Steven Shaviro: Doom Patrols. Streifzüge durch die Postmoderne; Bollmann Verlag; Mannheim 1997; 240 Seiten, 29,80 DM
„Alles was Dionysos in seiner kraftvollen Art anpackt, wirft das vernünftige Kalkulieren über den Haufen – man könnte auch sagen, lockert die enge Umklammerung der Herrschaftsstruktur“
Michel Maffesoli, Der Schatten des Dionysos
Andy Warhol hat einmal einen Satz gesagt, den Steven Shaviro für die beste Definition der angekommenen Postmoderne hält: „Wenn man Gefühle einmal von einer anderen Warte aus gesehen hat, kann man sie nie wieder als echt empfinden“(S.54), Wahrheit und Fälschung sind ein und dasselbe, Authentizität ist ein zur Hoffnungslosigkeit verdammtes Unterfangen, weil alles Ähnlichkeit ist, das Simulakrum regiert. Nur, Warhol irrt. Denn wer auch nur zweimal in einigermaßen gefühlsbewußten Liebesbeziehungen gelebt hat, die oder der weiß: man kann! Mit anderen Worten: Das Reflexiv-Werden schützt vor Redundanz nicht.
Was ist sie also dann, die Postmoderne? Woran erkennen wir, das sie da ist? Zum Beispiel an Büchern wie diesem. Reflexionen über einen Comic (Doom Patrols) führen durch alle Essays, erklären das Ende der Metaphysik und ihrer dualistischen Sackgassen, bebildern die marktwirtschaftliche Bildersucht, stechen in die Auf- und Anfälligkeit der menschlichen Körper, ohne die die aufklärerische Vernunft nicht einmal ein Exkrement wert wäre. Shaviros „Streifzüge durch die Postmoderne“ hetzen das Lesende durch einen tiefsinnigen Wust von Zitaten, Theorien und Namen, preisen William S. Burroughs und gender studies („Krieg ist Menstruationsneid“ (S.73)!!!), um dann wieder von Einschaltquoten, Kunst und dem Ende der Entfremdung zu berichten. Jaja, wild ist sie, unsere Postmoderne und ungestüm, weil unheimlich schnell. Und so liest sich auch das Buch: „Das Medium ist die Botschaft“ (McLuhan). Vielleicht ist dieses Buch eine Möglichkeit, ein Gefühl für das zu bekommen, was die akademischen Debatten der letzten Jahre nur vor dem Hirn ablieferten (und damit der Alleinherrschaft der Vernunft überließen).
Daß Shaviro teils machomäßige Sprachgewalt für klar feministische, sogar explizit anti-maskulinistische Inhalte benutzt, ist eine Form der Dekonstruktion. So, wie die Selbstportraits der Künstlerin Cindy Sherman Angriffe auf Männlichkeiten sind, weil nicht bloß weibliche Rollen und Typen übernommen, sondern Identitäten verkörpert und Körper zerstückelt werden. Das hatte übrigens auch schon der Philosoph Wolfgang Welsch bemerkt, ansonsten aber strotzt Shaviros Aufsatzsammlung nur so von Zusammenhängen, die in Deutschland die allerwenigsten so sehen würden oder könnten.
Allerdings ist der Irrtum Warhol’s sozusagen der rote Streifen, der sich durch alle Züge der Postmoderne zieht, in jedem Abteil andere Formen, Farben, Ausmaße annimmt, Identität verliert wie Fäden und zum Schluß doch das ganze Ding zusammenhält. Der Knoten an der Biegung des Zeitalters lautet: Die Postmoderne ist eine große Party. Und wie bei jeder Party macht man oder frau sich eben auch nicht allzu viele Gedanken über die, die nicht da sind.
Denn Postmoderne heißt auch, obwohl wir den Ereignissen nie gewachsen sind, müssen wir die Dinge exakt so nehmen, wie wir sie vorfinden. Es gibt nichts zu deuten, Wesen ist Erscheinung. Wenn alles eine große Performance ist und es trotzdem noch Leid gibt, stellt sich aber doch die Frage, was tun mit dem Vorgefundenen? Vielleicht ist Shaviro dann doch zu sehr Ami, um über Beteiligung nachzudenken und sich des Politischen zu widmen. Bei all dem Gerede über die alltägliche Selbsterfindung nicht über moralische Implikationen und die Anfänge politischen Handelns als Verantwortung (z.B. denen gegenüber, die nicht zur Party kommen durften) nachzudenken, dürfte eindeutig als Mangel bezeichnet werden können. Andererseits, es gibt ja auch noch Diederichsen („Politische Korrekturen“) oder Bauman („Postmoderne Ethik“), die da Antworten suchen, wo Shaviro vorbeischlittert. Und wer könnte heutzutage noch auf Vollständigkeit pochen? Ich jedenfalls nicht.
Das wirklich Nervige an der ganze Euphorie um die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre Möglichkeiten ist doch, daß etwas Entscheidendes immer wieder vergessen wird:
Was ist denn, wenn dem Datendandy die Sozialhilfe gestrichen wird? Was, wenn die Temporäre Autonome Zone nur noch bis zum Abschiebungstermin dauern darf? Und wenn mit der Buchpreisbindung die Konkurrenzfähigkeit von Comic- und anderen Kleinstverlagen aufgehoben wird, und wir gar nicht erst in den Genuß vom Doom Patrols kommen? Dann, ja dann bewahrheitet sich wieder, was aus Marginalisiertenkehlen schon vor Jahren ganz richtig ins Zentrum tönte: „You gotta fight for your right to PAAAAARDY“ (Beastie Boys). Ein klasse Buch.