es wird ein lächeln sein

Das Social Center 4 All in Leipzig

Hausbesetzungen als linke Antwort auf soziale Fragen?

| Marco Pellegrino

"Die ehemalige Führerscheinstelle in der Platostraße ist besetzt" - diese Nachricht verbreitete sich am ersten März-Wochenende 2016 wie ein Lauffeuer in Leipzig. Genauso schnell, wie sie das Haus besetzten, machten die Besetzer_innen auch ihre Motivation dahinter klar: Sie forderten die Einrichtung eines Sozialen Zentrums für Alle, in dem es gerade für unterschiedlichste Marginalisierte in dieser Gesellschaft Raum zum Krafttanken, Kennenlernen und Vernetzen gibt. Doch warum jetzt? Wie entstand die Idee des Social Center 4 All und wie hat sich die Gruppe seit der Besetzung entwickelt? Im Folgenden eine Bestandsaufnahme.

Den Ursprung der Idee zur Gründung von Social Center 4 All lieferte ein trauriger Anlass: Mehrere Dutzend Geflüchtete sollten im Sommer 2015 nach Heidenau gebracht werden – ausgerechnet an den Ort, welcher kurze Zeit zuvor aufgrund der dortigen rassistischen Ausschreitungen wochenlang in den Medien präsent war.

In dem Wissen, dass eine Verlegung der Geflüchteten für diese eine weitere Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen zur Folge hätte, solidarisierten sich mehrere linke Leipziger Gruppen sowie Einzelpersonen mit den Betroffenen und verhinderten die Verlegung durch eine Sitzblockade.

Im Rahmen der erfolgreichen Blockade wurden die Aktivist_innen sich des Mangels eines Raums zur Vernetzung erst so richtig bewusst, weshalb sich einige Menschen dazu entschlossen, sich auf die Suche nach konkreten Lösungsansätzen zu machen. Aus der Dynamik dieser ersten gemeinsamen Erfahrung heraus gründete sich die basisdemokratisch organisierte Gruppe „Social Center 4 All Leipzig“, welche es sich von Beginn an zum Ziel setzte, den öffentlichen Druck auf die Stadt zu erhöhen, um auf die Einrichtung eines Sozialen Zentrums hinzuwirken.

Zunächst wurden die Aktivist_innen inhaltlich aktiv: Die „Utopia-Workshops“ wurden initialisiert. Bei diesen ging es insbesondere darum, wie die Stadt zu einem lebenswerteren Raum für alle umgestaltet werden kann – erneut war das Raumproblem Kernthema der Diskussion, und die Aktivist_innen entschieden sich kurzerhand dazu, eine symbolische Besetzung in einem ehemaligen Gebäude der Erziehungswissenschaften an der Uni Leipzig durchzuführen, um öffentliches Bewusstsein für die Problematik zu schaffen.

Im Anschluss an die symbolische Besetzung gab es einen Offenen Brief an die Stadt Leipzig, welcher ein Gesprächsangebot enthielt. Leider ließ die Stadt diese Chance auf einen Dialog ungenutzt verstreichen.

Um den Druck zu erhöhen, entschloss man sich kurze Zeit darauf, die ehemalige Führerscheinstelle in der Platostraße zu besetzen. Das geschah dann auch im Handumdrehen, und nach Veröffentlichung des Aufrufs dauerte es nur wenige Augenblicke, bis sich die ersten Sympathisant_innen vor Ort einfanden. Für die Aktivist_innen war zu diesem Zeitpunkt bereits klar, dass es sich bei dieser Besetzung – anders als bei der vorherigen – nicht um eine symbolische Besetzung handeln würde.

Auch die ersten Solidaritätsbekundungen anderer Hausprojekte ließen nicht lange auf sich warten, so z.B. von der „Klinika“ aus Prag bzw. von der „Hasi“ aus Halle.

Auch in anderer Hinsicht ging es schnell voran: So dauerte es nur wenige Stunden, um den ganzen Schutt aus dem Gebäude herauszubekommen, wovon sich später auch das Ordnungsamt überrascht zeigte.

Die Polizei ließ ebenfalls nicht lange auf sich warten, sondern traf unmittelbar nach Beginn der Besetzung am Ort des Geschehens ein.

Eine schnelle Räumung kam jedoch nicht in Frage – zu groß war der Zuspruch nicht nur aus linksalternativen Kreisen, auch Menschen aus dem Bürgertum ließen sich blicken, um sich selber einen Eindruck zu verschaffen. Allgemein stieß das Projekt im näheren Umkreis auf viel Gegenliebe.

Doch es gab nicht nur Lob, sondern auch etwas Gegenwind, vor allem aus linksradikalen Kreisen: Wenn die Polizei mit Räumung drohe, solle man sich verbarrikadieren und dagegen wehren, auf keinen Fall klein beigeben. Leichter gesagt als getan, wenn man sich in einem Gebäude mit zahlreichen Fenstern und mehreren Eingängen befindet – das war auch der Gedanke der Mehrheit der Gruppe, die sich im Rahmen einer der Plena darauf einigte, von militanten Mitteln keinen Gebrauch zu machen. Diese Entscheidung fiel nicht nur aus rein pragmatischen Gründen, sondern auch, weil die Gruppe nach außen hin nicht den Eindruck eines militanten Hausprojekts erwecken wollte.

Zum Glück kam es auch gar nicht erst zu einer Verschärfung der Lage.

Die Gruppe schaffte nämlich einen Spagat, an dem schon viele andere Hausbesetzungen scheiterten: Zwar gab es ein klares „Nein!“ zur Militanz, gleichzeitig ließ man sich aber dennoch nicht zum Spielball der Ordnungsbehörden machen, sondern machte der Polizei deutlich klar, dass man mit dem Ordnungsbürgermeister und auch ausschließlich mit diesem reden wolle – ohne Anwesenheit der Polizei.

