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Recht hat er, der Deniz Yücel

Rede von Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler, gehalten am 10. März 2017, bei der Auftaktkundgebung zum #FreeDeniz-Fahrradkorso am Rathaus Münster

| Wilhelm Achelpöhler

Es geht um das Menschenrecht der Pressefreiheit. Bei der Pressefreiheit geht es eben nicht nur um die „Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten“, wie es Paul Sethe, einer der Gründungsherausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ einmal gesagt hat. Bei der Pressefreiheit geht es auch um die Freiheit der Journalisten, um die Freiheit von Deniz Yücel und Hunderten anderen in der Türkei.

Heute wird deutlich, welche Rolle die Menschenrechte in der Diplomatie wirklich spielen.

Es ist offenbar nicht so, dass die Lage der Menschenrechte in der Türkei bestimmt, welches Verhältnis Deutschland zur Türkei hat.

Es ist offenbar nicht so, dass die Lage der Menschenrechte in der Türkei bestimmt, ob und wie Deutschland mit der Türkei wirtschaftlich oder militärisch zusammenarbeitet.

Wenn es auf die Lage Menschenrechte in der Türkei ankäme, dann müsste – nach der Entlassung von Tausenden Hochschullehrern, – der Inhaftierung von über 150 Journalistinnen und Journalisten, – der Kriegführung in den kurdischen Siedlungsgebieten die militärische Zusammenarbeit längst beendet sein!

Erst heute [am 10. März 2017] haben die Vereinten Nationen einen erschütternden Bericht über die Zerstörungen und die Verletzungen der Menschenrechte in den kurdischen Siedlungsgebieten veröffentlicht:

  • eine halbe Million Menschen ist auf der Flucht
  • in der Stadt Nusaybin an der Grenze zu Syrien wurden 1786 Häuser beschädigt oder zerstört
  • 70 % des Zentrums von Amed, türkisch Diyarbakir sind zerstört.

Die türkische Regierung verweigert den UN den Besuch der Region.

Es ist also nicht so, dass die Lage der Menschenrechte bestimmt, wie die wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen sind. Es ist offenbar genau andersherum. Sind die wirtschaftlichen Beziehungen eng und gut, wird bei den Menschenrechten weggeschaut. Wie gut die Beziehungen im Bereich der Wirtschaft und des Militärs zwischen zwei Staaten sind, kann man daran erkennen, ob ein Staat wegen der Menschenrechte kritisiert wird.

Hierzulande hat kein US-Soldat, der den Kriegsdienst verweigert, eine Chance auf Asyl und die Kriegsführung der USA ist ein Akt der Humanität. Das zeigt uns: die Beziehungen zu den USA sind bestens.

Die Inhaftierung einer Band wie Pussy Riots wird zur Staatsaffäre und die russische Kriegsführung ist eine Menschenrechtsverletzung. Das zeigt uns: Die Beziehungen zu Russland sind nicht so gut.

Gibt es Kritik an der Türkei wegen der Vertreibungen von 500.000 Menschen im Südosten? Gibt es Kritik wegen der Entlassung Tausender Wissenschaftler? Gibt es Kritik an der Aufhebung der Immunität der HDP-Abgeordneten? Kaum. Das zeigt uns: Die Beziehungen Deutschlands zur Türkei sind gut. Die wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit floriert und auch das, was man Terrorismusbekämpfung nennt.

Das Bundesinnenministerium vertritt neuerdings dieselbe Auffassung wie die Türkei zu den Verteidigungskräften der syrischen Kurden YPG und YPJ, die ihr aus dem Kampf um Kobane kennt. Ihre Fahnen sollen auf Demonstrationen verboten werden. Es gibt zwar einen Streit um das Recht von türkischen Regierungsmitgliedern hier Wahlkampf für das Referendum über die Änderung der Verfassung zu machen. Wenn türkische Minister hier Wahlkampf machen, dann ist das aus deutscher Sicht ein ungehöriger Besitzanspruch der türkischen Obrigkeit auf die hier lebenden türkischen Staatsangehörigen. Da lautet die Antwort des deutschen Staates dann: Unsere Türken gehören uns und sonst niemandem!

Aus Sicht der Türkei ist diese Zurückweisung unerhört. Deshalb der Vorwurf an Deutschland, hier herrschten Verhältnisse wie in der Nazi-Zeit. Aus Sicht der Türkei steht es also um die Menschenrechte in Deutschland nicht so gut. Das zeigt uns: aus Sicht der Türkei sind die Beziehungen zu Deutschland derzeit belastet.

Die Bundesregierung hat die Verhaftung von Deniz Yücel milde als „unverhältnismäßig“ kritisiert. Unverhältnismäßig heißt: es gibt ein legitimes Ziel, aber bei den Mitteln wird daneben gegriffen. Erdogan will Deniz Yücel zum Schweigen bringen. Wie kann das ein legitimes Ziel sein?

