Im März 2016 interviewte GWR-Redakteur Bernd Drücke Denise und Sania vom roots of compassion-Kollektiv, das einen veganen Onlineshop betreibt (1). Die Radio Graswurzelrevolution-Sendung wurde u.a. am 24. April im Bürgerfunk auf Antenne Münster ausgestrahlt. Wir drucken eine redaktionell überarbeitete Fassung. (GWR-Red.)
GWR: Was ist roots of compassion?
Denise: roots of compassion ist ein Kollektiv mit Sitz in Münster. Wir betreiben hauptsächlich einen Onlineshop für vegane Artikel wie Schuhe, Gürtel, Lebensmittel, fair gehandelte T-Shirts, Literatur, Sticker und vieles mehr.
Entwickelt hat es sich ganz klein, Schritt für Schritt, ab 2001, da hatte Marc, ein früherer Genosse, mit seiner damaligen Freundin die Idee, den Gedanken des Veganismus zu verbreiten und Aufklärungsarbeit zu leisten. Sie haben auf Konzerten Infostände gemacht und angefangen, für Demos Buttons und T-Shirts zu drucken. Als ich 2004 in die WG gezogen bin, gab es roots of compassion in Marcs Zimmer.
Da gab es ein Regal mit ein paar T-Shirts. Ich habe dann angefangen mitzuhelfen. Und es hat sich so peu à peu entwickelt. 2002 ist unsere Website rootsofcompassion.org online gegangen, damals mit vielen Interviews, und der Schwerpunkt lag noch nicht so sehr auf dem Verkauf.
roots of compassion hat sich dann mehr und mehr zu einem Einzelunternehmen entwickelt, war als ein solches angemeldet, was nicht besonders mit unserem Kollektivgedanken korrespondiert hat, weswegen wir uns später die Form einer Genossenschaft gegeben haben.
GWR: Wie bist Du dazu gekommen, Sania?
Sania: Ich stand nach dem Studium vor der schwierigen Aufgabe, einen Job zu finden.
Angesichts der Ideale, die ich habe, und des Lebens, das ich gerne führen würde, hat sich die Stelle bei roots of compassion mehr als angeboten. Ich kannte das Kollektiv bereits seit mehreren Jahren und hatte als Kunde mehrfach bestellt. Als ich die Stellenanzeige las, war ich gleich Feuer und Flamme und hatte schließlich das Glück, in das Kollektiv aufgenommen zu werden.
GWR: Wie seid Ihr auf den Namen „roots of compassion“ gekommen?
Denise: Den hatte sich Marc mit seiner damaligen Freundin überlegt. Der Schwerpunkt bei roots of compassion liegt schon beim Veganismus, der für uns mit allen anderen Unterdrückungsverhältnissen in Verbindung steht.
Die Wurzel des Mitgefühls setzt bei uns auch bei den Tieren an, sie als Individuen, als Lebewesen zu sehen, deren Grenzen nicht einfach überschritten werden sollen.
GWR: Was ist Veganismus für Euch?
Sania: Das ist eine schwierige Frage. Veganismus kann sehr unterschiedlich gefasst werden.
Gemeinhin bezeichnet mensch darunter das Vorhaben, keine mit Tierausbeutung verbundenen Produkte zu konsumieren. Das geht beim Essen los, mit Lebensmitteln wie Fleisch, Milch und Eiern, aber auch Honig fällt darunter. Ein umfassender Veganismus geht darüber hinaus. Es gilt dabei z.B. Kleidung zu vermeiden, die aus Leder oder Daunen hergestellt ist, und bei Kosmetika und Medikamenten auf Tierversuchsfreiheit zu achten. Veganerinnen und Veganer versuchen also, je nachdem, wie konsequent sie sind, alle diese mit Tierleid verbundenen Produkte zu vermeiden.
GWR: Wie ging es mit roots of compassion weiter? Ihr seid jetzt neun Leute im Verlag?
Denise: Genau, jetzt sind wir zu neunt, nicht nur im Verlag, sondern generell im Kollektiv.
Wir haben 2008 einen eigenen Verlag gegründet, den Compassion Media-Verlag (2), in dem wir eigene und fremde Publikationen veröffentlichen. In Münster sind wir insgesamt dreimal umgezogen, von der WG in die Heissstraße, dann in die Friedensstraße und nun sind wir am Schiffahrter Damm in der Rudolf Diesel-Straße. Wir haben ein schönes Lager, das von den Räumlichkeiten her unserem Onlineversand und Verlag stärker entgegenkommt. Interessierte können gerne bei uns vorbei schauen und direkt bei uns einkaufen.
GWR: Was habt Ihr im Programm?
