Bisher wurde in der Graswurzelrevolution ausgiebig vor allem die rassistische, sexistische und klimafeindliche Politik des Nationalisten Donald Trump analysiert (vgl. GWR 413, GWR 414, GWR 415 und GWR 417). Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der Handelspolitik des Trump-Regimes. (GWR-Red.)
Bereits während des Wahlkampfs sorgte Donald Trump, inzwischen der neue Präsident der USA, mit seinen Auslassungen zur US-Handelspolitik für Aufsehen. Sowohl seine Gegnerschaft zum Trans-Pacific Partnership (TPP) (1) als auch seine Pläne zur Neuverhandlung des North American Free Trade Agreements (NAFTA) mit Kanada und Mexiko haben weltweit für Aufregung gesorgt. Dazu kam seine Ankündigung, dass die USA aus der Welthandelsorganisation (WTO) austrete, würde die Organisation seine Handelspolitik (vor allem seine Pläne für Zölle gegenüber Mexiko) gefährden. (2)
Sollte derlei während seiner Amtszeit zur Realität werden, wäre dies ein Bruch mit der bisherigen US-Handelspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg. Allerdings muss sich erst noch zeigen, ob seine Regierung diese Vorschläge tatsächlich umsetzen wird. Bislang hat Trump keine umfassende handelspolitische Strategie vorgelegt, die Nominierung seiner Kabinettsmitglieder für Handelsfragen ist gerade erst abgeschlossen und zu so wichtigen handelspolitischen Themen wie TTIP hat Trump noch keine detaillierten Positionen vorgelegt. Im Folgenden soll nicht über die konkrete Handelspolitik Trumps spekuliert werden. Vielmehr soll anhand des bislang Gesagten geklärt werden, warum trotz des deutlichen Richtungswechsels zur Handelspolitik seiner Vorgänger eine große Gemeinsamkeit bleibt: das Ziel, die nationale Reichtumsproduktion zu unterstützen. Zweitens wird erklärt, in welcher Hinsicht Trump tatsächlich von der bisherigen US-Handelspolitik abweicht und welcher Standpunkt dahinter steckt.
Derselbe Zweck wie eh und je
Für Trump ist klar: Schuld an den aktuellen wirtschaftlichen Problemen der USA sind erstens ausländische Staaten und ihre Kapitale und zweitens die bisherigen US-Regierungen. Dem Ausland wirft Trump „foreign trade cheating“ (3) vor: Staaten würden dafür sorgen, dass sich ihre Kapitale keinem fairen Wettbewerb mit den USA und ihren Kapitalen stellen müssen. Zu den von Trump angeprangerten unlauteren Mitteln gehören u.a. staatliche Subventionen, Importquoten für US-Produkte in Japan und „Währungsmanipulation“ in China.
All das sind staatliche Schutzmechanismen für das jeweilige heimische Kapital, die von der WTO bekämpft werden und bereits Gegenstand von Streitigkeiten zwischen den USA und anderen Staaten waren. Auch bisherige US-Regierungen haben diese Schutzinstrumente mit negativen Auswirkungen auf US-amerikanische Kapitale kritisiert. So haben die USA auch in der Vergangenheit bereits mit Strafzöllen und anderen Importregelungen reagiert und offensiv – in Worten und Taten – ihr Interesse am amerikanischen Erfolg über das „gute Funktionieren der Weltwirtschaft“ insgesamt gestellt. (4) Jedoch wurde in der politischen Kalkulation bislang so entschieden, dass die Politik anderer Staaten kritisiert und gemäß der eigenen Güterabwägung mit Drohungen und Versprechen konfrontiert wurde (z.T. auch weil solche Maßnahmen indirekt und an anderer Stelle auch mal dem US-Interesse mal dienen können). Als Verhandlungsmasse wurden sie im ständigen Gegeneinander genutzt, um im Gegenzug Zugeständnisse von anderen Staaten zu erhalten. Trump wirft nun denjenigen „‚Handelspartnern“ eine unfaire Handelspolitik vor, über deren Erfolg er unzufrieden ist, wenn er sie im Verhältnis zu unzureichenden US-Erfolgen betrachtet (z.B. Arbeitsplatzabbau in den USA, Handels- und Leistungsbilanzüberschüsse exportstarker Nationen): Das könne nicht mit rechten Dingen zugegangen sein, die betrieben eigentlich keinen richtigen Freihandel; richtiger Freihandel würde US-Kapitalen zur Durchsetzung verhelfen. Also hätten sie „unfair“ gehandelt. Trump denkt vom Resultat mangelnder Konkurrenzerfolge her. So kommt er auf Konkurrenten, die diesen Erfolg verhindert hätten – aber nicht, weil sie überlegen gewesen wären, sondern weil sie unlautere Konkurrenzmethoden angewendet hätten. Daran wird deutlich, dass der Erfolg der USA für Trump keine Frage der Konkurrenz ist (möge der Bessere gewinnen), sondern ein nationales Recht. (5)
Die USA sind für US-Nationalist*innen eben von vornherein „besser“, ihnen steht der Erfolg darum als Recht zu, und wenn es mit rechten Dingen zuginge, würde er sich auch einstellen.