Deniz Yücel hat nicht nur Erdogan kritisiert, er hat auch diese deutsche Politik gegenüber der Türkei immer kritisiert. Deshalb will ich Deniz Yücel selbst zu Wort kommen lassen. Wenn durch Erdogan Deniz Yücel mundtot gemacht werden soll, wenn Erdogan Deniz Yücel zum Schweigen bringen will, dann will ich jetzt Deniz Yücel selbst zu Wort kommen lassen: Als die AKP 2015 ihre absolute Mehrheit im Parlament verloren hatte und die HDP ins Parlament eingezogen ist, war Deniz Yücel in Amed, auf Türkisch Diyabarkir, und feierte mit viel Raki im Kreis von Kollegen den Wahlausgang. Am nächsten Tag erschien sein Artikel in der „Welt“. Der Artikel war euphorisch. Die Überschrift lautete „Der Anfang vom Ende der AKP-Herrschaft Erdogans“. Ruprecht Polenz aus Münster, manche werden sich an ihn erinnern, er war hier mal im Stadtrat, später im Bundestag Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz hat diesen Artikel ziemlich heftig kritisiert: das sei die „schwächste Wahlanalyse“ überhaupt und Deniz Yücel sei gegenüber Erdogan voreingenommen. Ruprecht Polenz fand Wahlanalysen treffender, die Erdogans Verdienste um die Türkei betonten.

Deniz Yücel antwortete in einem Artikel mit der Überschrift: „Der arme Erdogan und die böse Presse“ und schrieb: „So ziemlich alle ausländischen Journalisten, die über die Türkei berichten, bekommen von Anhängern der AKP nicht nur Beschimpfungen und Drohungen aller Art zu hören, sondern immer wieder auch den Vorwurf, sie seien voreingenommen und würden ‚parteiisch‘ berichten. Das sagen AKP-Fans mit Abitur, das sagen türkische Nationalisten, die in jeder Kritik ‚Vaterlandsverrat‘ sehen, und das sagen deutsche Fans der AKP, die immer noch um ihren Traum von einer muslimischen CDU kämpfen. Einer von ihnen ist der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz, der heute hauptsächlich als Nervensäge im Internet und als Ehrenvorsitzender des AKP-Freundeskreises Münsterland beschäftigt ist.“

Deniz Yücel schrieb: „Es gibt tausend Gründe, weshalb es im Sinne der Demokratie wäre, wenn die Clique um Recep Tayyip Erdogan von der politischen Bühne abtreten würde.“

Recht hat er, der Deniz Yücel! Deniz Yücel beschreibt in diesem Artikel, weshalb alle Journalisten so erleichtert waren, dass Erdogan diese Wahl verloren hatte:

Deniz Yücel feierte am Wahlabend zusammen mit dem Journalisten Ahmet Sik, für Yücel „der vielleicht beste investigative Journalist der Türkei“.

2011 saß er im Gefängnis, weil er ein kritisches Buch über die Gülen-Bewegung geschrieben hatte. Deniz Yücel schrieb: „Sik droht die erneute Verhaftung – diesmal womöglich unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der ‚Parallelstruktur‘, wie die Gülen-Gemeinde inzwischen im AKP-Jargon heißt. Absurd? Sicher. Aber nicht ausgeschlossen in Tayyipistan.“

Recht hat er, der Deniz Yücel!

Seit Dezember 2016 ist Ahmet Sik inhaftiert. Vorwurf: Mitglied der Gülen Bewegung.

Deniz Yücel schrieb weiter: „Am Tisch saß zudem ein Kollege von der Nachrichtenagentur Dogan, der davon überzeugt war, dass der Medienkonzern Dogan im Fall eines Wahlsieges der AKP enteignet worden wäre.“ Zu diesem Medienkonzern gehört die Zeitung „Hürriyet“ und der Fernsehsender CNN-Türk

Auch hier gilt: Recht hat er, der Deniz Yücel!

Was ist geschehen? Der Medienkonzern wurde nicht enteignet, sondern auf Kurs gebracht. Im Oktober 2016 kam heraus, dass der Chef dieses Medienkonzerns in einer E-Mail an den Energieminister Berat Albayrak, das ist der Schwiegersohn von Erdogan, erklärt hat, „im Sinne der Regierung zu berichten“.

Die E-Mails hatte die linksradikale Gruppe Redhack veröffentlicht. Deniz Yücel hat darüber berichtet.

Auch hier gilt: Recht hat er, der Deniz Yücel!

Was haben wir nicht alles durch Wikileaks erfahren. Darüber müssen Journalistinnen und Journalisten berichten.

Deniz Yücel ist wegen dieser Berichterstattung in Haft.

Deniz Yücel lag also völlig richtig, als er die Wahlniederlage von Erdogan feierte. Und diejenigen, die meinen, man könne mit Erdogan Geschäfte machen, Waffen liefern und gleichzeitig die Menschenrechte achten, liegen falsch.

Man muss sich entscheiden.

Entscheiden wir uns für die Menschenrechte!

Wenn Deniz Yücel zum Schweigen gebracht werden soll, dann sagen wir es umso lauter:

„Es gibt tausend Gründe, weshalb es im Sinne der Demokratie wäre, wenn die Clique um Recep Tayyip Erdogan von der politischen Bühne abtreten würde.“

Freiheit für Deniz Yücel und alle gefangenen Journalistinnen und Journalisten!

Wilhelm Achelpöhler

Mitschnitt der Rede: www.youtube.com/watch?v=7PnzelSfgOU