Silke Makowski: Schriftenreihe des Hans-Litten-Archivs zur Geschichte der Roten Hilfe - Band I, Verlag Gegen den Strom, Kiel 2016, Brosch. A4, 120 Seiten, 7 Euro, ISBN 3-9809970-4-9
Silke Makowski eröffnet mit ihrem Werk „Helft den Gefangenen in Hitlers Kerkern“ die Schriftenreihe des Hans-Litten-Archivs zur Geschichte der Roten Hilfe. Das 120 Seiten zählende Heft bietet einen umfangreichen und detaillierten Einblick in die Aktivitäten der Solidaritäts- und Kampforganisation im Nationalsozialismus.
Die Autorin liefert einen akribisch recherchierten Informationsschatz und zeichnet damit das Bild einer im Untergrund arbeitenden Organisation zwischen erfolgreichen Solidaritätsaktionen, harscher Repression und erzwungener Emigration. Der Leser erfährt allerhand Wissenswertes und Erstaunliches über die Techniken der illegalen Arbeit und ist manches Mal von der Effektivität einfachster Mittel überrascht.
Zahlreiche großflächig abgebildete Dokumente vermitteln darüber hinaus einen Eindruck von Bildsprache und Umgangston in der Illegalität. Die militärisch anmutende Sprache der Flugblätter voller Imperative mag so manchen zeitgenössischen Anhänger der Gewaltfreien Kommunikation verschrecken.
Auch die recht eindimensionale Personifikation politischer Akteure durch Knochenmänner und Henker würde diverse Kritiken provozieren. Umso erhellender ist daher der Abdruck der aufschlussreichen Quellen, mit denen die Autorin gearbeitet hat.
Debatten innerhalb der Organisation
Insbesondere Anarchistinnen und Anarchisten wird die Debatte über die Organisationsform der Roten Hilfe in der Illegalität interessieren. Nachdem die Schläge der Nazi-Repression immer engmaschiger eintrommelten, löste sich die Spitze der straffen Organisation zugunsten einer tendenziell dezentralen Struktur auf. Einige wenige Gruppen konnten so bis 1945 aktiv bleiben. Andere Debatten, wie die Methode, die NS-Wohlfahrtsorganisationen mit sogenannten Beefsteak-Nazis (außen braun, innen rot) zu unterwandern, finden ihre Argumentstruktur im Entrismus oder dem Marsch durch die Institutionen wieder.
Ein herausragendes Kapitel behandelt die Rolle der Frauen in der Roten Hilfe. Nachdem zahlreiche männliche Rote Helfer der Justiz zum Opfer fielen, rückten vermehrt Frauen in ihre Positionen nach und übernahmen rasch große Verantwortung. Der in allen politischen Lagern grassierende Sexismus scheint die enttarnten und vor Gericht stehenden Aktivistinnen paradoxerweise geschützt zu haben: Da die Nationalsozialisten Frauen ein politisches Bewusstsein absprachen, kamen sie vor Gericht oft mit wesentlich milderen Strafen davon als ihre männlichen Genossen.
Die Frage über den Einfluss der KPD auf die Rote Hilfe Deutschlands taucht wiederholt auf. Innerhalb der Debatte über die richtige Einheitsfrontpolitik weist die Autorin auf die nach Parteizugehörigkeit verlaufenden Trennlinien aus der Weimarer Republik hin. Dass einige Rote Helfer primär den kommunistischen Angehörigen helfen wollten und ihre Parteigrenzen selbst in der Illegalität nicht überwinden konnten, lässt den Leser kopfschüttelnd zurück. Andere Beispiele über erfolgreiche Einheitsfrontprojekte, welche neben KommunistInnen, SozialdemokratInnen auch KatholikInnen und sogar Zeugen Jehovas umfassten, beweisen jedoch, dass eine spektrenübergreifende antifaschistische Arbeit möglich ist.
Anarchismus und Stalinismus
Am Rande finden sich Spuren anarchistischer und mit Carl von Ossietzky pazifistischer Akteure. Das angeschnittene Schicksal der Anarchistin Zenzl Mühsam stimmt jedoch wenig hoffnungsvoll: Ihre Flucht nach Moskau endete nach einer Phase relativ freien Schaffens, in welcher sie an Werken zu Erich Mühsam arbeitete, mit insgesamt 20 Jahren Straflager.
Auf der einen Seite mag die Geschichte der Roten Hilfe in der Illegalität Hoffnung wecken: Selbst im Faschismus ist es prinzipiell möglich, handlungsfähige Solidaritätsnetzwerke zu betreiben. Andererseits ist man von der Realpolitik der Organisation erschrocken, wenn sie flüchtende Linke, welche „nur kurzzeitige Inhaftierung zu befürchten“ haben, wieder zur Rückkehr nach Deutschland auffordert und ihnen Hilfe versagt. Geradezu deprimierend endet das Werk mit der Verfolgung der deutschen EmigrantInnen in der Sowjetunion, welche nach allen Strapazen in Nazideutschland Stalins „Methoden der Ausrottung und Zerschmetterung“ zum Opfer fielen, da sie konstruierten „faschistisch-trotzkistischen Terrororganisationen“ angehören sollten.
Fazit
Das Werk wurde aus guten Gründen nicht zur Unterhaltung, sondern zur Information geschrieben. Dies spiegelt sich neben den häufig sehr ansprechenden und plastischen Berichten in einer streckenweise repetitiven Abhandlung einzelner Sachverhalte wider, welche vermutlich nur der Vollständigkeit zuliebe aufgelistet wurden.
Im Vergleich zu ähnlichen Rekonstruktionen darf man sich über die überdurchschnittliche Lesefreundlichkeit jedoch nicht beschweren. Insbesondere in Zeiten, in denen die AfD einen Schlussstrich unter das Gedenken und die Erinnerung fordert, ist es wichtig, den Widerstand gegen die Nazis jenseits von Stauffenberg und Co. aktiv sichtbar zu machen. Ein wichtiger und aufwändig recherchierter Beitrag für eine antifaschistische Geschichtsschreibung und gegen das Vergessen.