Darüber hinaus hätten es Trumps Vorgänger seiner Meinung nach versäumt, in derlei internationalen Handelsgesprächen mit aller Macht auf US-Interessen zu pochen und diese auch durchzusetzen. Sie seien an ihrer Aufgabe gescheitert, die USA als starke und unnachgiebige Nation zu repräsentieren. Hätten sie das getan, wären solche Zugeständnisse auch nicht notwendig gewesen. Analog zum eben angesprochenen Recht der USA auf Erfolg macht Trump an den Erfolgen anderer Staaten folgendes fest: Die hätten sich durchgesetzt, was aber nur sein könne, weil US-Regierungen durchsetzungsschwach gewesen seien, durch ihre Politik Amerika schwach gemacht hätten und sie sich hätten ausnutzen lassen (was sich ja am Erfolg der anderen Nationen zeige) – nicht für die anderen, sondern für Amerika gehöre Politik gemacht.
Diese Kritik an den Vorgängerregierungen ist sachlich (wie alle WTO-Runden und die Bedingungen von Freihandelsabkommen wie NAFTA oder die Verhandlungen zu TPP und TTIP zeigen) Quatsch. Der 45. Präsident kündigt nun aber etliche Güterabwägungen der vorherigen Regierungen auf – oder droht damit, um Zugeständnisse durchzusetzen. So macht Trump deutlich, dass er rücksichtsloser als seine Vorgänger auf US-Handelspartner zugehen wird. Er ist der Meinung, dass die USA dank ihrer Stärke keine Kompromisse eingehen bräuchten und internationale Verträge ganz in ihrem eigenen Interesse abschließen können. Denn seiner Ansicht nach sei das bisher nicht so geschehen, und so seien die aktuellen Probleme der US-Wirtschaft überhaupt erst verursacht worden.
Trump wirft der „‚politischen Klasse“ vor, nicht das Wohl der eigenen Nation im Sinn gehabt zu haben. (6) Damit liegt er falsch. Die Zwecksetzung der Handelspolitik eines jeden westlichen Staates ist es, die eigene Nationalökonomie zu stärken. Notwendig wird dann eine Politik, die dies durchsetzt, auch gegen den Willen und zum Nachteil der anderen Staaten, die dasselbe für ihre Ökonomie und ihren Standort wollen und damit an vielen Stellen Gegensätzliches verfolgen. Dass US-Interessen an erster Stelle stehen sollten, darin sind sich Trump als auch seine Lieblingsfeinde unter seinen Vorgängern, Bill Clinton und Barack Obama, ausnahmsweise einig. So freute sich Bill Clinton bei der Unterzeichnung von NAFTA 1993: „America is where it should be, in the lead, setting the pace“ (7) und Barack Obama machte 2016 mit folgenden Worten Werbung für TPP: „America should write the rules.“ (8)
Genauso liegen aber auch KritikerInnen falsch, die behaupten, dass Trump gar nicht zum Wohle der Nation regieren wolle. So twittert beispielsweise die demokratische US-Senatorin Elizabeth Warren: „Americans deserve to know that the President is doing what’s best for the country – not using his office to do what’s best for himself.“ (9) Der Standpunkt, von dem aus Trump seine Handelspolitik plant und kalkuliert, ist ein und derselbe wie der aller bisherigen US-Präsidenten. Sie alle verfolgen ein gemeinsames Ziel: Das nationale Kapital muss wachsen. Nur darüber, wie dieses Ziel am besten erreicht wird, herrscht Uneinigkeit. Ihre Uneinigkeit geht soweit, dass sie sich gegenseitig des Vaterlandsverrats beschuldigen: Jede Seite meint, mit der eigenen Strategie die Nation voran zu bringen und bestreitet, dass ihre Kontrahenten dieselbe Zielsetzung haben.
