die waffen nieder!

Süßer die Handschellen nie klicken …

Sandsackstellung: Aktuelle Trends in deutschen Kinderzimmern

| Leonie Felix

Auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken für vier- bis zehnjährige Kinder stieß man in der vergangenen Vorweihnachtszeit auf ein ganz besonderes Angebot der Spielzeugfirma Playmobil. Eine "Polizei-Kommandozentrale mit Gefängnis" soll der Einbildungskraft unserer Jugend auf die Sprünge helfen, die ihre Phantasie sonst meist an so widerständigen Figuren wie Pirat*innen, Hexen, Indianer*innen, und - soweit es um Gewalt von oben geht - allenfalls an sehr historischen Ritter-Figuren austobt. Nun sollen die Kleinen Gegenwart spielen und dabei auf der rechtschaffenen Seite stehen.

Ich will vorwegschicken, dass die völlige Abschaffung von Gefängnissen meines Erachtens wohl erst in einer fortgeschrittenen Phase des erstrebenswerten Aufbaus einer anarchistischen Gesellschaft vollzogen werden kann. Einstweilen sind Knäste ein Faktum, so wie z.B. Alkoholkater oder Kopfläuse auch. Aber daraus macht man doch auch keine Playmobil-Baukästen!

Aber hier: Action ist garantiert: „Großeinsatz für die Polizei! Ein Ganove muss gefasst werden. Von der Kommandozentrale aus wird die Operation gesteuert. Der Chef weiß, wo sich jedes Auto und jeder Hubschrauber befindet. Und genau zur richtigen Zeit schlagen die Beamten zu. Einen Ganoven haben sie gefangen – doch sein Komplize konnte entkommen. Rasch werden dem Dieb die Fingerabdrücke abgenommen und ein Foto geknipst. Und dann geht’s hinter Gitter.“ (1)

Kinder sollen also nicht nur lernen, dass das „Zuschlagen“ zum Zwecke der Freiheitsberaubung ganz okay ist, wenn es von „Beamten“ ausgeführt wird (natürlich gegenüber „Ganoven“) – nein, auch dass es einen „Chef“ gibt, der als einziger den Überblick hat. Und Überblick wird groß geschrieben in diesem Bausatz, der gleich mit zwei panoptischen Überwachungstürmen aufwartet – von den ‚erkennungsdienstlichen‘ Hilfsmitteln mal ganz zu schweigen.

Der Bausatz für 82,99 Euro enthält fast alles, was das Herz angehender Sheriffs erfreut – Werkzeuge der Bürokratie, der Zerstörung von Privatsphäre, der unmittelbaren Gewaltanwendung: „1 Schreibtisch mit PC – und Telefonanlage, 1 Waffenschrank, 2 Toiletten mit Waschbecken, 1 Sitzschale, 1 Schreibtisch, 2 Stühle, 2 Holzstühle, 2 Paar Handschellen, 2 Schlagstöcke, 2 Schnellfeuergewehre, 2 Baretts, 4 Pistolen, 2 Zahnbürsten, […] 1 Fingerabdruckerfassung, 2 Fingerabdruckfolien, 1 Büste, 1 Sträflingskleidung, 1 Blitzgerät, 1 Laptop, 1 Diktiergerät, […]“. (2) Unerfindlich nur, warum die Playmobil-Designer*innen die so aktuellen Pfefferspray-Dosen und sonstige chemische Kampfmittel vergessen haben – man hätte die entsprechenden Spiel-Dosen doch prima mit dem beliebten Juckpulver befüllen können …

Wie bei Wikipedia zu lernen ist, produziert Playmobil schon seit 1976 Spielfiguren im Polizei-Look. Und seit 1997 erhielten diese Figuren, die bis dato lediglich auf „Knüppel und Kelle“ zurückgreifen konnten, endlich „eine moderne Handfeuerwaffe“. (3)

Vielleicht ist das fürs Kinderspiel keine größere Zumutung als andere gewalthaltige Themenwelten wie „Star Wars“ oder eben die Piraten. Aber mir will scheinen, dass bei der Einführung eines Gefängnisses als Spielwelt eine neue Grenze überschritten worden ist. Die playmobiltypischen liebevollen Details – von den spartanischen Sanitäreinrichtungen bis zu den beklemmenden Überwachungstürmen – verdichten sich zu einer Lektion, die im Kinderzimmer zu lernen ist: Abweichendes Verhalten rechtfertigt Strafe und Totalüberwachung, und Widerstand ist mehr oder weniger zwecklos. Allerdings gehört zu den „Features“ des Bausatzes neben einem Verhörraum und einem Hubschrauberlandeplatz auch ein „Mauerdurchbruch“ (der am verfügbaren Bildmaterial aber nicht nachzuweisen ist). Es bleibt unklar, ob dieser von den „Ganoven“ oder vom hochgerüsteten Ordnungspersonal bewerkstelligt wird bzw. wurde – vielleicht ein letztes Refugium für die kindliche Phantasie?

Was die Ganoven (oder Ganov*innen?) betrifft, so werden diese durch zebragestreifte Häftlingskleidung kenntlich gemacht, die playmobiltypische Einheits-Physiognomie wird hier auch gerne durch Bartstoppeln ins Abweichende verschoben. Man wird sich diese Spitzbüb*innen als Bankraub- oder Einbruchs-Delinquent*innen vorstellen dürfen – wie die „Panzerknacker“ aus Entenhausen.

