concert for anarchy

Where is the Revolution?

Ein zwiespältiges Lied über linke Revolutionsversprechen

| Emil Nordswan

„Where is the Revolution?“

You’ve been kept down
You’ve been pushed ‚round
You’ve been lied to
You’ve been fed truths
Who’s making your decisions
You or your religion
Your government, your countries
You patriotic junkies
Where’s the revolution
Come on
You’re letting me down
Where’s the revolution
Come on people
You’re letting me down
You’ve been pissed on
For too long
Your rights abused
Your views refused
They manipulate and threaten
With terror as a weapon
Scare you till you’re stupefied
Wear you down until you’re on their side
Where’s the revolution
Come on people
You’re letting me down
Where’s the revolution
Come on people
You’re letting me down
The train is coming
The train is coming
The train is coming
The train is coming
So get on board
Get on board
Get on board
Get on board
The engine’s humming
The engine’s humming
The engine’s humming
The engine’s humming
So get on board
Get on board
Get on board
Get on board
Where’s the revolution
Come on people
You’re letting me down
Where’s the revolution
Come on people
You’re letting me down

Wo ist die Revolution
Ihr wurdet klein gehalten
Ihr wurdet rumgeschubst
Ihr wurdet angelogen
Ihr wurdet mit Wahrheiten gefüttert
Wer trifft eure Entscheidungen
Ihr oder eure Religion
Ihr oder eure Regierungen, eure Länder
Ihr patriotischen Junkies

Wo ist die Revolution
Kommt Leute
Ihr enttäuscht mich
Wo ist die Revolution
Kommt Leute
Ihr enttäuscht mich

Ihr wurdet angepisst
Für viel zu lange Zeit
Eure Rechte missbraucht
Eure Ansichten ignoriert
Sie haben euch manipuliert und bedroht
Mit Terror als Waffe
Angst eingejagt, bis ihr verdummt seid
Zermürbt bis ihr auf ihrer Seite seid

Wo ist die Revolution
Kommt Leute
Ihr enttäuscht mich
Wo ist die Revolution
Kommt Leute
Ihr enttäuscht mich
Der Zug kommt
Der Zug kommt
Der Zug kommt
Der Zug kommt
Deshalb kommt an Bord
Kommt an Bord
Kommt an Bord
Kommt an Bord
Die Maschine brummt
Die Maschine brummt
Die Maschine brummt
Die Maschine brummt
Deshalb kommt an Bord
Kommt an Bord
Kommt an Bord
Kommt an Bord
Wo ist die Revolution
Kommt Leute
Ihr enttäuscht mich
Wo ist die Revolution
Kommt Leute

Quelle: archives.depechemode.com/lyrics/wherestherevolution.html

Übersetzung: Emil Nordswan

„Wo ist die Revolution“, das ist die teils anklagende, teils ironische Frage, die auf der ersten Single in Depeche Modes neuesten Album „Spirit“ immer wieder gestellt wird.

Anklagend ist die Frage, weil beschrieben wird, dass die Menschen in unserer Welt von „den Herrschenden“ „kleingehalten, rumgeschubst und permanent belogen“ werden, gleichzeitig ihre Entscheidungen den Religionen, Regierungen und Ländern überlassen und dabei süchtig scheinen nach Nationalismus. Beziehen lässt sich das nicht nur auf die Gegenwart (das Album erschien im Februar 2017), sondern auf einen Großteil der modernen Geschichte. Wenn darüber gesungen wird, „dass Terror als Waffe“ genutzt wird, um den Menschen Angst zu machen und sie zu manipulieren, bewegen sich die Gedanken der Zuhörer*innen aber fast unweigerlich in Richtung des „Krieges gegen den Terror“. Dieser ist selbst Terror, weshalb „Terror als Waffe“ wunderbar doppeldeutig ist.

Vom Scheitern linker Revolutionen

Doch Depeche Modes Lied ist nicht nur ein Beschreibung von zunehmendem Nationalismus, fanatischer Religiosität und des Glaubens an Regierungen, sondern kann auch als Anspielung auf die gescheiterten linken Revolutionen des 20. Jahrhunderts verstanden werden. Hierzu trägt vor allem das empfehlenswerte Video zum Lied bei.