Neuer Kurs auf altes Ziel
Während in den letzten Jahrzehnten die zentrale Strategie Washingtons auf möglichst freien Handel – wenn auch zu US-amerikanischen Konditionen – durch globale bzw. in den letzten Jahren zunehmend durch regionale Handelsverträge setzte (10), kündigt der neue US-Präsident eine Kursänderung an: Um die nationale Ökonomie zu stärken, plädiert Trump für mehr bilaterale Verträge und mehr Protektionismus. In der Vergangenheit gab es – grob gesprochen – zwei Strategien mit den wirtschaftlichen Problemen der USA umzugehen: Die eine, demokratische, setzte auf die Durchsetzung von US-Interessen durch Freihandel in möglichst großem Stil in Kombination mit einer Verbesserung der heimischen Voraussetzungen und Bedingungen für das Wirtschaftswachstum (Investitionen in die Infrastruktur, Einwanderung von nützlichen Arbeitskräften, aber auch Bildungsoffensiven, Maßnahmen zum Erhalt der Arbeiter*innenklasse wie die Krankenversicherung). Die andere, republikanische Strategie setzte auf Verbesserung der Konkurrenzbedingungen des US-Kapitals (weniger Steuern, weniger Gesetze) bei gleichzeitiger „Korrektur“ des globalen Freihandels durch bilaterale Verträge und Abkommen, die zu großen, US-dominierten Freihandelsblöcken führen sollten. Beide Strategien widersprechen sich nicht wirklich, haben sich aber in den letzten Jahren häufig blockiert. Trump will nun die Kombination von beiden, ohne Migration und ohne Verpflichtung auf das Ideal des Freihandels. Ob von seiner groß angekündigten Investitionsoffensive viel übrig bleibt, wird sich zeigen. Die neue Rücksichtslosigkeit in der Handelspolitik zeigt sich jedenfalls schon jetzt. So stellte er nach seiner Wahl in einer ersten Videobotschaft klar, was er am ersten Tag seiner Präsidentschaft vor hat: „To withdraw from the TPP, a potential disaster for our country. Instead, we will negotiate fair, bilateral trade deals that bring jobs and industry back onto American shores.“ (11)
Dieses Versprechen hat er eingehalten und den Austritt der USA aus TPP erklärt. Von seiner Alternative, Handelspolitik in bilateralen Verträgen zu betreiben, verspricht er sich, die wirtschaftliche Macht der USA besser ausspielen und für eine im Verhandlungsergebnis bessere ökonomische Schaden-Nutzen-Rechnung nutzen zu können. Mit dieser Einschätzung könnte er sogar richtig liegen: Mit nur einem einzelnen Staat als Verhandlungspartner hat die USA als politisch wie ökonomisch überlegene Macht wohl in der Tat bessere Chancen, da kaum ein einzelner Staat der Weltmacht in der internationalen Staatenkonkurrenz das Wasser reichen kann. Trump will also sehr wohl weiterhin internationale Handelspolitik betreiben, jedoch nicht länger in multi- oder plurilateralen Abkommen mit mehreren Ländern gleichzeitig, da er befürchtet, dass die USA dann zu große Zugeständnisse machen müssten und damit Einschnitte in die Interessen der USA erlauben würden. Anders als seine Vorgänger, so verspricht er, würde er so dafür sorgen, dass die USA nicht mehr auf Kosten der eigenen Interessen auf andere zugehen müsse. (12)
Dieser „Schutz“ der Arbeiter ist der zweite große Bestandteil seiner bisherigen Handelsagenda. Sowohl Trump als auch Clinton sind mit dem gern gehörten Versprechen angetreten, sich um das Wohl der Nation zu sorgen, sich um die Bedürfnisse der amerikanischen Arbeiter*innen zu kümmern und ihnen Arbeitsplätze zu verschaffen. Dabei wird verkannt, dass Lohnarbeit es in der Regel nicht hergibt, dass mensch gut davon leben kann – sondern vielmehr einen objektiven Schaden davonträgt. Denn um das Wohl der Nation mittels einer erfolgreichen Nationalökonomie zu