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Das „Manifest der 100“

Der antifeministische Backlash in Frankreich

| Marie-Meier

Ein Schwerpunkt der Graswurzelrevolution Nr. 424 vom Dezember 2017 solidarisierte sich mit der #MeToo-Kampagne gegen sexualisierte Gewalt. Mit der #MeToo-Kampagne gelang es dem Feminismus weltweit in die gesellschaftliche Offensive zu gehen. Inzwischen gibt es jedoch auch einen weltweiten Backlash. Besonders stark ist er in Frankreich, wo prominente Frauen ein "Manifest der 100" veröffentlichten, das auch in deutschen Medien "erleichtert" willkommen geheißen wurde (z.B.: "Endlich sagt jemand die Wahrheit über #MeToo", in: "Die Welt", 10.1.2018). Hier folgt eine Analyse des seit Jahren aggressiver werdenden Antifeminismus in Frankreich. (GWR-Red.)

Am 9. Januar 2018 druckte die Tageszeitung „Le Monde“ ein „Manifest“ von 100 Frauen ab, die verbale und sexuelle Belästigungen als Bestandteil der (französischen) Verführungsrituale von Männern verteidigten.

Vergewaltigung sei ein Verbrechen, verkündete zwar der Text. Aber hartnäckige und ungeschickte Anmache sei kein Delikt und Galanterie keine machistische Aggression.

Mit der Weinstein-Affäre, so heißt es dort weiter, hätten die Frauen die Möglichkeit erkämpft, erlebtes Unrecht zu denunzieren, doch genau diese Freiheit werde von Puritanern (man schielt in Richtung USA) genutzt, um umgekehrt eine „politically correct“-Festung zu errichten, in der man nicht mehr reden dürfe wie einem der Schnabel gewachsen ist, und wo Frauen allgemein auf die Rolle der armen Opfer festgelegt würden.

#balancetonporc als puritanistische Bedrohung

In Frankreich heißt #MeToo #balancetonporc: „Denunzier dein Schwein!“ Laut dem „Manifest der 100“ habe die #MeToo-Welle in der Presse eine Hetzkampagne ausgelöst, deren bemitleidenswerte Opfer sich nicht wehren könnten und, ganz gleich welches Vergehen ihnen vorgeworfen wird, auf gleicher Stufe stünden wie die ärgsten Vergewaltiger. Dabei hätten sie oft nur ohne Erlaubnis einer Frau die Hand aufs Knie gelegt oder sich einen Kuss „erstohlen“, ein paar verbale Schweinereien von sich gegeben, ein paar sexuelle Nachrichten verschickt, ohne sich darum zu scheren, dass die Adressatinnen darauf keine Lust hatten.

Im Manifest geht es um die Angst vor Puritanismus, vor religiösem Fanatismus, den Feinden der Freiheit, der sexuellen Freiheit und dem Gefangensein der Frauen in der Opferrolle.

Der Vorwurf lautet, es entwickle sich eine „Zensur“ von Kunstobjekten und Kunstwerken, wie den Filmen von Roman Polanski. Im Namen der Verführungskunst, so geht der Text weiter, müsse die Freiheit zu verletzen, zu kränken, verteidigt werden. Frauen seien schließlich keine Weicheier und steckten sowas locker weg.

Eine Frau kann also, so gesehen, am gleichen Tag ein Männerteam rumkommandieren, auf gleichem Gehalt bestehen, in der Métro von einem armen Schwein belästigt werden, und sich abends voller Leidenschaft ein bisschen von ihrem Geliebten rumschubsen lassen. Geht alles. Sogar ohne Trauma. Easy.

Es wird im Manifest darauf gepocht, dass man sehr selbständig und emanzipiert sein kann, ohne die Männer zu hassen (wo stand nochmal, dass, wenn frau ihr Schwein denunziert, sie alle Männer hasst?). Es wird sogar vorgeschlagen, den Töchtern beizubringen, ohne eigene Schuld und Scham mit der Freiheit der Männer umzugehen. Leider steht dort aber nicht, wie das gehen soll.

