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Sachzwänge versus Basisdemokratie

Wie auf dem Jukß basisdemokratischere Strukturen erkämpft wurden

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Aus einer ganz anderen Perspektive als nebenstehender Artikel - der Innensicht eines Mitglieds des Moderationsteams - befaßt sich der nachfolgende Artikel mit den Schwierigkeiten der Basisdemokratie auf einer so heterogenen Großveranstaltung wie dem Jukß. Dabei wird deutlich, daß und wie Basisdemokratie immer wieder neu erkämpft werden muß. (Red.)

So richtig zufriedenstellend geklappt hat es auf den Jugendumweltkongressen noch nie mit der Basisdemokratie: schlecht besuchte Bezugsgruppen und SprecherInnenräte, Plena mit hunderten Menschen, bei denen nur wenige zu Wort kommen und eine Moderation, die von der Kongreßorganisation gestellt wurde und damit parteiisch war.

Auf dem diesjährigen Jukß gab es daher zum ersten Mal ein unabhängiges Moderationsteam, das sich um eine konsensorientierte Gestaltung der Bezugsgruppen, SprecherInnenräte und Plena kümmerte. Dennoch gab es eine massive Unzufriedenheit mit den Entscheidungsstrukturen auf dem Jukß, die nach einem sehr mißlungenen Plenum in eine Art Aufstand gegen die als autoritär empfundenen Strukturen mündete. Aus dem „Aufstand“ entwickelte sich ein beeindruckender, große Teile des Kongresses erfassender Konsens- Lernprozeß, in dessen Verlauf basisdemokratischere Strukturen erst wirklich verankert wurden.

Lernfeld Basisdemokratie

Die Geschichte dieses „Aufstands“ zeigt, daß Basisdemokratie nur dann wirklich funktioniert, wenn sie von unten kommt und eingefordert wird. Und dann auch auf einem Kongreß mit ca 700 Menschen möglich ist, selbst wenn dafür von der Organisation viel zu wenig Raum eingeplant wurde.

Wir vom Moderationsteam (fünf Leute mit mehr oder weniger Erfahrung im moderieren) wurden vom Orga-Team des Kongresses gebeten, uns um die Basisdemokratie auf dem Kongress zu kümmern und die dafür vorgesehenen Strukturen (mittags Bezugsgruppentreffen, danach SprecherInnenrat, abends Plenum) zu moderieren. Wir entwickelten eine Struktur, die den Bezugsgruppen sowie dem SprecherInnenrat ein möglichst hohes Gewicht gaben. Danach sollten die Hauptdiskussionen in diesen Gremien stattfinden, und das abendliche Plenum vor allem der Informationsvermittlung, dem kurzen Andiskutieren von Entscheidungsfragen und der Abstimmung (angereichert mit einigen Konsens-Elementen) dienen. Allerdings war diese Struktur natürlich von uns ziemlich übergestülpt und zudem nicht ausreichend vermittelt. Es bedurfte erst einiger Abänderungen im Zuge der Diskussionen um die zukünftige Entscheidungsstruktur, bevor schließlich ein Entscheidungsmodus im Konsens angenommen wurde.

Nach dem ersten Tag waren wir als Moderationsteam ziemlich zufrieden. Die Bezugsgruppen waren so gut besucht wie noch nie, da am ersten Tag eine Aktion in Bezugsgruppen, die sich nach verschiedenen inhaltlichen Aufgaben fanden, stattfand. Die Idee, die Bezugsgruppenfindung mit einer Aktion zu gestalten, bei der alle Teilnehmenden in Kleingruppen durch die Stadt ziehen, hat sich sehr bewährt. Entsprechend gut funktionierte auch der erste SprecherInnenrat, in dem ca. 30 Gruppen vertreten waren, sowie des erste Plenum.

