Carsten Müller, Ansgar Lorenz: Geschichte der Sozialen Arbeit. Eine illustrierte Einführung. Verlag Wilhelm Fink. Ein Imprint der Brill Deutschland GmbH, Paderborn 2017, 128 Seiten, 24.90 Euro, ISBN 978-3-7705-6045-5uro, ISBN 978-3801204051
Einst galten „SozPäd“ und „Streetworker“ als Schimpfworte innerhalb der antiautoritären Linken. Standen sie doch für eine bestimmte Haltung und Herangehensweise an gesellschaftliche Phänomene: Für Fremdbestimmung, Stellvertreterpolitik oder dafür, aus einem „Helfer_innenkomplex“ heraus Gutes tun zu wollen. Doch anders als die stark haftende Kritik blieb die Entwicklung von Ansätzen professioneller Sozialer Arbeit glücklicherweise nicht an diesem Punkt stehen. Die unlängst im Wilhelm Fink Verlag erschiene illustrierte Einführung „Geschichte der Sozialen Arbeit“ von Carsten Müller und Ansgar Lorenz widmet sich genau diesen vielgestaltigen Facetten ihrer Entwicklung. Ungeschönt, anregend und dabei unterhaltsam.
Von der Armenfürsorge im Mittelalter und der Arbeitserziehung der Neuzeit werden über die Professionalisierung in der Wohlfahrtspflege, ihrer Politisierung Ende der 1960er bis hin zur heutigen Ökonomisierung die Epochen, Merkmale und Widersprüche Sozialer Arbeit anschaulich dargestellt. Und eingehend ihre philosophischen Wurzeln betrachtet. Bemerkenswert ist dabei die Herausarbeitung des engen Wechselspiels zwischen Sozialer Arbeit und sozialen Bewegungen, etwa der Arbeiter-, Frauen-, Reformpädagogik- und Jugendbewegung sowie der späteren antiautoritären Bewegung. Dabei werden neben all ihren Unzulänglichkeiten auch immer wieder Potentiale aufgedeckt.
Besonders hervorzuheben ist hierbei das Kapitel über die Settlement-Bewegung, die den Ansatz der Einzelfallhilfe durch den der Gemeinwesenarbeit ersetzte. Soziale Arbeit wird hierbei nicht länger als einzeln aufsuchende Tätigkeit verstanden. Die Sozial Arbeitenden leben vielmehr inmitten der Betroffenen. Statt Probleme zu individualisieren, werden ihre strukturellen Ursachen mitgedacht und gemeinsam angegangen, Solidarisierungseffekte in der Nachbarschaft forciert, Prozesse der Selbstregulation und Selbstorganisation unterstützt. Professionelle sozial Arbeitende verändern ihre Haltung, indem sie von den Betroffenen lernen und sie als Expert_innen ihrer Lebenslagen betrachten. Dies schließt die Aktivierung, sich auf kommunaler Ebene für Verbesserungen der Lebenslage aller einzusetzen, genauso wie Hilfestellungen beim Aufbau von Gewerkschaften und der Organisierung von Streiks ein.
Nicht von ungefähr klingt hier schon an, was spätere Organizer_innen bestenfalls zu leisten vermögen. Doch mit der beginnenden englisch-nordamerikanischen Settlement-Bewegung bewegen wir uns gerade mal im ausgehenden 19. Jahrhundert. Erst viel später, in den 1930er bis 1940er Jahren, machte das Community Organizing in den USA von sich reden. Eine Methode, die gleich im Anschluss im Band vorgestellt wird. Hierbei werden Bürger_innen beim Aufbau von Organisationen unterstützt, mit dem Ziel, gemeinsam für ihre Interessen einzutreten und konkrete Verbesserungen ihrer Lebens-, Wohn- und Arbeitsverhältnisse durchzusetzen. Prinzipien und Methoden der Gewerkschaftsarbeit wurden hierbei auf benachteiligte Stadtteile und Nachbarschaften übertragen.
Der handliche Band pulsiert durch seine Aufmachung als Graphic Guide. Durch das Wechselspiel von Illustrationen und Texten, die sich gegenseitig ergänzen, antreiben und befeuern. Die vielen Rückgriffe auf libertäre Traditionslinien machen ihn liebenswert. Deshalb sei er nicht nur sozial Arbeitenden als Lektüre ans Herz gelegt.