Und für die „Unfälle“ (sic!), die unseren Frauenkörpern zustoßen können, müssten wir uns nicht für ewig in der Opferrolle begraben, denn, ja, unsere innere Freiheit sei grenzenlos und wir liebten sie sehr, mit allem Risiko und der damit verbundenen Verantwortung.

Unterschrieben war dieses Manifest von Schriftstellerinnen wie Catherine Millet, Schauspielerinnen wie Catherine Deneuve, Journalistinnen, Kunstkritikerinnen, Psychoanalytikerinnen etc. – von lauter Frauen also, die tagtäglich in der Métro mit Eleganz ihren Arsch hinhalten für arme, von sexueller Not gebeutelte Schweine. Die sie nicht denunzieren möchten, dann das gehöre einfach zur Freiheit der Männer!

Unter diesen hundert Frauen befindet sich eine überwältigende Mehrheit von Intellektuellen und Frauen in gehobenen gesellschaftlichen Positionen, obwohl sie das Gegenteil behaupten. Nicht Opfer sein, nicht dramatisieren, verkündet der Text. Gegen ihren Willen angefasst werden, sei ein „Nicht-Ereignis“, und die Täter dieser „Nicht-Ereignisse“ arme Schweine, die unter sexueller Not litten. Natürlich wolle man niemandem die traumatischen Erlebnisse aberkennen, aber mal ehrlich: So schlimm sei das doch alles nicht. Ein „gestohlener“ Kuss, eine Hand am Hintern, daraus müsse man kein Drama machen; man könne es doch auch positiv sehen, sozusagen als Kompliment, als festen Bestandteil der französischen Verführungskunst, die weit zurück reicht, bis hin zum Marquis de Sade.

Wie oft fährt Catherine Deneuve mit der Métro nach Hause?

Ein Meilenstein des französischen Antifeminismus – oder: Die französische Kunst der Verführung

Als Dominique Strauss-Kahn (in Frankreich nur kurz „DSK“ genannt), ehemaliger Chef des Internationalen Währungsfonds und aussichtsreicher französischer Präsidentschaftskandidat, 2011 in New York von der Reinigungskraft eines Hotels, Nafissatou Diallo, der Vergewaltigung beschuldigt wurde, erhoben sich zahlreiche Stimmen aus Presse und Prominenz zu seiner Verteidigung.

Der Journalist J.F. Kahn sprach von einem banalen Zwischenfall, wo eine Untergebene von einem Höhergestellten genotzüchtigt wurde, wie das früher der Fall war, zu der guten alten Zeit, als Männer ihre Dienerinnen und Angestellten nach Lust und Laune zum Sex zwingen konnten.

Die Berichterstattung in den Medien war ein eklatantes Beispiel für Klassismus: So ein gebildeter Mensch sei dieser DSK; und wer wisse schon, was dieses Zimmermädchen im Sinne hatte; womöglich sei sie manipuliert gewesen, oder auf Geld aus? Und selbst wenn nichts von alledem stimmt – wie schade doch, einem so wichtigen Mann die Karriere zu versauen.

Ein Mann, der die Frauen liebt – so hieß es auch -, und dem ein Ausrutscher passiert sei. Wie sich später bestätigen sollte, liebte er Frauen zwar sehr, verstand aber nicht, wenn sie nein sagten. Die Journalistin Tristane Banon entging 2003 nur knapp einem Vergewaltigungsversuch von DSK, machte das aber erst im Zuge des Diallo-Skandals öffentlich.

Wieder andere sahen in diesem „Vorfall“ eine Attacke auf die Sozialistische Partei im Vorwahlkampf – aufgrund dieses Frauenhelds, der in eine Falle getappt sei, nichtsahnend aus der Dusche kommend, und der sich nicht habe beherrschen können angesichts der inszenierten Versuchung.

Und dann auch hier wieder die Angst vor dem US-amerikanischen Puritanismus: Wenn man nicht mal mehr ein bisschen Spass haben kann! Diese US-Amerikaner*innen haben wirklich keinen Sinn für Humor – und für raffinierte Sexualpraktiken.

