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Kommentar

Kurz, eine Katastrophe

Zu den Nationalratswahlen in Österreich am 15.10.2017

| Johannes von Hösel

Kurz gesagt: Es ist eine Katastrophe. Wahlen ändern nämlich doch etwas, vor allem, wenn sie so ausgehen wie am 15. Oktober 2017 in Österreich. Die Korruptionsfälle der ersten Schwarz-Blauen Koalition (2000-2006) sind juristisch noch immer nicht aufgearbeitet, da wählen die Österreicherinnen und Österreicher schon die nächste. Dazwischen lagen Jahre der Großen Koalition aus SPÖ und ÖVP, in der die Sozialdemokrat*innen zwar den jeweiligen Kanzler (Alfred Gusenbauer, Werner Faymann, dann Christian Kern) stellten, aber wichtige Ressorts den Konservativen überlassen hatten (z.B. Innen-, Außen- und Finanzministerium). Jetzt hatten alle die Schnauze voll, oder eher: der rechte ÖVP-Flügel kündigte die Koalition auf, für Neuwahlen siegesgewiss angesichts der guten Umfragewerte ihres Außenministers und nun Kanzlers Sebastian Kurz. Wieso der 31jährige so gut ankommt, weiß der Geier: Er bezeichnete die Lebensrettungen im Mittelmeer als „NGO-Wahnsinn“, will Zuwanderung „auf Null setzen“ und von Erbschaftssteuer nichts wissen. Zugang zu Sozialleistungen soll es laut ÖVP-Programm „erst nach den ersten fünf Jahren Aufenthalt“ in Österreich geben.

Das traditionell starke „dritte Lager“ um die ultrarechte FPÖ und ihren Chef Heinz-Christian Strache klagte zu Recht, ihre Ideen seien von den Konservativen übernommen worden, die von Kurz zu einer Führerpartei in nunmehr dynamischem Türkis statt traditionellem Schwarz getrimmt wurde. Alle Boulevard-Medien, die in Österreich nach wie vor den medialen Ton angeben – die von vielen Linken gelesene, liberale Tageszeitung Der Standard hat einen Marktanteil von gerade einmal rund 5 Prozent – lobten Kurz für seine Weltgewandtheit, Frische und Wirtschaftskompetenz. Was das heißt, ist eh klar: Neoliberalismus – „Motivation erhöhen. Steuern senken.“ (ÖVP) – mit ultrarechtem Antlitz.

„Niedrige Steuern und Leistungsanreize sind Voraussetzung für ein erfolgreiches Wirtschaften“ heißt es auch im FPÖ-Programm, in dem auch behauptet wird, Österreich sei „kein Einwanderungsland“. Sicherlich sind nicht einmal alle der über 26 Prozent FPÖ-Wähler*innen überzeugte Rechtsextreme oder gar Nazis. Aber außer Zweifel steht, dass rassistische Slogans und dumpf-rechte Stimmungsmache in Österreich gut ankommen. Deshalb wird die Wahl auch katastrophale Folgen haben, gerade für die Schwachen und Marginalisierten: Die Flüchtlingsbeihilfe soll gekürzt, das Staatsbürgerschaftsrecht verschärft werden. Aber auch anderen geht es an den Kragen: Die Subventionen im Kulturbereich wie auch für feministische Medien und Institutionen sollen gekürzt werden, Sozialausgaben sowieso, auch kinderfreundliche Schulversuche wie Mehrstufenklassen sind den Rechten beider Rechtsparteien ein Dorn im Auge. Ein gesellschaftlicher Umbau wird stattfinden, von der breiten Mehrheit getragen. Lebensmodelle jenseits der bürgerlichen Kleinfamilie werden es schwerer haben, Geld wird von unten nach oben umverteilt werden.

Und zu all dem kommt noch etwas eigentlich Unfassbares: In Zeiten der ökologischen Krise wählen die Österreicherinnen und Österreicher die Partei der Grünen nach 31 Jahren aus dem Parlament, sie scheiterten diesmal an der Vier-Prozent-Hürde. Davor lag die unglückliche Trennung von der eigenen Jugendorganisation und eine Spaltung der Partei, hervorgerufen von Mitgründer Peter Pilz, beides im Jahr 2017. Beleidigt, weil er nicht den Listenplatz ergattern konnte, den er gerne gehabt hätte, gründete Pilz seine nach ihm benannte eigene Liste und zog namhafte Intellektuelle mit in seine neue Partei (und mit ihr knapp in den Nationalrat ein). Schlagzeilen machte er vor der Wahl mit seinem Buch „Heimat Österreich“ und der Ansage, die Grünen hätten gerade in der Migrationspolitik die Zeichen der Zeit nicht erkannt.

Klar sind die Grünen auch in Österreich in ihrer Mehrheit keine Linksradikalen und ohnehin nicht gerade eine Arbeiter*innenpartei. Aber sie sind die einzigen der bisherigen Parlamentsparteien, die eine einigermaßen offene Migrationspolitik befürworten, sich für gleichgeschlechtliche Beziehungen einsetzen und vor allem für Umweltstandards eintreten. Institutionalisierungen in all diesen Bereichen, auch und gerade wenn sie gesetzlich stattfinden, also staatlich verbürgt werden, sollten in Zeiten des ultrarechten Vormarsches auch aus libertärer Perspektive nicht geringgeschätzt werden!

Aber selbst grüne Politik wird in Österreich also nur noch als rechtspopulistische Heimatpolitik gewählt. Es ist frustrierend und ernüchternd. Parlamentarische Ansprechpartnerinnen für linke Bewegungen gibt es nun in den nächsten fünf Jahren nicht mehr. Die linke Liste KPÖ plus, zu der übrigens die Jungen Grünen Zuflucht gesucht hatten, verschlechterte sich sogar noch im Vergleich zum letzten, von der KPÖ allein eingefahrenen Ergebnis von einem auf 0,7 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Außerparlamentarische, emanzipatorische Bewegungen gibt es so gut wie gar nicht. Die im Sommer 2016 aus verschiedenen linken und linksradikalen Gruppen gebildete Allianz Aufbruch (https://aufbruch.or.at) ist zwar in Ortsgruppen gegen hohe Mieten und für gerechtere Asylverfahren nach wie vor aktiv, dringt aber in der öffentlichen Wahrnehmung kaum durch.

Zwar gab es auch in Österreich 2015 einen „Sommer der Migration“, der überwältigende Solidarität mit Refugees aus unterschiedlichsten Milieus zu Tage förderte. Doch die Rache des Establishments – so kann man es ruhig mal wieder nennen – ist unerbittlich. Es hat seine Unterstützung in weiten Teilen der Bevölkerung. So etwas nennt man wohl rechte Hegemonie.

Und sicher, rund eine Millionen Menschen leben in Österreich mit der – in Bezug auf die Wahlen – falschen Staatsangehörigkeit. Bei insgesamt rund 6,4 Millionen Wahlberechtigten keine kleine Gruppe. Anzunehmen, sie alle würde wegen ihres Hintergrunds links wählen, wenn sie dürften, ist aber wohl bloßer Zweckoptimismus.

Johannes von Hösel