Sania: Wir versuchen, das Ganze ziemlich breit zu halten und dem DIY-Gedanken (3) gerecht zu werden. Wir decken von Lebensmitteln, biofairen Textilien bis hin zu Accessoires und Literatur ein breites Sortiment ab, um eine Gegenkultur zum Mainstream zu unterstützen.
GWR: Ihr habt auch anarchistische Bücher im Programm, zum Beispiel „Anarchismus“ von Jochen Knoblauch und Hans Jürgen Degen aus der theorie.org-Reihe des Schmetterling-Verlags oder „Das Schlachten beenden“ aus dem Verlag Graswurzelrevolution. Was bedeutet Anarchie für Euch?
Denise: In unserem Kollektiv ist es sehr harmonisch. Ich finde die Grundgedanken des Anarchismus sehr erstrebenswert. Ich schätze die Gleichheit unter den Menschen, den Respekt einander gegenüber. Dazu gehört, dass es keinen Chef gibt, keine Chefin, niemanden, der anderen Befehle gibt, was sie zu tun haben. Stattdessen arbeiten wir in unserem Kollektiv auf Augenhöhe.
Sania: Wir versuchen, diese Idee der Gleichheit und den Ansatz, dass niemand durch andere ausgebeutet werden soll, nach innen und außen zu leben und mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Dazu gehören für uns die Hierarchiefreiheit und das Konsensprinzip. Wenn jemand aus dem Kollektiv gegen eine Entscheidung ist, wird es eben nicht gemacht, oder es wird solange ein Kompromiss gesucht, bis alle die Entscheidung mittragen können. Des Weiteren verdienen wir alle denselben Stundenlohn und versuchen das Machtgefälle, welches unserer Gesellschaft leider immanent ist, abzubauen, um auf Augenhöhe agieren zu können.
GWR: Welche Perspektiven seht Ihr für Euer Projekt roots of compassion, auch im Zusammenhang mit dem Anarchismus? Welche Chancen für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft seht Ihr?
Denise: Für mich ist am wichtigsten zu verbreiten, dass es Alternativen zu den gängigen Wirtschaftsformen gibt und zu zeigen, dass es möglich ist, in Kollektiven zu arbeiten. Es gibt eine große Anzahl unterschiedlicher Kollektive, zum Beispiel Baukollektive, Druckereien, Kommunikationstrainer*innen, Kneipen, etc. Da möchte ich jeden und jede motivieren, sich zu informieren, sich die Kollektive vor Ort mal anzugucken, um Alternativen erfahrbar werden zu lassen. Für roots of compassion strebe ich für die Zukunft noch weitere Vernetzung mit anderen Kollektiven an. Das ist mein Hauptwunsch.
Sania: Mit unserem Verlag und den Büchern, die wir verlegen, tragen wir ja schon zu einem gewissen Teil dazu bei, diese Idee nach außen zu tragen. Darüber hinaus geht es uns auch darum, den besonderen Charakter von roots of compassion zu verbreiten. Wozu dieses Interview eine perfekte Gelegenheit bietet.
Aber auch sonst beteiligen wir uns an Bildungsarbeit, zum Beispiel mit Schulklassen, die uns besuchen und denen wir unsere Arbeitsweise, aber auch die Inhalte, mit denen wir zu tun haben, näher bringen.
Aufklärung, gerade bei jungen Menschen, halte ich für die essentielle Voraussetzung einer auf Gleichheit basierenden Gesellschaft. Denn nur dann können sich die Verhältnisse nachhaltig ändern. Das ist das, was wir eigentlich mit unserem Kollektiv zum Ziel haben und seit Jahren verfolgen.
(1) Kontakt: roots of compassion eG, Rudolf-Diesel-Straße 37, D-48157 Münster. Tel.: 0251 239477-0, Fax: -011, info@rootsofcompassion.org, www.rootsofcompassion.org
(3) DIY (Do it yourself / Mach es selbst!) bezeichnet Tätigkeiten, die von AmateurInnen ohne professionelle Hilfe ausgeführt werden. In den späten 1970er und 80er Jahren ist, ausgehend u.a. von der anarcho-pazifistischen Punkband Crass, eine DIY-Anarcho- und Hardcore-Punkbewegung entstanden, die sich vom No Future (u.a. der Sex Pistols) abwandte. "Heute lassen sich diese Tendenzen grob in kulturellen Underground und politischen Graswurzel-Aktivismus einteilen. DIY heißt für seine Anhänger oft, den Glauben an sich selbst und die eigene Kraft als Triebfeder für Veränderungen zu sehen. Die Do-it-yourself-Bewegung der 1960er und 1970er ist geprägt von einem Glauben an Selbstermächtigung, Selbstorganisation, Improvisation, Eigeninitiative und oft einem Misstrauen gegenüber etablierter Autorität, gegenüber passivem Konsum, Produkten der Industrie und Vorgaben der Massenmedien." (Wikipedia)