Die betroffene Frau, Nafissatou Diallo, war in all diesen Debatten zum Objekt degradiert. Es ging nicht um sie.

Glaubt man den französischen Medien, so tobt in den USA ein Geschlechterkrieg, wohingegen in Frankreich, laut der Feministin Irène Théry in einer Kolumne der Zeitung „Le Monde“, ein Feminismus gelebt werde, der nicht nur zerebral sei, der die Sackgassen des „politically correct“ ablehne und zwar gleiche Rechte, aber asymmetrische Freuden der Verführung anstrebe; zwar den absoluten Respekt der Zustimmung, aber auch die wundervolle Überraschung gestohlener Küsse.

Von Machtverhältnissen ist bei Frau Théry natürlich nicht die Rede. Und was sie mit Nafissatou Diallo, der Reinigungskraft, gemeinsam hat, sieht Frau Théry nicht. Zu dieser Kolumne steht Frau Théry übrigens immer noch.

In den Neunzigerjahren wurde von der Historikerin Mona Ozouf und der Philosophin Elisabeth Badinter behauptet, eine Umsetzung der Gender-Theorie sei in Frankreich unmöglich. Das wurde damit begründet, dass es im Gegensatz zu den USA keinen Geschlechterkrieg gebe – und zwar deshalb, weil Französinnen keine Prinzipien-reitenden und Machtstrukturen-analysierenden Feministinnen seien und subtilere Umgangsformen mit Männern pflegten.

Diese Gegenüberstellung von verklemmten Puritaner*innen in den USA und schelmischen Verführer*innen aus Frankreich ist bis heute eines der Hauptargumente von Antifeminist*innen aus Kunst und Kultur. Und dass sich gerade Frauen gegen die Political Correctness erheben, liegt am verbreiteten Klischee der (meist US-amerikanischen oder manchmal auch deutschen) Feministin, die Männer hasst (jawohl, alle), die hässlich ist, behaarte Beine hat, möglicherweise intolerant und lesbisch ist und keinen Humor hat. Frau sollte in Frankreich aber eher elegant, vornehm, hetera, unbehaart und tolerant sein. Ein bisschen wie Catherine Deneuve.

La Manif pour tous – „Die Demo für alle“

„Die Demo für alle“ ist der irreführende Titel einer Bewegung, die 2013 von der gleichnamigen Organisation ins Leben gerufen wurde und sich neutral geben wollte. Demonstrieren sollte jede*r, und zwar gegen die „Ehe für alle“, die gesetzlich erlaubte Ehe für schwule und lesbische Paare, die der damalige Präsident Hollande (PS) vor seiner Wahl versprochen und dann auch umgesetzt hatte.

Vor allem katholische und neofaschistische Gruppen riefen aktiv zu diesen Demos auf, betonten aber immer wieder, dass es sich nicht um eine politische Bewegung handle, sondern um eine spontane Reaktion des „Volkes“, angeblich mit Menschen aus allen Schichten und Richtungen, die vereint gegen die Bedrohung des Landes durch die Ehe für homosexuelle Paare kämpfen wollten.

Große Demonstrationen fanden statt im Namen der Rettung des Abendlandes und gegen die Verrohung der Sitten, wobei es vor allem um die Rolle der Geschlechter und die Fortpflanzung ging. Eine der Hauptparolen der Demos hieß: „Ein Vater + eine Mutter: Kinder soll man nicht belügen.“ Das traditionelle Familienbild sollte beschützt werden, und es sollte verhindert werden, dass homosexuelle Paare Familien gründen und Kinder zeugen oder adoptieren könnten. Die Rolle der Frau als Gefährtin ihres Mannes und Mutter wurde speziell hervorgehoben. Um dies auch visuell zu verdeutlichen, gab es einen Dresscode bei diesen Demos: rosa für die Frauen, blau für die Männer.