verwirklichen, muss das nationale Kapital erfolgreich sein. Der Erfolg des Kapitals beruht aber darauf, dass Lohnabeiter*innen ihr Leben lang in der abhängigen Position verbleiben, welche sie jeden Tag aufs Neue zur Arbeit für andere zwingt, um so gerade mal ihren Lebensunterhalt (und oft genug auch das nicht) sicherstellen zu können. Dabei sollen die Lohnarbeiter*innen zu möglichst geringen Kosten so intensiv wie möglich genutzt werden – und werden ggf. auch durch Maschinen ersetzt, sollten diese in der Kosten-Nutzen-Kalkulation günstiger abschneiden. An der miserablen Situation der Lohnarbeiter*innen ändert also auch der so oft beschworene Erfolg der Nation nichts – auch wenn viele Versprechen nach einem Arbeiterbeglückungsprogramm klingen, was sie aber nicht sind. Ganz im Gegenteil: Der Erfolg der Nationalökonomie basiert auf der Plackerei der Lohnarbeiter*innen. Wenn es nun durch die Öffnung der Märkte mittels Freihandelsabkommen zu mehr Konkurrenz zwischen den Firmen kommt, werden diese – um unter dieser verstärkten Konkurrenz überleben zu können – ihr Personal noch mehr auf wachsende Leistung zu sinkenden Kosten trimmen (wenn sie nicht den Produktionsstandort auch wegen geringerer Lohnkosten ins Ausland verlegen). Mehr Konkurrenz heißt also mehr Lohndruck und mehr abverlangte Leistung. Oft genug hilft der Staat noch nach: Von staatlicher Seite wird das nationale Kapital in diesem Konkurrenzkampf beispielsweise durch Arbeitsmarktreformen unterstützt, die dafür sorgen, dass das nationale Lohnniveau „international konkurrenzfähig“ wird, sprich der Lohn gesenkt wird. So etwa, wenn der Staat passend zum gesteigerten Lohndruck die Sozialleistungen senkt und damit die Arbeitskraft noch billiger macht. Genau diese gesteigerte Konkurrenz ist für kapitalistische Staaten ein wichtiger Weg zu mehr Wachstum, was sie mit einem Mehr an nationalem Wohlstand gleichsetzen. Auf die Lage der Lohnarbeiter*innen hat dies eher den gegenteiligen Effekt. Diese Dynamik gilt sowohl bei multi- als auch bei bilateralen Freihandelsabkommen, in denen Staaten zu gegenseitigen Zugeständnissen bereit sind – egal ob von Trump, Clinton oder Obama politisch forciert. Auch durch den von Trump propagierten Protektionismus sind eine verschärfte Konkurrenz und die für die Lohnarbeitenden unangenehmen Folgen nicht einfach aus der Welt: Wenn Firmen mittels Strafzöllen auf Importe gezwungen werden, ihre Produktionsstätten in den USA zu behalten bzw. dorthin zurückzuverlegen, heißt das im Zweifelsfall, dass sie aus politischen Gründen Abstriche an Profiten machen. Sie würden unter den neuen politischen Bedingungen in den USA produzieren, was teurer wäre als früher – aber immer noch billiger, als wenn sie im Ausland zwar billiger produzierten, aber hohe Strafzölle zahlen müssten. Damit steigt der Druck an anderer Ecke, effizienter zu produzieren, damit steigt auch der Lohndruck und es wird den Arbeiter*innen mehr Leistung abverlangt. Nur so können Unternehmen einerseits in den USA rentabel wirtschaften (und sich im heimischen Markt behaupten), andererseits aber auch weiterhin im Ausland beim Absatz der Produkte konkurrenzfähig sein. Nur wenn Trump tatsächlich Deals für die USA abschließen sollte, in denen er ausschließlich Zugeständnisse von anderen Staaten erhält, selbst aber keinerlei Kompromisse eingehen müsste, ist ein steigender Konkurrenzdruck nicht vorprogrammiert. Dazu müsste er aber eine ganze Reihe solcher Abkommen abschließen (US-Firmen konkurrieren international ja mit Unternehmen aus vielen unterschiedlichen Ländern). Ob die USA die dafür notwendige absolute Machtposition haben, ist zu bezweifeln.