In ihm tauchen mehrmals Anspielungen auf die Arbeiter*innenbewegungen auf. Zu Beginn ist die Band mit Bärten ähnlich denen von Karl Marx und anderen führenden Sozialist*innen zu sehen. Sie verschiebt einen Holzblock.

Dann läuft eine Gruppe von nach gesellschaftlich Normen männlich-lesbaren Personen an ihnen vorbei. Diese sind gekleidet in Arbeiterkleidung aus den 1920ern und tanzen in Formation vor den nun in in aktueller ziviler Kleidung vordem Block stehenden Musikern.

Der Block wird von den Musikern weiterbewegt. Es gibt ein ähnliches Bild, diesmal jedoch mit ausschließlich gesellschaftlich weiblich-lesbaren Personen, die Uniformen tragen und große Fahnen schwenken. Dieses Bild erinnert an die staatskommunistischen Militärparaden.

Gegen Ende durchmischen sich beide Gruppen und die Marx-Imitationen machen mit ihren Armen Bewegungen wie die Kolben ein Dampflokomotive, was auch zu den häufigwiederholten Zeilen: „Der Zug kommt/ Kommt an Bord/ Die Maschine brummt“ passt. Am Ende werfen die Marx-Imitatoren die Fahnen auf einen Haufen. Es entstand der Eindruck von Enttäuschung.

Als die Fahnen auf dem Boden liegen, werden sie rot. Dies ist einer von nur drei Momenten, in der Farbe im Video zu sehen ist. Ein anderer ist eine kurze Sequenz beim Tanzen, auch dort werden die Fahnen rot.

Das kann als Anspielung auf einen nicht unbedingt staatlichen Sozialismus verstanden werden. Rot war die Farbe der sozialistischen Bewegung vor der Spaltung in Marxismus und Anarchismus, erst nach der Pariser Kommune begannen Anarchist*innen schwarz zu verwenden.

Depeche Mode veröffentlichte bereits in den 1980er Jahren viele Lieder, die sich z.B. gegen Krieg, Nationalismus, Armut oder Umweltzerstörung richten. Auf dem neuesten Album tendieren neben „Where is the Revolution“ auch Lieder wie „Poorman“ oder „Going Backwards“ in dieser Richtung, auch wenn letzterer leider den westlichen Fortschrittsglauben reproduziert.

Symbolisch ist beim neuen Depeche Mode Album auch das Cover interessant. Es zeigt schwarze Fahnen, wenn auch offen ist, ob dies eine Sympathiekundgebung für den Anarchismus ist: Ausschließbar ist die auf jeden Fall nicht.

Mehr gesellschaftskritische Musik

Depeche Mode ist mit der starken Gesellschaftskritik nicht allein. Angesichts der neuen rechten Welle und der immer offensichtlicher werdenden Katastrophe der globalen Herrschaftsordnung, gibt es viele nicht explizit radikale Künstler*innen, die Musik mit radikalen Tendenzen veröffentlichen und damit sogar sehr erfolgreich sind. Im deutschsprachigen Raum sind hier Lieder wie „Keine Maschine“ von Bendzko – mit 28 Millionen Aufrufen bei Youtube (1) – oder „Astronaut“ von Sido (2) mit fast 80 Millionen Aufrufen (3) zu nennen. Im englischsprachigen Raum ist „Human“ von Rag’n’Bone mit 351 Millionen Aufrufen (4) ein Beispiel.

Es gibt also immer mehr Musik mit radikaler Tendenz, was ihnen fehlt ist die Perspektive, dass und wie es einen gesellschaftlichen Umbruch geben soll. Die Frage bleibt „Wo ist die Revolution?“

Die Antwort, angesichts der gescheiterten linken Versuche den Staat zur Verbesserung der Welt zu nutzen, werden anarchistische Künstler*innen und andere Sozialrevolutionär*innen geben müssen. Der Song von Depeche Mode und auch das restliche Album „Spirit“ ist aber auf jeden Fall hörenswert.