Die Massendemos hörten auf, nachdem das Gesetz verabschiedet wurde. Die Vereinigung blieb jedoch aktiv und pflegte die Nähe zu rechten Politikern wie Nicolas Sarkozy oder François Fillon, organisierte Aktionen gegen die Abtreibung und vor allem gegen künstliche Befruchtung für Lesbenpaare oder alleinstehende Frauen.

In den Statuten der Organisation geht es vor allem um den Schutz „des Kindes“ und der Familie. Alleinstehende Mütter zum Beispiel fallen nicht in die Kategorie „Familie“. Von gleichgeschlechtlichen Paaren ganz zu schweigen.

„Les Antigones“ – ein neuer Essentialismus

Im Mai 2013 musste der Pariser Treffpunkt der feministischen Aktionsgruppe „Femen“ von der Polizei vor einer Gruppe von Frauen beschützt werden, die sich zwei Tage später in einem Internet-Video vorstellte: „die Antigonen“. Es waren in Weiß gekleidete junge Frauen, die „Femen“ vorwarfen, alle Frauen durch ihre Aktionen zu diskreditieren, sich unweiblich zu verhalten, würdelos und vulgär zu sein und durch ihre freizügige Sexualität und ihr provokatives Verhalten zum Untergang der Zivilisation beizutragen.

Es war eine Art Kriegserklärung an „Femen“, untermauert durch stockkonservative Ansichten vor Frauen, die sich vor allem als Töchter ihrer Väter, Schwestern ihrer Brüder, Ehefrauen ihrer Ehemänner und Mütter ihrer Söhne sahen – innerhalb eines Weltbilds, in dem die Familie, die Nation und die Religion den Rahmen bilden. Bescheidenheit und Eleganz, sexuelle Abstinenz und politische Neutralität – so in etwa stellt sich eine solche „Antigone“ die Frau als perfekte Begleiterin und Ergänzung des Mannes vor, um Frankreich vor dem Untergang zu retten. Frauen sollten nicht gegen Männer um Rechte kämpfen, sondern sich komplementär zu ihnen verhalten.

Diese jungen Frauen meistern ihre Kommunikation: Facebook, Webseite, YouTube-Videos. In weißen, wallenden Gewändern verkünden sie, dass sie rein und schön wirken möchten. Denn Frauen seien schön, so ihre Erklärung, und Weiß sei auch eine Farbe, die Fruchtbarkeit symbolisiere und allen Frauen stehe.

Nach eigener Aussage seien die „Antigonen“ unpolitisch, obwohl sie die Manif pour tous gutheißen. In ihren Reihen gibt es viele praktizierende Katholikinnen, aber auch junge Frauen aus der neofaschistischen Szene.

Am 8. März 2018 veröffentlichten „die Antigonen“ auf ihrer Webseite einen Text zum Internationalen Frauentag, in dem sie anprangerten, dass Frauen heutzutage Rechte einfordern, die Männer nicht haben: das Recht abzutreiben, oder sich künstlich befruchten zu lassen. Zu #MeToo meinen sie, dass die Debatte zwischen Legalismus und dem daraus folgenden Verbot der Anmache einerseits, versus der Freiheit, Frauen zu belästigen, andererseits dem Staat zuviel Macht einräume und die Komponente der menschlichen Natur außer Acht lasse. Als Beispiel führten sie den griechischen Mythos der Antigone an, die ihrer Interpretation nach nicht ein menschliches Recht einfordere, ihren Bruder zu begraben, sondern gemäß dem „natürlichen“ Recht einer Schwester, ihren Bruder zu beerdigen, die geltenden Gesetze ignoriert.

So berufen sie sich auf das „natürliche“ Recht der Familie als wichtigste Instanz, die zugleich das Fundament des bestehenden Staates sein müsse.

Die Maskulinisten

Die Maskulinisten in Frankreich berufen sich oft auf die kanadischen Maskulinisten. In deren Sichtweise sind die Männer die großen Verlierer der Gleichberechtigung und Opfer der Feministinnen.