Kein reiner Protektionist
Auch wenn Trump sich für die Aushandlung anders gewichteter Abkommen stark macht, ist er kein reiner Protektionist, wie oft behauptet wird. Sein Plan ist schließlich nicht, einfach alle Freihandelsabkommen aufzukündigen. Vielmehr möchte er nur jene Handelsabkommen nachverhandeln oder aufkündigen, in denen seiner Meinung nach die USA schlecht abschneiden. In einem Interview mit CNBC sagte er entsprechend im August 2016: „But we are absolutely going to keep trading. I am not an isolationist. And they probably think I am. I’m not at all. I’m a free trader. I want free trade, but it’s got to be fair trade. It’s got to be good deals for the United States.“ (13)
Trump ist also für Freihandel, so lange dies US-amerikanischen Interessen dient. Was er dabei allerdings verkennt: Dies ist keine neue Prämisse. Kein Präsident vor ihm hätte auch nur über ein Abkommen verhandelt, wenn er nicht gedacht hätte, dass es US-Interessen dient. Um diese auch durchzusetzen, will er in bilateralen Verhandlungen dafür sorgen, dass die USA stärker als bisher die Spielregeln des Handels schreibt. Diese Regeln möchte Trump nun so gestalten, dass es Freihandel gibt – aber nur so lange, wie er den USA unmittelbar nützt; die anderen Staaten müssen sich tendenziell damit abfinden, dass ihr Nutzen nicht der Maßstab von gemeinsamen Verträgen ist. Ansonsten soll der Freihandel eingeschränkt werden: Wenn etwa zum Schutz US-amerikanischer Kapitale protektionistische Maßnahmen wie z.B. Einfuhrzölle notwendig sind, möchte er diese auch einsetzen können.
Angesichts der momentanen weltweiten Wachstumskrise des Kapitals werden „alte“ handelspolitische Instrumente von vielen Seiten wieder aus den Schubladen gezogen, schließlich gilt es, das nationale Wirtschaftswachstum anzustoßen – und da ist der Politik zuweilen jedes zur Verfügung stehende Mittel recht, selbst wenn das international zum Konflikt führen könnte. Dementsprechend kommen bestehende Verträge auf den Prüfstand und es wird die Frage neu gestellt, wie hoch der nationale Nutzen von Freihandelsabkommen für den Staat eigentlich ist. Profitiert die eigene Ökonomie nicht von einem gegenseitigen Arrangement, taugt ein Handelsvertrag offensichtlich nicht als Mittel in der internationalen Staatenkonkurrenz. Diese Abwägung wird keineswegs nur in den USA und bei Trump vorgenommen: Bei den Verhandlungen zu TTIP kamen bereits von vielen Seiten, in Deutschland vor allem von der SPD, solche Überlegungen zum Tragen. Der damalige deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel etwa will TTIP „nicht um jeden Preis“ und ist auch nicht bereit, „sich den Amerikanern zu unterwerfen“. (14)
Für Trump scheint in dieser Kalkulation ein Mehr an vereinbarter Kapitalfreiheit nicht per se das Mittel für mehr Wachstum der US-Wirtschaft zu sein: Sein Slogan lautet vielmehr: „Buy American, hire American!“ – je amerikanischer das Kapital, desto besser. Ob die Nationalität bzw. der Standort des Kapitals alleine tatsächlich das Erfolgskriterium für die US-amerikanische Ökonomie insgesamt sind, das wird sich noch zeigen. Trump will diesen Weg einschlagen und setzt verstärkt auf die unmittelbare Förderung des nationalen Kapitals sowie den Versuch, Produktionsstandorte ausländischer Kapitale in die USA zu holen. Vor direkten Drohungen gegenüber heimischen Firmen wie Carrier schreckt er dabei nicht zurück. (15) Dabei setzt Trump auf die Abhängigkeit des nationalen Kapitals vom eigenen Staat, die durchaus eine Grundlage hat: Jedes international agierende Kapital ist auf seinen Staat als Garantiemacht in seinen auswärtigen Geschäften angewiesen. (16)