Aber manchmal müssen Ordnungskräfte ja ihrerseits in Gebäude einbrechen, um übleres Gesindel wie Hausbesetzer*innen zu überwältigen. Auch hierfür findet sich das Passende von Playmobil: ein „SEK-Polizist mit Hund und tragbarer Tür-Ramme“, der im Versandhandel schon für 2,99 Euro angeboten wird. (4)

Was soll ein vierjähriger Junge, was ein neunjähriges Mädchen mit so einem Spielzeug anfangen? Ich bin nicht sicher, ob und wieviel Schaden so etwas in Kinderköpfen anrichten kann. Es geht hier nicht nur um die Thematisierung von Gewalt. Es geht ums Einüben in die Normalität eines Polizeistaates. Wahrscheinlich ist trotzdem Gelassenheit angesagt. Aber was muss jemand geraucht haben, um solches Spielzeug zu ersinnen?

Den nächsten Schritt hat die Playmobil-Konkurrenz von Lego nicht selbst unternommen, aber es sind Lego-kompatible Sets einer Firma „Modbrix“ auf dem Markt, mit denen das spielende Kind in die Rolle eines Wehrmacht-Offiziers schlüpfen kann. Die Bewaffnung des Kinderzimmers wird hier auf ein ganz anderes Niveau gehoben. Zum Set „Modbrix 17002 Wehrmacht Artillerie Schützengraben“ heißt es beispielsweise bei amazon, wo man derartige Kotzware käuflich erwerben kann, die Bewaffnung bestehe aus „K98 Karabinern, Maschinenpistolen, Panzerbüchsen, Minen und Luger Pistolen“; die Artillerie hingegen „aus einer leichten Feldhaubitze, Vierlings Flakgeschütz und einem schweren M08 Maschinengewehr, Häuserruine [sic] und Sandsackstellung“.

Bei amazon ist zu lernen, das Spielziel dieser Sets laute „Kreativität“. Aber die Häuserruine ist bereits ganz fertig; der kreative Kitzel, ein Haus zur Ruine zu machen (und zu schauen, wie dessen Bewohner*innen darauf reagieren), bleibt den kleinen Rangen verwehrt.

Ferner steht bei Amazon zu lesen, die Sets seien „nicht geeignet für Kinder unter 14 Jahren“ und sollten „unter Aufsicht von Erwachsenen“ benutzt werden. Wie soll man sich das vorstellen? Ungefähr so: Der 14jährige (hantiert mit einer Legofigur mit Panzerfaust): „Stirb, du dreckiger Bolschewik!“ – Der Vater: „So kannst du das nicht sagen, Junge! Benutze den Plural!“ Oder was?

Interessant sind hier die Kundenbewertungen auf Amazon.de: Neben einigen über das Nazi-Spielzeug entsetzten Kommentaren liest man hier folgendes (unveränderte Orthografie): „Noch gesunde Kinder lieben es, ich war in dem Alter auch schon fasziniert vom deutschen Militär.“ – „Was der Linke Abschaum hier von sich gibt ist unfassbar. Bei allem die Nazikeule schwingen ist ja auch leicht. In Amerikaner spielen auch mit ihren Figuren. Und die haben weit mehr getötet. Aber da geht’s ja in Ordnung, sind ja nicht Deutsch.“ – „Tolle Figuren und Waffen. Nix für Bärchenwerfer und Moralaposteln!;)“ (5)

Modbrix sowie weitere obskure Anbieter lego-kompatibler Figurensets haben auch reichhaltige Sortimente zur aktuellen staatlichen Gewaltsamkeit im Angebot; sie orientieren sich an der „Special Weapons And Tactics“-Einheit (SWAT) der US-Polizei, die in die Lego-Welt eingeführt werden soll. In dieser Grauzone zwischen Militär und Polizei muss ebenfalls mit schweren Waffen nicht gegeizt werden. Dass reale SWAT-Teams zur städtischen „Aufstandsbekämpfung“ gegründet wurden und ihre Existenz daher eine besondere politische Dimension hat, wird in der Werbung für dieses ‚Spielzeug‘ nicht explizit gemacht – so wenig wie der Völkermord-Hintergrund bei den Wehrmacht-Sets. Aber dass eine Begeisterung für die Unterdrückung von Freiheitswünschen und eine Besessenheit mit Ungleichheitsphantasien die Hirne der Macher*innen solchen Auswurfs fest im Griff hat, ist unverkennbar.

Sie – und die wieder wachsende Herde von Kälbern, die ihren Metzgern bewundernd hinterdreinlaufen – wollen die nächste Generation von Rednecks und Staatsanbeter*innen in unseren Kinderzimmern heranziehen. Arme Kinder! Aber wie ist mit einem solchen Trend umzugehen? Gegen die besonders geschmacklose Wehrmachts-Serie läuft derzeit eine change.org-Petition, die amazon und Lego auffordert, gegen die Hersteller vorzugehen. (6)

Mitte Januar 2018 hatte diese Petition knapp 63.000 Unterschriften. Aber Verbieten macht nun einmal keinen Spaß. Und das Nazi-Spielzeug ist nur die Spitze des Eisbergs. Staatsgewalt verherrlichendes Spielgerät muss vor allem diskursiv geächtet werden – dazu möge dieser Text beitragen. Und mit den Kinderzimmern gilt es (de-) konstruktiv umzugehen. Wo der Playmobil- und Pseudo-Lego-Schund auftauchen, sollte sofort als ‚Task Force‘ ein „Kommando Pippi Langstrumpf“ folgen. Man kann die ganzen Sturmgewehre auch leicht über einer Kerze erhitzen und den Lauf um 180° verbiegen. Oder die Figuren z.B. in Rosa umpinseln. Der nächste Kindergeburtstag kommt bestimmt! Und dann ist aber Schluss mit „Stillgestanden“!

Leonie Felix