Sprengstoff auf dem Plenum

Doch schon am nächsten Tag kam es zu einen großen Eklat auf dem Plenum. Es standen eine Reihe wichtige Diskussionen und Entscheidungen an. Neben der Zensur der GWR durch das Umweltbundesamt (UBA) wurde auch dem Orga-Team Zensur vorgeworfen, da es zwei Arbeitskreise zu „Carwalking“ und zu direktem Widerstand gegen Straßenprojekte aufgrund einer Empfehlung des UBA aus dem offiziellen Programm genommen hatte und diese nur als spontane AK’s stattfinden konnten. Außerdem ging es darum, ob ein Mönch von der Sekte „Anada Marga“ Meditationsworkshops anbieten dürfe sowie um die Frage in welcher Form der Jukß in der Zukunft stattfinden könne, da mit einer Förderung durch das UBA nicht mehr zu rechnen ist.

Viele brisante Fragen also, die dadurch zu Sprengstoff wurden, daß an diesem und dem nächsten Tag fast keine Zeit für Plena war. Das Orga-Team hatte in einer Mischung aus Unerfahrenheit und Geringschätzung basisdemokratischer Strukturen die Abende so zugeplant, daß an diesem Tag nur eine Stunde für das Plenum blieb und am nächsten Tag, Sylvester, gar kein Plenum stattfinden sollte. Dies und einige Fehler in der Moderation des unter Zeitdruck leidenden Plenums führten zu einem Eklat. Mit gutem Grund entstand der Eindruck, daß wichtige Diskussionen auf autoritäre Art und Weise unterdrückt und verzögert werden sollen. Direkt nach dem so schlecht gelaufenen Plenum bildete sich eine ca. 50 Leute umfassende Gruppe, die extrem unzufrieden war, die Moderation absetzen und selbst übernehmen wollte, zeitweise gar Störaktionen überlegte und am Sylvestertag den Raum für ein großes Plenum erkämpfen wollte. Diese Gruppe baute eine Art Parallelstruktur zu dem SprecherInnenrat auf und arbeitete am nächsten Tag intensiv und produktiv an grundsätzlichen Fragen zur Entscheidungstruktur auf dem JUKß. Einige der in dieser Gruppe Aktiven waren auch an der Besetzung eines Raumes beteiligt, mit der sie einen Freiraum gegen die Verplantheit des Kongresses und die von Ihnen angeklagte Zensur radikaler Inhalte schaffen wollten.

Doch auch in den Bezugsgruppen gab es eine große Unzufriedenheit sowie viele Verbesserungsvorschläge, die am nächsten Tag in einer vierstündigen SprecherInnenratssitzung aufgearbeitet wurden. Der Kongreß brodelte und an vielen Orten war der Aufstand sichtbar: Im Plenumssaal prangerte ein großes Transparent mit den Worten „Sachzwang statt Basisdemokratie“ sowohl das Verhalten gegenüber der Zensur als auch den Vorzug fest geplanter Kulturveranstaltungen gegenüber einem notwendigen Plenum an. Auf dem Weg zum Plenum hingen etliche Papiere mit Forderungen nach mehr Partizipation, und der sogenannte „Platz der ökologischen Steuerreform“, ein Ort an dem immer Orga-Durchsagen per Megaphon gemacht wurden, wurde kurzerhand in „Platz der Monologe“ umbenannt.

Produktive Lösungen

Der SprecherInnenrat und die Gruppe, die die Moderation übernehmen wollte, stimmten ihre Vorstellungen ab und entwickelten als Konsensvorschlag eine neue Grundlage zur Moderation und Entscheidungsfindung auf dem Kongress. In langen und anstrengenden Sitzungen wurde aus der Wut vom Abend zuvor eine enorm konstruktive Arbeit an der basisdemokratischen Utopie. An Abend zuvor noch deprimiert von dem mißlungenen Plenum, machte dieser Tag auf mich den Eindruck eines gewaltigen kollektiven Lernprozesses, bei dem sehr viele Menschen positive Erfahrungen mit Konsens machten.

Wir als Moderationsgruppe wurden schließlich doch nicht abgesetzt, da als Hauptursache der Misere die wenige Zeit für das Plenum erkannt wurde, für die das Orga-Team verantwortlich war. Allerdings mußten und wollten wir uns von diesem Moment an für alle, die mit den Plena unzufrieden waren, öffnen und ein Großteil der Moderation wurde fortan von neuen Leuten geleistet, was sich als sehr produktiv erwies. Die Offenheit der Moderationsgruppe war ein wichtiges Ergebnis der Kritik, da eine geschlossen und intensiv arbeitende Moderationsgruppe nie wirklich mit der Stimmung auf dem Kongreß verbunden sein kann. Die Moderation soll aus der Mitte des Kongresses kommen und keine abgehobene Stellung einnehmen.