In dem Gespräch mit dem Ordnungsbürgermeister, welcher stets darauf bedacht war, die Stadt Leipzig vor einem Gesichtsverlust zu bewahren, konnten erste Teilerfolge errungen werden: Er sagte zu, den Aktivist_innen eine Liste mit Gebäuden zukommen zu lassen, welche potenziell für eine Fortsetzung ihres Projekts in Frage kämen. Darüber hinaus teilte er mit, dass die Besetzung zumindest über das Wochenende geduldet würde – das hört sich nach wenig an, war damit de facto aber die erste geduldete Hausbesetzung in Leipzig seit über 20 Jahren.

Jedoch war das Entgegenkommen der Stadt an eine Bedingung geknüpft, nämlich die „freiwillige“ Räumung des Gebäudes bis spätestens Montag.

Dahinter steckt folgende Motivation: Die Stadt hat Interesse daran, das Gebäude weiter leer stehen zu lassen, bis entschieden ist, inwiefern die Ansprüche, welche bspw. von der CG Group bzw. vom Max-Planck-Institut gestellt werden, rechtmäßig sind.

Die Aktivist_innen ließen sich auf diesen Handel ein, und es bleibt abzuwarten, ob und wie naiv das tatsächlich war. Leider zeigt sich nämlich jetzt schon, dass die Kooperationsbereitschaft der Stadt stark nachgelassen hat, so hat sie z.B. die Deadline zur Versendung der Liste mit möglichen Gebäuden für das Projekt wortlos verstreichen lassen.

Allgemein verlaufen die Gespräche der Stadt laut Aussage der Gruppe schleppend, man zeigt sich jedoch kämpferisch und ist sich einig, dass man auch weiterhin den offiziellen Weg gehen möchte.

Auch das mag für den einen oder die andere etwas naiv klingen – wer aber mit den Aktivist_innen selber redet, der bemerkt schnell, was für eine enorme Motivation dahintersteckt, das Projekt auf dem bisherigen Weg weiterzuführen, und erfährt auch gleichzeitig, warum das so ist.

So merkt die Aktivistin Nora Folgendes an: „Es ist spannend zu sehen, zu welchem Grad bereits Empowerment- und Politisierungsprozesse innerhalb der Gruppe stattgefunden haben. Auch ein gewisses anarchistisches Element ist nicht von der Hand zu weisen: Basisdemokratie und Hierarchiefreiheit sind praktisch aus der Gruppendynamik heraus entstanden – damit hätte ich so nicht gerechnet.“

Damit bezieht sie sich auch auf einen der wichtigsten Aspekte des Social Center; es machen nicht nur erfahrene Aktivist_innen mit, sondern auch sogenannte „Polit-Neulinge“.

Alle möglichen Menschen bringen alle möglichen Ideen und Ansätze in die Gruppe mit ein, und genau das ist es auch, was die Gruppe und ihre Dynamik ausmacht. Hier lernen nicht nur alle gemeinsam, sondern auch voneinander.

Die Erfahrungen des Wochenendes der Besetzung zeigten auch, wie schnell verschiedene Gruppen von Menschen, welche das selbe Bedürfnis nach Freiraum haben, zueinander finden können. So machte sich eine Gruppe von ca. 70 Refugees aus einer Leipziger Unterkunft spontan in die Platostraße auf, nachdem sie von der Besetzung erfahren hatte.

Bleibt die Frage, warum das Social Center jetzt kommen soll und wem es eigentlich nützt.

Die Antwort darauf ist gar nicht so schwer: In Zeiten, in denen sich die Rechte zunehmend anschickt, soziale Themen wieder einmal für sich zu beanspruchen und im selben Atemzug gegen Geflüchtete und andere Minderheiten zu hetzen, ist es umso wichtiger, dass die progressive Linke nicht nur in ihrer Abwehrhaltung bleibt, sondern auch aktiv dazu übergeht, Themenfelder zu besetzen.

Um das zu verwirklichen, ist die Gründung von Sozialen Zentren sicher nicht der einzige Weg, aber doch ein ziemlich effektiver. Es gibt kaum eine bessere Möglichkeit, verschiedene soziale Kämpfe miteinander zu verbinden, als in einem Raum, der permanent allen offensteht für Plena, Veranstaltungen oder auch einfach nur zum Ausruhen.

Das ist umso wichtiger vor dem Hintergrund der Tatsache, dass man in der linken Szene zwar immer wieder betont, dass soziale Kämpfe nicht getrennt voneinander geführt werden können, sondern das immer das große Ganze in den Blick genommen und dabei konkrete lokale Lösungsansätze gefunden werden müssen, dies in der Praxis aber nur selten geschieht.

Ein trauriger Umstand, denn Hausbesetzungen können in der Tat eine linke Antwort auf soziale Fragen sein – wenn man es nur richtig angeht.

Fazit

Die Aktivist_innen des Social Center 4 All Leipzig haben bereits ein Wochenende lang gezeigt, wie man es richtig macht. Sie haben gezeigt, dass es möglich ist, verschiedene antikapitalistische, antirassistische und soziale Kämpfe zu einen und dabei Synergien freizusetzen.

Es bleibt zu hoffen, dass die Aktivist_innen ihre Motivation nicht verlieren und dass die Solidarität aus anderen Städten noch stärker wird, als sie ohnehin schon ist. Wünschenswert wäre es ebenfalls, dass das Beispiel Schule machte und sich bald im ganzen Land sozialeZentren gründen würden.