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Der vergessene Genozid an den Yaqui

Paco Ignacio Taibo II beschreibt in seinem neuen Buch einen jahrzehntelangen, antikolonialen Krieg

| Oliver Steinke

Paco Ignacio Taibo II: Die Yaqui. Indigener Widerstand und ein vergessener Völkermord, Verlag Assoziation A, Berlin/Hamburg 2017, 248 Seiten, 18 Euro, ISBN 978-3-86241-442-0

Der nordwestliche mexikanische Bundesstaat Sonora liegt am Golf von Kaliforniern und grenzt an die USA. Im südlichen Sonora wiederum erstrecken sich die Bacatete Berge, welche der indigene, ute-atzetkisch sprechende Stamm der Yaqui als den Ort seines Ursprunges betrachtet. Und im Süden der Sierra del Bacatete, an einem geschlängelten, fischreichen Fluss schließlich lagen seit dem frühen 17. Jahrhundert die acht wichtigen Dörfer der Yaqui. Sie waren um kleine Kirchen herum entstanden. Die Geschichte dieses Stammes weist Überraschungen auf. So mag für anti-religiöse Linke die etwa 125 Jahre währende Verwicklung des katholischen Ordens der Jesuiten in Wirtschaft und Selbstverständnis der Yaqui befremdlich wirken. Doch 1617 nahm der Stamm die schwarzgekleideten Priester nicht nur auf, sondern die Bauern, Jäger und Fischer verbanden seitdem ihre gemeinschaftliche Lebensweise mit urchristlichen Ideen. Ihre Götter wie Quetcelcoatl, die gefiederte Schlange, verwandelten sich so auf wundersame Weise in Engel und katholische Heilige und ihr ritueller Hirschtanz nahm christliche Elemente auf. Von den Spaniern, die von den Yaqui mehrmals besiegt und zurückgeschlagen worden waren, weit genug entfernt, festigten sie eine kommunistische Organisation, die auch die andauernden Kolonialisierungsversuche und der sich zu einem Vernichtungskrieg steigernde Konflikt mit den Mexikanern, die den Spaniern nachfolgten, nicht gänzlich zerstören konnte.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts will das „aufgeklärte, liberale“ mexikanische Bürgertum den „Halbwilden“ die Zivilisation bringen: Das Land wird vermessen, Kanäle ausgehoben, Straßen begradigt. Die Yaqui-Familien bekommen die Möglichkeit, jede für sich alleine ein bestimmtes Stück Land zu erhalten. Doch die Indigenen entgegnen: „Gott hat den Yaqui den Fluss gegeben und nicht jeden Einzelnen ein kleines Stück!“ (Seite 137)

Es kommt zum Krieg. Wie über hundert Jahre später bei den Maya in Chiapas sind es die Dorfversammlungen der Yaqui, die darüber entscheiden. Cajemé, ein Mann, der wie so oft bei militärischen Anführern der Unterdrückten das Kriegshandwerk bei dem Feind, den „Yoris“, den Mexikanern, erlernte, ist seit den 1870er Jahren ihr gewählter, gehorchend befehlender Kriegshäuptling.

Cajemé lässt Festungen bauen, in denen sich die Yaqui verteidigen können. Er koordiniert Militäraktionen mit mehreren hundert Kämpfern, die gezielt die neu errichteten Haziendas der Großgrundbesitzer überfallen und manchmal niederbrennen. Doch der militärische Druck der Soldaten aus Sonora, hin und wieder verstärkt durch mexikanische Bundestruppen, ist groß. Die Widerstandskämpfer der „Republik der acht Dörfer“ flüchten in kleinen Gruppen in die Berge. Immer wieder solidarisieren sich scheinbar befriedete Yaqui mit ihren aufständischen Brüdern und Schwestern und schließen sich ihnen an. Hunderte andere ziehen fort, verdingen sich bei Eisenbahngesellschaften oder in Minen. Einige, insgesamt wird für das ausgehende 19. Jahrhundert die Zahl von Tausend genannt, bilden miteinander verbundene Gemeinschaften in Arizona in den USA, von wo aus sie die Aufständischen mit Geld und Waffen unterstützen.

Durch Verrat wird Cajemé im April 1887 gefangen genommen, einige Tage inhaftiert, um dann bei einer Überführung ermordet zu werden. „Traurig, aber es musste sein“, so der zynische Tenor der Verantwortlichen.