Ein Unternehmen kann dem heimischen Markt also nicht ohne Weiteres den Rücken kehren und darf es sich dementsprechend nicht mit der eigenen Regierung verscherzen. So lässt es sich dann auch leichter für nationale Zwecke einspannen. Aktuell warnt Trump beispielsweise US-Firmen wie Ford oder General Motors davor, ihre Fabriken in das Billiglohnland Mexiko zu verlegen und von dort fertige Autos in die USA zu reimportieren. Der US-Präsident wirft ihnen vor, den Vereinigten Staaten nicht treu zu sein. Sie hätten bislang nur ihre eigenen Interessen verfolgt, aber nun werde er dafür sorgen, dass sie sich wieder amerikanisch verhielten, also auch wieder ihre Nation im Blick hätten. Trump mischt sich damit unmittelbar in die Privatwirtschaft ein. (17)
Weiterhin droht er gleich ganzen Staaten wie etwa Mexiko, welches zur Sicherung der eigenen Nationalökonomie stark auf Investitionen aus dem Ausland angewiesen ist – denn es produzieren nicht nur US-Firmen Autos für den US-Markt in Mexiko, sondern auch deutsche Unternehmen wie VW und Audi. Trump hätte nun gerne, dass all diese Unternehmen, egal ob aus den USA stammend oder nicht, ihre Autos in den USA herstellen und überzieht dementsprechend auch ausländische Firmen mit solchen Forderungen. (18)
Trumps Drohung ist somit auch global zu verstehen: Er zeigt am Beispiel Mexiko sehr deutlich, dass in seinem Verständnis sowohl US-Firmen als auch andere Staaten und ihre Kapitale sich dem Willen der USA und ihren Interessen zu unterwerfen haben.
Die bislang verhandelten Freihandelsabkommen prangert Trump als einen Verzicht auf die angeblich unverzichtbaren nationalen Mittel in der Staatenkonkurrenz an (z.B. Exportbeschränkungen und Importzölle um die eigenen Kapitale vor der ausländischen Konkurrenz zu schützen). Freihandelsabkommen wie NAFTA hätten die Wirtschaft der USA anderen Staaten preisgegeben und von ihnen abhängig gemacht. (19) Deswegen sieht Trump – anders als die Obama-Regierung – in TPP auch kein Mittel, um die USA wieder zum erfolgreichen Produktionsstandort zu machen. Für ihn werden in diesen und weiteren Handelsabkommen (z.B. NAFTA, potenziell auch WTO) US-Interessen untergraben – und zwar egal, wie objektiv rücksichtslos die USA bei all diesen Verhandlungen in den letzten Jahrzehnten die Spielregeln diktiert hat. Was Trump dabei übersieht: Mit oder ohne Abkommen sind die USA ökonomisch von anderen Staaten abhängig, so wie auch andere Staaten von den USA abhängig sind (wenn auch in unterschiedlichem Maße). Schließlich bedeuten Handelsabkommen eigentlich eine gegenseitige Ausnutzung, das heißt für jede Seite muss etwas Vorteilhaftes in Aussicht stehen. Trump will nun aber, dass allein die USA an der Welt verdient und dass das amerikanische Kapital dafür alle Möglichkeiten bekommt, ohne anderen Staaten dieselben Möglichkeiten – zumindest nicht in der Allgemeinheit – zu eröffnen. Wie eine Handelspolitik aussehen soll, die nun ausschließlich nach US-Interessen gestaltet ist und keinerlei Zugeständnisse von US-Seite enthält – und wie realistisch sie in Verhandlungen durchsetzbar ist, scheint für Trump aktuell weniger relevant. Ihm geht es darum, nochmal rücksichtsloser den eigenen Nutzen, und wenn’s sein muss, auch zum Schaden der anderen Nationen durchzusetzen: Die eigene Macht soll an möglichst wenig relativiert werden. Jede ökonomische Nutzen-Schaden-Rechnung – wie sie eben bei Verhandlungen zu Freihandelsabkommen ständig und von allen Seiten aufgemacht werden – wird für Trump zur viel generellen Frage danach, wer sich von wem überhaupt Bedingungen gefallen lassen muss, wer wem ein Entgegenkommen und Zugeständnisse abringen kann. Für Trump ist deswegen bei den Verhandlungen vor allem entscheidend, dass die anderen Länder die Führungsmacht der USA und zwar ohne Abstriche anerkennen. Aus der Sicht Trumps hat sich die USA in dieser Frage bislang nicht rücksichtslos genug gegenüber dem Rest der Welt verhalten. Das soll sich nun ändern. Die ökonomische Abhängigkeit voneinander und gleichzeitig der Wettbewerb gegeneinander, die in den letzten Jahrzehnten mittels einer berechnenden Kooperation in Form von Handelsverträgen eine Verlaufsform gefunden hat, würde sich so mehr hin zu einem Kräftemessen gegeneinander verschieben, das sich stärker um Über- oder Unterordnung dreht.
