimp-Kritik der US-Militärintervention im Irak 2003 hatte daher mit Gewaltkritik auch nichts zu tun, wie – um nur ein Beispiel zu nennen – seine Unterstützung des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad bei dessen brutaler Unterdrückung der iranischen Revolte von 2009 belegte.
Die gesamten Nullerjahre hindurch agierte Elsässer als linker Nationalist, zuletzt innerhalb des Lafontaine-Flügels der Partei Die Linke, was diese heute auch nicht mehr gern wissen will. Erst nach 2009 und Elsässers Gründung seiner „Volksinitiative gegen das Finanzkapital“, wo er den deutschen Nationalstaat als Bollwerk gegen den Angriff des „anglo-amerikanischen Finanzkapitals“ seit der Krise 2008 verteidigte, wurde er auch als Mitarbeiter des „Neuen Deutschlands“ geschasst.
Es folgten seine neurechte Kehrtwende, seine Querfront-Strategie (mit dem offenen Eintreten für den russischen Staat im Ukraine-Konflikt) von rechten und linken Autoritären, für die Krim-Abspaltung sowie für den ungarischen autoritären Regierungschef Orbán, schließlich die offene Befürwortung von PEGIDA und im Januar 2015 sein Auftritt als Redner bei der Leipziger LEGIDA.
Der Fall Elsässer ist ein symptomatischer Fall der deutschen (Ex-)Linken, er konzentriert im Werdegang einer einzigen Person all das, was diese Linke in ihren autoritären Ausprägungen so unausstehlich macht: Das Problem Elsässer war nicht eigentlich Elsässer, sondern eine autoritäre Linke, die ihn jahrelang wie selbstvergessen anhimmelte und dabei jedes eigenständige Denken bei ihrem Kotau vor Elsässer ablegte.
Ich habe in Elsässers „junge-Welt“-Jahren eine Demo in Berlin erlebt, die war so grotesk, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen: Die „junge Welt“ hatte einen Rednerwagen organisiert und bei der Demo sprachen einige linke Redner, Elsässer zuletzt. Und seine Vorredner lallten immer ins Mikro Sätze wie: „Wie Jürgen Elsässer in seinem Artikel in der jW vom Soundsovielten bereits sagte, ich zitiere: usw. usf.“ Es wurde eine eigene politische Position nicht argumentativ begründet, sondern es wurde belegt, dass das, was man selbst sagte, auch schon Elsässer gesagt hatte. Gibt es ein jämmerlicheres Selbstbild, eine bescheuertere Offenbarung als eine solche von deutschen Linken?
Elsässer war irgendwann einmal in vielen neueren Strömungen der deutschen Linken unterwegs (in unserer glücklicherweise nicht!), bevor er sich auch organisatorisch zur neuen Rechten aufmachte. Sein autoritärer, arroganter Habitus blieb dabei immer derselbe. Hat sich je jemand innerhalb dieser Linken mal gefragt, was denn die verbindenden Elemente all dieser Positionswechsel sein könnten?
Wohl kaum, aber hierauf gibt es eine Antwort: Gewaltbefürwortung und autoritäres Denken.
In welchem Spektrum Elsässer auch immer für ein paar Jahre seine ideologischen Zelte aufschlug: für Gewalt war er in jedem Fall, sei sie nun revolutionär oder staatlich. Elsässer gehört in dieselbe Kategorie wie Joseph Fischer oder Reinhard Bütikofer, die bei ihrer jüngsten ideologischen Befürwortung von Bombenkriegen und Gewaltverbrechen noch immer ausrufen konnten: „Pazifist (wahlweise: gewaltfrei) war ich nie!“ In „konkret“ rief Elsässer zum Beispiel explizit zur Gewalt gegen den rechtskonservativen Historiker Ernst Nolte auf – nur um sich dann 2014 im Gerichtsverfahren gegen den Antisemitismus-Vorwurf durch Jutta Ditfurth von dem Anwalt Michael Hubertus von Sprenger vertreten zu lassen, der seinerseits auch Anwalt des Holocaustleugners David Irving war.
Auf der Leipziger Buchmesse 2016 haben linke und libertäre Verlage zwar gegen Elsässer und seine Zeitschrift demonstriert – aber die Aufarbeitung des Phänomens, warum so viele deutsche Linke so lange gläubig an den Lippen dieses von Grund auf Autoritären hingen, steht noch aus.
Anmerkungen
Die in diesem Artikel aufgeführten Informationen und Positionierungen Elsässers stammen zum Teil aus dem politischen Eigenerleben des Autors, zum Teil aus dem Wikipedia-Eintrag zu Jürgen Elsässer