Durch die Siege der feministischen Bewegung seien Frauen jetzt in allen Bereichen an der Macht und unterdrückten die Männer.

Diese erstaunliche Analyse setzte sich in den letzten Jahren in diversen Strömungen durch. Am bekanntesten wurde in dieser Hinsicht die Vereinigung „SOS Papa“, die 2013 ins Medienlicht rückte, als mehrere Männer auf Kräne oder Dächer stiegen, um das Besuchsrecht bei ihren Kindern einzufordern. Besagtes Besuchsrecht war in einigen Fällen entzogen worden, aufgrund von Gewaltakten, Bedrohungen gegen die Mutter oder Kidnapping.

Das Medienecho war überraschenderweise riesig, weitaus größer als bei der jährlichen Veröffentlichung der Zahlen zu Mord und Totschlag an Frauen zum Beispiel, wie wir frustrierten Feministinnen uns nicht verkneifen konnten, zur Kenntnis zu nehmen.

„SOS Papa“ sieht sich einerseits als Vereinigung von Opfern eines Systems, das im Falle einer Scheidung oder Trennung alle Macht den Müttern einräumt, und gleichzeitig als heldenhafte Vereinigung von Männern, die dadurch, dass sie für ihre Vaterrolle kämpfen, gleich noch die Zivilisation, die Familie und fast die Welt retten. Besagte Vaterrolle steht dabei durchgängig im Gegensatz zu Frauen, die sich trennen wollen. Hervorgehoben werden hier nur die Rechte der Väter. Von ihren Verpflichtungen, zum Beispiel Unterhaltsbeiträge für die Kinder, ist nie die Rede. Von den Rechten der Mütter ganz zu schweigen.

Die Debatten um die inklusive Sprache

Ende September 2017 kam es in Frankreich zu einer heftigen Polemik, als ein Verlag das erste Schulbuch in inklusiver Sprache herausbrachte – ein Geschichts- und Geographiebuch für Neunjährige.

Raphaël Eindhoven, ein konservativer Politiker, reagierte erbost in einer Radiosendung von Europe 1, einem der meistgehörten Sender Frankreichs. Er klagte die inklusive Sprache an, die französische Sprache und somit Denkweise zu verarmen und sprach von tugendhaftem Negationismus. Er verglich die inklusive Sprache mit Orwells „Neusprech“ im Roman „1984“ und warnte vor einer Verblödung der Schüler*innen. Seine Aussagen lösten einen Sturm von Reaktionen aus, leider die meisten in seinem Sinne.

Die „Académie française“, eine Gelehrtengesellschaft, deren Aufgabe seit 1634 darin besteht, die französische Sprache zu pflegen und über ihre Vereinheitlichung zu wachen, veröffentlichte eine Warnung, die französische Sprache schwebe in Todesgefahr. Es sei hier betont, dass erst 1980 die erste Frau in diese Gesellschaft gewählt worden ist und die Zahl der Frauen bis heute acht nicht überschritten hat, Verstorbene mit eingerechnet. Die Gesamtzahl der Mitglieder beträgt vierzig „Akademiker“.

Der gegenwärtige Erziehungsminister Präsident Macrons, J.-M. Blanquer, verkündete in einem Tweet, es gebe nur „eine einzige Sprache, eine einzige Grammatik, eine einzige Republik“ und sprach sich gegen die Anwendung der inklusiven Sprache im Schulsystem aus, gefolgt vom Premierminister, der die inklusive Schreibweise für offizielle Dokumente verbieten will.

Konservative Zeitungen wie „Le Figaro“, die oben bereits erwähnte Bewegung Manif pour tous und alle möglichen, mehr oder weniger bekannten Vereinigungen, nicht nur von Rechts, ballerten mit einer Vielfalt von Behauptungen in den Medien drauflos. Wie auch in Deutschland wurde das „Argument“ des generischen Maskulinums hervorgekramt: Wozu brauche man denn eine inklusive Schreibweise? Das Maskulinum sei doch inklusiv, da es sowohl weiblich wie auch männlich bezeichnen würde.