Zusammenfassung
Trumps Handelspolitik folgt der gleichen Zielsetzung wie die US-Handelspolitik seiner Vorgänger: Damals wie heute betätigen sich US-Präsidenten als Nationalisten, wollen ihre Nation in der internationalen Staatenkonkurrenz nach vorne bringen. Dafür gilt es, US-Interessen in den Verhandlungen mit anderen Staaten durchzusetzen, wobei dies notwendigerweise zu Konflikten führt, wann immer die Interessen der anderen Staaten dem entgegenstehen. Jede Seite versucht, für sich das Beste herauszuholen – was oft genug einen Schaden der anderen beinhaltet. Abgeschlossen werden diese Verträge nichtsdestotrotz und immer dann, wenn sich beide Seiten mehr Nutzen als Schaden davon versprechen, die Nachteile des Abkommens also in der Hoffnung auf andere Vorteile in Kauf nehmen. Dabei hat Trump andere Vorstellungen als die bisherigen Regierungen, auf welchem Wege dieses Ziel am besten erreicht werden kann. Über viele Jahrzehnte hinweg sahen US-Regierungen einen nach US-Vorstellungen gestalteten, multilateral organisierten, globalen Freihandel als Mittel der Wahl an: Um globale Märkte für das US-Kapital zu öffnen, war die USA bereit, selbst Zugeständnisse zu machen, um die Freihandelsbedingungen im US-Interesse und weitestgehend nach US-amerikanischen Regeln durchsetzen zu können. Trump dagegen fordert nun mehr Protektionismus als Freihandel, so dass die Vereinigten Staaten möglichst wenig Zugeständnisse gegenüber anderen Staaten machen müssen – auch wenn dies heißen könnte, dass US-Kapitale weniger Handelserleichterung erhalten werden. Derzeit scheint er allerdings noch davon auszugehen, dass er im Namen einer „wieder erstarkten USA“ Verträge verhandeln kann, die zwar Zugeständnisse anderer Staaten, aber kaum welche von Seiten der USA enthalten. Für Trump gilt unumstößlich, dass die Interessen der USA – und zwar ausschließlich der USA – bei allen internationalen Verhandlungen an erster Stelle stehen müssen. Dieser Prämisse haben sich seiner Meinung nach nicht nur alle anderen Staaten, sondern auch die US-amerikanischen Lohnarbeiter*innen und ihre Bedürfnisse, bedingungslos unterzuordnen.
Gruppe gegen Kapital und Nation
(1) Trump hat gleich am ersten Arbeitstag seiner Präsidentschaft für den Austritt der USA aus TPP gesorgt. Bevor Trump TPP aufkündigte, war es bereits fertig verhandelt und unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert.
(2) https://www.ft.com/content/d97b97ba-51d8-11e6-9664-e0bdc13c3bef
(3) Donald Trump: Disappearing middle class needs better deal on trade, http://usat.ly/1pq0P6D
(4) An diesem Problem laborieren die US-Regierungen seit den 1970er Jahren herum: Einerseits sind die USA der politische Hauptgarant des weltweiten Kapitalismus, und er würde ohne ihre politischen und militärischen Garantien und ohne ihre wirtschaftliche Potenz nicht so funktionieren, wie er das tut. Dennoch wollten sich die USA deswegen nicht auf den Standpunkt eines ideellen Weltgesamtkapitalisten verpflichten lassen, sondern den Anspruch, auch Hauptprofiteur der Weltwirtschaftsordnung zu sein, einlösen.
