1998 – da war doch was?? Ach ja, Bundestagswahlen! Nun ja, wenn wir’s nicht gewußt hätten, wir hätten’s auch so gemerkt: im Wahljahr potenzieren sich die Lügen und Verdrehungen der PolitikerInnen, steigert sich die Dreistigkeit, mit der sie auf das Kurzzeitgedächtnis ihrer Klientel setzen, ins Unermeßliche. Der grüne Landesparteibeschluß zum Verbleib in der SPD-geführten Koalition in Nordrhein-Westfalen trotz der Genehmigung des Rahmenbetriebsplans für Garzweiler II durch die SPD ist beispielhaft. Jede/r, ob grüne PolitikerIn oder kommentierende JournalistIn, wußte um die Beschlußlage der Grünen, daß sie das nach mehrfachen sachbezogenen Kapitulationen innerhalb der Koalition wie zum Beispiel beim Dortmunder Flughafen nun endlich zum Knackpunkt ihres Verbleibs gemacht hatten. „Es gibt kein Einknicken beim Rahmenbetriebsplan“, hatte Bärbel Höhn getönt. Im April 1997 hatte der grüne Landesparteitag beschlossen: bei Genehmigung des Rahmenbetriebsplans durch die SPD Ausstieg der Grünen aus der Koalition.
Nun ist das alles Schnee von gestern. Höhn hat einen juristischen Trick gefunden, wonach der Rahmenbetriebsplan so entscheidend für die Durchsetzung von Garzweiler II nicht sei und man/frau in der Koalition bleiben und gerade dadurch weiter Widerstand dagegen leisten könne. Wer Höhn dabei Interesse an MinisterInsesseln unterstellte, argumentiere mit Schlägen „unter der Gürtellinie“, also wurde das Selbstverständliche auch nicht weiter unterstellt. So folgte der Landesparteitag der Frau Höhn mit einer satten Mehrheit von 60 % und die 40 % Unterlegenen freuten sich über die tolle Diskussionsbereitschaft ihrer Parteiführung – und merkten gar nicht, wie sie verhöhnt wurden. Auch Bundessprecher Trittin, der sogenannte „Parteilinke“, hatte für den Fortbestand der rot-grünen Landeskoalition votiert, um nicht schon zu Beginn des Wahljahres alle Hoffnung auf Rot-Grün in Bonn fahren lassen zu müssen.
Zusammen mit dem juristischen Erfolg bei der Stillegung des AKW Mühlheim-Kärlich hätte grüne Standhaftigkeit gegen Garzweiler II wenigstens ein Fanal dafür sein können, daß die industrielle Nutzung sowohl der Kernenergie als auch der klimaschädlichen, weil hochgradig Kohlendioxyd freisetzenden Braunkohle an ihr historisches Ende gelangt ist. Es hätte eine integre Widerlegung des arroganten Auftretens der Bundesregierung auf den internationalen Klimakonferenzen sein können, die dort immer als Vorreiter daherkommt und in Wirklichkeit nichts für einen substantiellen Klimaschutz macht. Es hätte der Aufruf sein können, nun neben dem Abbau von Überkapazitäten endlich den Übergang zur Nutzung regenerativer Energien einzuleiten. Und es hätte nicht zuletzt eine Solidarität mit den betroffenen Gemeinden sein können, die nicht Opfer von Umsiedlungsmaßnahmen werden wollen. Doch an solch altertümliche ökologische Programmatiken können sich grüne PolitikerInnen schon lange nicht mehr erinnern. Sie verdrehen jede Logik in ihr Gegenteil und meinen in ihrem parlamentarismusfixierten Newspeak, ein Ausstieg aus der Regierung sei „in dieser Situation weder glaubwürdig noch im Hinblick auf den Widerstand gegen Garzweiler II verantwortungsvoll.“ Widerstand ist demnach überhaupt nur als Regierungsmitglied möglich. Wer in der Regierung ist, ist also nicht verantwortlich dafür, was die Regierung macht, sondern wer nicht in der Regierung ist, ist dafür verantwortlich. Wer oppositionell ist, leistet nicht nur keinen Widerstand, sondern ist obendrein völlig unglaubwürdig und macht sich schuldig an der Durchsetzung der Regierungspolitik. Hat es jemals eine absurdere Verdrehung von Tatsachen und Wirklichkeit gegeben? Warum nicht gleich: zwei mal zwei ist fünf!?
Parlamentarismus ist das inszenierte Spiel des „Heute so, Morgen so, wie’s grad paßt, hoffentlich merkt’s keine/r!“ Die KoalitionärInnen nehmen das Wort Glaubwürdigkeit genau in dem Moment wie selbstverständlich in den Mund, in welchem sie ganz offensichtlich unglaubwürdig geworden sind, weil sie gegen noch gestern geltende Beschlüsse verstoßen haben. Da freuen sich die UmfallerInnen vom Dienst, diejenigen, die das inszenierte Spiel längst zu ihrer virtuellen Realität gemacht haben und darin ganz unbefangen leben, weil sie gar nicht mehr wissen, was Glaubwürdigkeit im normalen, richtigen Leben eigentlich heißt: die FDP schenkt also der grünen Bundestagsfraktion erfreut den Plüschelch – Elchtest bestanden, willkommen im Club der Serienumfaller! Und auch der Grüne Fischer findet’s lustig, schenkt den Elch seinen Kindern und tauft ihn Guido. Man/frau ist per du im Club der Umfaller.
Ein weiterer Knackpunkt der rot-grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen ist der grüne Beschluß: mit uns keine Castor-Transporte nach Ahaus! Nach Garzweiler II wissen wir, immer das Gegenteil des grünen Newspeak als Gewißheit erkennend: der Castor kommt!