In Frankreich gibt es kein Neutrum und die Grammatikregel lautet: „Männlich übertrumpft weiblich“. Ein beliebtes Beispiel von misogynen Französischlehrern lautet: Wenn hundert Frauen und ein Hund nass werden, wird das Adjektiv „nass“ wegen dem Hund (männlich, wie auf Deutsch) männlich akkordiert. Durch diese Regel können viele absurde Situationen entstehen, weil die Gegenwart einer einzigen (grammatisch) männlichen Figur die Deklination des Satzes diktiert.

Die Hierarchisierung, die den Feministinnen zur Genüge aufgetischt wurde, ist heute wieder en vogue. Man habe doch wichtigere Forderungen zur Gleichheit der Geschlechter, als an der Grammatik zu feilen, schließlich seien gleiche Gehälter immer noch nicht die Regel. Immer schön eins nach dem anderen.

Die französische Sprache sei schließlich schwer genug. Mit der inklusiven Schreibweise schrecke man die Leute ab, Französisch zu lernen und stürze Schulkinder in größte Schwierigkeiten. Dieselben Pädagog*innen, die sich hier zu Wort melden, lehren jedoch extrem unlogische und schwierige Rechtschreibregeln, die sich durch nichts rechtfertigen lassen außer einer unhinterfragten „Tradition“, und die das Erlernen der französischen Sprache unnötig erschweren.

Die inklusive Sprache sei ineffizient, so heißt es weiter, sie ändere nichts an der Diskriminierung und Benachteiligung. Das sei ja bewiesen dadurch, dass in Ländern, in deren Sprache ein Neutrum existiert oder gar die Regel ist, der Platz der Frauen in der Gesellschaft nicht signifikant bedeutender sei als in Frankreich.

Und auf pseudowissenschaftliche Weise wird dem Ganzen die Krone aufgesetzt: Es bestehe kein Zusammenhang zwischen Sprache und Denken; die inklusive Sprache könne gar nicht zu einer Änderung der bestehenden Verhältnisse beitragen.

Fazit

Sexismus gibt es überall und jedes Land hat seine sexistischen Besonderheiten. Der Antifeminismus sprießt in Frankreich besonders gut im Bereich der Kunst und Kultur – und rechts natürlich, sehr rechts und auf der Seite der Neofaschist*innen, immer genährt mit Nationalstolz, aber nicht nur.

Der Sänger der links orientierten Kultband „Noir Désir“, Bertrand Cantat, findet zahlreiche Unterstützung in den Medien gegen die Feministinnen, die vor den Konzerthallen demonstrierten, in denen er für sein gefeiertes Comback auftrat. Tatsache ist jedoch, dass er im Sommer 2003 in Vilnius seine Geliebte, die Schauspielerin Marie Trintignant, zu Tode geprügelt hat. Dafür saß er zwar vier Jahre in Haft, wird jetzt aber wieder als großer Künstler gefeiert, als wenn nichts gewesen wäre. Denn, so wird in den Medien argumentiert, den Künstler und den Straftäter dürfe man nicht miteinander verwechseln; und man dürfe nicht die Kunst bestrafen für die Taten des Mannes.

Dass aber der Mann von der Kohle profitiert, die der Künstler einsackt, und auf der Bühne steht, wo er bejubelt wird, stört doch sehr. Und mal wieder werden Feministinnen als puritanisch dargestellt. Der Mann habe seine Strafe doch abgesessen und solle seine Kreativität ausleben dürfen (es geht hier nicht um eine Verteidigung des Gefängnissystems, aber man vergleiche mal vier Jahre mit anderen Strafen für Mörder!). Singen sei ja schließlich sein Beruf, so heißt es weiter. Man faselt von der Kreativität und der Freiheit des Künstlers. Von der Freiheit Marie Trintignants, nicht zu Tode geprügelt werden zu wollen – kein Wort! Willkommen in Frankreichs antifeministischer Medienlandschaft.

Marie-Meier