(5) Trumps Logik zeigt sich gut an seinem Vorwurf, China habe seine Währung nach unten hin "manipuliert": China hat innerhalb des letztens Jahres seinen Devisenschatz um etwa eine Billion US-Dollar gesenkt, um seine eigene Währung zurückzukaufen. China hat also für mehr Nachfrage nach seiner Währung gesorgt, um deren Wertverfall im Zuge schrumpfender Wachstumsraten entgegen zu wirken. Faktisch hat es also ungefähr das Gegenteil von dem gemacht, was Trump China vorwirft. Trump macht einfach am US-Handelsbilanzdefizit und chinesischem Überschuss fest, dass China unfair gehandelt haben müsse. Amerikas Misserfolg gehöre sich einfach nicht.
(6) Trump sieht dabei ganz von der aktuellen wirtschaftlichen Situation der USA im Verhältnis zu anderen ökonomischen Entwicklungen wie etwa der Automatisierung ab.
(7) http://millercenter.org/president/speeches/speech-3927
(8) https://www.washingtonpost.com/opinions/president-obama-the-tpp-would-let-america-not-china-lead-the-way-on-global-trade/2016/05/02/680540e4-0fd0-11e6-93ae-50921721165d_story.html?utm_term=.e5e4a9022f2c
(9) www.huffingtonpost.com/entry/elizabeth-warren-trump-conflicts_us_58728387e4b099cdb0fd8845
(10) Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das GATT (General Agreement on Trade and Tariffs) gegründet, welches 1995 in die WTO (Welthandelsorganisation) überging. Das GATT fing mit ca. 20 Mitgliedern an, sind heute 164 Staaten Mitglied der WTO. In den 1990er Jahren wurden zunehmend zusätzliche Freihandelsabkommen zwischen zwei oder mehreren Staaten (bzw. Staatenbündnissen wie z.B. die EU oder ASEAN) geschlossen. In den 2000ern kamen hierzu zunehmend große Projekte (im Sinne von: viel Wirtschaftskraft umfassend), wie TPP oder TTIP.
(11) Donald Trump zu TPP, 22.11.2016, erste politische Rede nach der Wahl (zitiert aus der Videobotschaft),www.telegraph.co.uk/news/2016/11/21/donald-trump-will-withdraw-us-tpp-day-one-gives-major-policy/
(12) Trump speech, www.politico.com/story/2016/06/full-transcript-trump-job-plan-speech-224891
(13) www.telegraph.co.uk/business/2016/11/22/difference-ttip-tpp-does-donald-drump-want-scrapped/
(14) www.spiegel.de/politik/deutschland/ttip-sigmar-gabriels-kuehles-kalkuel-a-1110136.html
(15) Carrier ist ein Klimaanlagenhersteller aus Indiana, der geplant hatte, Arbeitsplätze nach Mexiko zu verlagern.
(16) Kommt es bei Tätigkeiten im Ausland zu Streitigkeiten, kann sich das auswärtig tätige Kapital an seinen Heimatstaat wenden, um seine Interessen auf politischer Ebene auch im Ausland in Anschlag zu bringen, z.B. durch diplomatische Bemühungen seines Heimstaates.
(17) Eigentlich ist ein derartiges Einmischen der Politik in die Privatwirtschaft in den USA insbesondere bei Konservativen ein No go, dass als "Big Government" beschimpft wird. Es ist aber ein gutes Beispiel dafür, dass nicht das Kapital die Fäden zieht und Politiker eh nur Marionetten im Interesse großer Unternehmen seien. Vielmehr diktiert hier der Staat, nach welchen Regeln seine Unternehmen zu wirtschaften haben. Aktuell hat Ford als Reaktion auf Trumps Drohungen bereits angekündigt, doch nicht in Mexiko herzustellen - inwieweit wirklich wegen Trumps Drohung oder wegen anderer Überlegungen, ist unklar.
(18) www.economist.com/news/business/21713899-instead-it-emphasised-new-investment-and-jobs-michigan-ford-motors-courts-donald-trump
(19) In seiner "Jobs plan speech" erklärt er entsprechend sein Ziel, die wirtschaftliche Unabhängigkeit der USA wieder herzustellen, die Rede ist überschrieben mit: "Declaring America's Economic Independence", www.politico.com/story/2016/06/full-transcript-trump-job-plan-speech-224891