Nach einem sehr intensiven Nachmittag mußte nun die Forderung nach einem dreistündigen Plenum gegenüber dem Orga-Team durchgesetzt werden, das sich dagegen sträubte, das schon fertig geplante Sylvesterprogramm zusammenzukürzen. Es war klar, daß die Stimmung auf dem Kongreß ohne Plenum explodiert wäre und so gelang es uns nach langem Gefeilsche auch das Plenum durchzusetzen – auf Kosten einer von weit angereisten Band, deren Auftritt bis zuletzt unklar blieb.

Basisdemokratie funktioniert!

Das mit so viel Energie erkämpfte Plenum wurde schließlich ein sehr großer Erfolg und ging dank der intensiven Vorarbeit in 90 Minuten über die Bühne, so daß doch noch das gesamte Sylvesterprogramm stattfinden konnte. Das zuvor entwickelte Entscheidungsmodell wurde im Konsens angenommen und bewährte sich trotz einiger Schwierigkeiten in den folgenden Tagen. Es unterschied sich nicht grundsätzlich von dem zuvor von uns vorgegebenen Modell, hatte aber aufgrund der intensiven Diskussionen darum eine viel tiefere Legitimation und wurde damit auch erst wirklich praxistauglich. Grob zusammengefasst ist das Plenum nach diesem Modell kein Ort an dem Diskussionen ausgetragen werden. Neue Themen werden im Plenum in einer Statementdiskussion andiskutiert und schließlich zur Diskussion in die Bezugsgruppen weitergegeben. Im SprecherInnenrat wird aus den Vorschlägen der Bezugsgruppen ein Konsensvorschlag erarbeitet, der beim nächsten Plenum ohne weitere Diskussion nach vier Fragen abgefragt wird: „Ich stimme dem Vorschlag vorbehaltlos zu“, „Ich habe Bedenken, stimme aber zu“, “ Ich habe schwere Bedenken, toleriere aber den Beschluß“, „Veto“. Nur bei einem Veto ist die Entscheidung blockiert. Läßt sich das Veto nicht innerhalb des Plenums ausräumen, so müssen die Bezugsgruppen einen neuen Konsensvorschlag entwickeln. Nur wenn eine Entscheidung so dringend ist, daß sie direkt im Plenum entschieden werden muß, kann sie auch direkt dort diskutiert werden.

Dieses Modell hat sicherlich noch einige Schwächen und entspricht auch nicht allen Ansprüchen an Konsensentscheidungen. Dennoch sind die Schwerpunktlegung auf die Bezugsgruppen, die Aufschlüsselung der Abstimmung und das Vetorecht für den Jukß ein deutlicher Zuwachs an Partizipation, der von allen Teilnehmenden mitgetragen wurde.

In den folgenden Tagen wurden nach dem Modell einige Entscheidungen getroffen. Eine Resolution gegen Zensur wurde zusammen mit einem Foto von Teilnehmenden mit zugeklebten Mündern an die Presse geschickt. Es wurde ein Forderungskatalog für das Orga-Team des nächsten Jukß entwickelt, in den die wichtigsten Diskussionen auf dem Kongreß ihren Eingang fanden. Der nächste Kongreß wird wohl sowieso nicht mehr vom UBA finanziert werden und bietet somit die Möglichkeit dem Wunsch nach größerer Unabhängigkeit zu entsprechen.

Insgesamt sind nach meiner Beobachtung sowohl in Sachen Konsens als auch bezüglich Zensur und Abhängigkeit vom UBA auf dem Kongreß einige libertäre Impulse geschehen. Es bleibt zu hoffen, daß sich diese in der stark von Umweltverbänden geprägten Jugendumweltbewegung weiterentwickeln können.

Und was die Zensur an der GWR betrifft, so kann ich mit Gruß an das UBA sagen, daß seine repressiven Maßnahmen natürlich das Interesse an der Zeitung und ihren Bekanntschaftsgrad extrem erhöht haben.