libertäre buchseiten

Syrien 2011: Die freien Frauen Darayyas

| N.N.

Ein Vorabdruck aus: Guillome Gamblin, Pierre Sommermeyer, Lou Marin (Hg.): Im Kampf gegen die Tyrannei. Gewaltfrei-revolutionäre Massenbewegungen in arabischen und islamischen Gesellschaften: der zivile Widerstand in Syrien 2011-2013 und die "Republikanischen Brüder" im Sudan 1983-1985, Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg, erscheint voraussichtlich Ende März 2018, 144 Seiten, 13,90 Euro, ISBN 978-3-939-045-34-2

Darayya ist ein Vorort der syrischen Hauptstadt Damaskus (1), in dem bekannte Friedensaktivisten wie Ghiyath (2), Matar und Yahya (3) Shurbaji geboren wurden. Die Stadt ist zum Symbol der gewaltfreien Bewegung in Syrien geworden. Teil dieser zivilen Graswurzelbewegung war eine Frauengruppe mit dem Namen Die freien Frauen Darayyas, die seit Beginn des Aufstands im Frühjahr 2011 an zahlreichen Protestaktionen und Initiativen maßgeblich beteiligt war.

„Vor dem Aufstand haben wir uns nicht gekannt“, sagte eine dieser Frauen in einem Interview mit der oppositionellen Website Syria Untold (Was aus Syrien nicht berichtet wird). „Doch die Demonstrationen, bei denen so viele auf die Straße gingen, um Freiheit und Gerechtigkeit zu fordern, brachten uns zusammen.“

Gleichwohl war ein Teil dieser Gruppe, die eine Schlüsselrolle im Anfangsstadium des Aufstands spielte, bereits an zivilen Initiativen vor 2011 beteiligt. Im Jahre 2003 waren Männer und Frauen aus Darayya in zahlreichen Kampagnen aktiv, zum Beispiel bei Bürgerkomitees gegen die Stadtverschmutzung oder Demonstrationen gegen die US-Invasion des Irak. Sie trugen zur Gründung dessen bei, was dann Jahre später im Kontext der arabischen Aufstände als „zivile Bewegung Syriens“ bekannt werden sollte. Bereits in dieser vorrevolutionären Zeit wurde diese Bewegung vom Regime als Bedrohung betrachtet, weshalb schon damals einige AktivistInnen verhaftet worden waren.

Die erste Aktion, die dieser Frauengruppe eine besondere Hochachtung innerhalb der zivilen Bewegung verlieh, fand im April 2011 statt und war ein Sit-in mit der Forderung nach Freilassung von Kriegsdienstverweigerern. Während dieser Phase erhöhte das Regime die Repression gegen gewaltfreie DemonstrantInnen, indem es in die Menge schoss, Verhaftungen vornahm und Hunderte von AktivistInnen in den Gefängnissen folterte. Auch Die freien Frauen Darayyas wurden zur Zielscheibe des Regimes in dieser ersten Phase des Widerstands und alsbald wurde auf sie bei ihren Aktionen geschossen.

Versuche, die Gruppe zum Schweigen zu bringen, konnten nicht verhindern, dass weitere Aktionsinitiativen von ihr ausgingen. Zum Beispiel große Massendemonstrationen an den Freitagen, die als „Großer Freitag“ bekannt wurden, gefolgt vom „Schwarzen Sonntag“, der als Tag in Erinnerung blieb, an dem Hunderte Protestierende vom Regime umgebracht und gefangen genommen wurden.

Als die Lage auf den Straßen zunehmend gefährlicher wurde und dies viele Risiken für AktivistInnen nach sich zog, begann die Gruppe damit, Versammlungen zu organisieren, auf denen Aktionsstrategien geplant wurden. Dabei konzentrierte man sich auf Aspekte der Kommunikation untereinander und bot Workshops für Frauen an, die Veränderungen in ihrem Land forderten und vorantreiben wollten. Diese Workshops zogen wieder andere an, die sich nicht auf die Demonstrationen wagten, aber ihre eigenen Wege finden wollten, um der Bewegung zu helfen.

Die Versammlungen führten zu einer gewissen Professionalisierung der Arbeit der Frauengruppe. Es wurden Aufgaben verteilt, wie etwa Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, eine Abteilung für die Fotodokumentation der Ereignisse, eine Arbeitsgruppe für humanitäre und psychologische Betreuung sowie die Dokumentation der Gruppenaktivitäten auf der guppeneigenen Website.

Als das Regime den Druck auf die Stadt Darayya erhöhte, auch bekannte gewaltfreie Aktivisten wie Ghiyath Matar festnahm und einen Belagerungsring um die Stadt zog, um den Widerstand zum Schweigen zu bringen, setzten Die freien Frauen Daryyas ihre Arbeit fort. In der Weihnachtszeit dekorierten sie einen Baum mit den Namen der Gefangenen in syrischen Gefängnissen. Sie sammelten außerdem Briefe von Angehörigen der Gefangenen, um sie auf einem großen Straßentransparent zu befestigen. Sie beteiligten sich an vielen weiteren Aktionen auf Graswurzelebene, sie organisierten humanitäre Hilfe und veröffentlichten die lokale Zeitung Enab Beladi (4).

Die Gruppe lud außerdem Frauen aus anderen Städten ein, wie zum Beispiel aus Saidnaya, sich zu solidarisieren und gemeinsam gegen die Versuche des Regimes vorzugehen, die syrische Bevölkerung zu spalten und das Sektierertum innerhalb ihrer vielfältigen und kulturell reichhaltigen Gesellschaft zu fördern.

Als Darayya ab dem November 2012 belagert wurde (5), waren die meisten Frauen dazu gezwungen, die Stadt zu verlassen. Viele kamen nach Monaten zurück, um ihre Stadt verwüstet und ihre BewohnerInnen massakriert vorzufinden. Doch auch dies verhinderte nicht, dass sie ihre Arbeit wieder aufnahmen und dabei ihren Schwerpunkt auf die vielen Menschen legten, die Nahrungsmittel und medizinische Betreuung benötigten, während andere Mitglieder der Gruppe in Haft saßen.

Heute [2013] sind die meisten dieser Frauen entweder im Gefängnis oder waren dazu gezwungen, aus dem Land zu fliehen. Trotzdem arbeiten sie weiter für Frauenrechte, sei es in Ägypten oder in den Gefängnissen des syrischen Regimes – und warten auf den Zeitpunkt, an dem sie nach Darayya zurückkehren können, der Stadt, welche die Tyrannei mit den Mitteln der gewaltfreien Aktion bekämpfte.

(1) Anm. d. Ü.: ca. 8 km südwestlich des Stadtzentrums von Damaskus.

(2) Anm. d. Ü.: männlicher Vorname.

(3) Anm. d. Ü.: männlicher Vorname.

(4) Anm. d. Ü.: Arabisch; in Englisch: "The Grapes of My Country", dt. Übers.: Die Weintrauben meines Landes.

(5) Anm. d. Ü.: Die Belagerung dauerte insgesamt bis 2016, als die Freie Syrische Armee (FSA) gegenüber den Regierungstruppen kapitulierte.

 

Anmerkung:

Der Originaltext war nicht namentlich gezeichnet und erschien auf der englischsprachigen Website Syria Untold im Dezember 2013. Siehe:

www.syriauntold.com/en/2013/12/the-free-women-of-darayyas-crucial-role-in-the-syrian-uprising