In den folgenden Jahren spitzt sich der Krieg zum Völkermord zu. So berichtet ein Reisender 1906: „An vielen Bäumen auf den schönen und reichen Feldern Sonoras sieht man seltsame Früchte. Seltsam und schrecklich (..) oft hält ein einziger Ast zwei oder drei tote Yaqui Indios, die in der Brise schaukeln, mit ihren zur Seite hängenden Köpfen, das Kinn auf der Brust und stets kreisten über dem Baum und seiner schrecklichen Frucht ein Geier und manchmal ein Dutzend davon…“ (S.203)

Ekel kommt hoch, wenn die Mörder, in Gebaren und Machtfülle mittelalterlichen Baronen gleichend, sich gegenseitig für ihre grenzenlosen Grausamkeiten belobigen, für Gewaltexzesse wie sie heute noch in den Drogenkartellen von Sonora und Sinaloa fortleben. Ekel über den Rassismus, der an Massakern nichts auszusetzen weiß, sich aber moralisch über den Diebstahl etwa von Rinderherden entrüstet, mit denen die Yaqui zeitweilig ihr Überleben sichern.

Da trotz brutalster Unterdrückung und Mord, der Widerstand der Indigenen nicht gebrochen werden kann, beschließen die politischen und militärischen Führer der Region die Vernichtung der Yaqui durch Deportation. Frauen und Kinder werden von ihren Familien fortgerissen und in den Städten als Hausangestellte versklavt. Hunderte gefangene Yaqui werden in Züge der neuen Eisenbahngesellschaft gesteckt und nachts in den Süden Mexikos geschickt, wo sie rechtlos auf den Plantagen von Großgrundbesitzern arbeiten sollen. Dies alles geschieht trotz offizieller Abschaffung der Sklaverei, denn für die staatlichen Behörden sind die Yaqui und andere indigene Stämme nur Menschen zweiter Klasse.

Die herrschenden Schichten bilden zwar unterschiedliche Fraktionen, die sich zum Teil befehden, aber in der Unterdrückung und Ausbeutung der Armen, Arbeiter*innen, Indigenen sind sie sich einig. Doch gibt es auch Solidarität mit den Yaqui: Zeitungen aus Arizona und Anarchist*innen prangern den Völkermord an. Als ein auf einer Plantage versklavter, vermeintlich aufständischer „Yaqui“ in Yukatan, vom Journalisten John Turner gefragt wurde, warum er deportiert worden war, leuchtet etwas Entscheidendes auf: „Wir anderen sind Pima und Opata. Für den General Torres sind wir alle Yaqui. Er macht keinen Unterschied. Wenn jemand dunkle Haut hat und gekleidet ist wie ich, ist er für ihn ein Yaqui.“ (Seite 200) Es ist also nicht alleine das widerständige Verhalten, was zur Versklavung führt, sondern es genügt, dass die Indigenen dem Raub und Verkauf ihres Landes im Wege stehen und dass ihre Arbeitskraft so rentabel wie möglich ausgebeutet werden soll.

Die mexikanische Revolution von 1910 bringt vielen der verschleppten Yaquis die Freiheit und sie sorgt dafür, dass die verbrecherischen Barone fliehen müssen, einige verlieren ihr Vermögen, sie alle sterben im Ausland.

Von den zu Beginn der Krieges etwa 30.000 Yaqui hat nur ein Fünftel überlebt.

Taibos faktenreiche historische Erzählung lässt sich in Art und im Stil am ehesten mit Dee Browns „Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses“ über den Überlebenskampf der nordamerikanischen Ureinwohner*innen vergleichen. Wobei der Widerstand der Yaqui auch an die Befreiungskämpfe der Vietnamesen und Kurden erinnert.

Taibo lässt uns dennoch hoffen: Denn unter den unscheinbaren und nur aus euro-zentristischer Sicht ungebildeten Arbeiter*innen Mexikos leben Erinnerungen an den Kampf um Freiheit weiter.

Die Ideen einer kollektiven Bewirtschaftung des Landes und anarchistischen Lebensweise, die Ideale der Yaqui Anführer Cajemé, Tetabiate (der rollende Stein) und Malpuche sind lebendig. Und die Zapatistas in Chiapas, die Mitglieder ungezählter Kooperativen und selbstbestimmter indigener Gemeinschaften in Mittelamerika berichten, dass ein stürmischer Wind die zerstreuten Überreste der aufständischen Yaqui zwar fortriss, aber sie sagen auch, dass dieser Sturm Funken trug, die ihre Herzen entflammten.

Unten am Fluss, unter der Asche der niedergebrannten Yaqui-Häuser, lodert noch immer die Glut des Traumes vom gemeinschaftlichen Leben, die Glut eines Traumes, den sie solange verteidigen konnten wie sonst kaum jemand.