Vielleicht 150 Flüchtlinge stellten sich am 30. April 2018 in Ellwangen zwei Streifenwagenbesatzungen entgegen, die nachts einen jungen Togoer zur Abschiebung abholen wollten. Von Gewalt und Aggression ist die Rede, den massiven Einsatz am 4. Mai rechtfertigt die Polizei mit dem Verdacht, die Flüchtlinge würden sich bewaffnen.
Die Innenminister und auch viele Kommentator*innen ergehen sich in Law and Order Rhetorik. Doch schaut man, wie die TAZ, genauer hin, bleibt von den Vorwürfen der Gewalttätigkeit der Geflüchteten nicht viel: ein Polizeiwagen erlitt eine kleine „Eindellung“, Waffen wurden bei der Großrazzia nicht gefunden, die eine Verletzung, die ein Polizist sich zuzog, geschah „ohne Einwirkung Dritter“. Es bleibt der Tatbestand der Nötigung. Das ist ungefähr die Größenordnung, die auch andere demokratische Proteste, von Linken oder Landwirten, schnell mal bekommen können. Aber bei Flüchtlingen ist es offenbar anders: hier wird große Gefahr gesehen, konsequent muss eingeschritten werden, um hier Widerstand gegen Abschiebungen im Keim zu ersticken. Der starke Staat wird gerufen, und die Schutzbedürftigkeit der Flüchtlinge weicht im veröffentlichten Meinungsbild der Gefahr, die von Flüchtlingen (angeblich) ausgeht.
Das ist eine fatale Entwicklung. Ellwangen ist kein Einzelfall. Vor sechs Wochen erst geschah Ähnliches in der bayerischen Erstaufnahme Donauwörth. Auch hier eine Kaserne, rund sechshundert Insassen, die Hälfte davon Männer aus Gambia. Den Gambiern droht durchweg eine Abschiebung nach Italien, das Land, über das sie nach Europa gekommen sind. Ein nächtlicher Abschiebeversuch scheiterte, am Nachmittag kam eine Hundertschaft Bereitschaftspolizei, durchsuchte die Insassen und ihre Zimmer, fand so gut wie nichts, nahm aber rund 30 Personen fest. Während in Ellwangen die vermeintlichen „Rädelsführer“ wohl lediglich auf andere Einrichtungen umverteilt werden, griff Bayerns Justiz hart durch. 27 Männer wurden unter dem Verdacht der Fluchtgefahr in Untersuchungshaft genommen, verteilt auf verschiedene Justizvollzugsanstalten Bayerns. Mehrere von ihnen sollen inzwischen nach Italien abgeschoben worden sein, ohne, dass die Haftgründe geprüft worden sind, ohne Urteil. In einem Fall legte ein Anwalt Beschwerde ein, der Betroffene wurde sofort auf freien Fuß gesetzt, die Anklage fallengelassen. Gab es hier überhaupt Substanz für eine Anklage, einen Grund für die Haft? Der Verdacht drängt sich auf, dass hier der Rechtsstaat nicht sauber spielt.
Mit Seehofers geplanten AnKER-Zentren wird es auch mehr Probleme und Proteste geben
Zustände wie in Ellwangen, in Donauwörth und anderswo werden zur Normalität werden, wenn sich Innenminister Horst Seehofer bei den Ländern mit seinen geplanten AnKER-Zentren (1) durchsetzt. In großen Erstaufnahmeeinrichtungen mit bis zu 1500 Plätzen sollen Flüchtlinge festgehalten werden, bis über ihren Verbleib entschieden ist. Das wird inklusive der Verwaltungsgerichtsverfahren Monate, manchmal Jahre, dauern. In dieser Zeit herrscht Arbeitsverbot, vielleicht gibt es einen Deutschkurs, die bayerischen Transitlager zeigen, dass Schulbesuch in rechtswidriger Weise reduziert ist auf ein Alibiprogramm.
Neben all den Schäbigkeiten, denen Flüchtlinge insbesondere in den bayerischen Transitverfahren ausgesetzt sind, und die für viel Konfliktstoff sorgen, zerrt die Allgegenwärtigkeit der Abschiebeandrohung an den Nerven. Aus den Transitlagern, aber auch aus Donauwörth, wissen wir, dass beinahe jede Nacht ein Polizeieinsatz stattfindet, um einzelne Personen zur Abschiebung zu bringen. Dies zermürbt die Insassen, niemand weiß, wer der nächste ist. An manchen Orten haben Bewohner*innen von Transitlagern Nachtwachen eingerichtet, die bei einem Polizeieinsatz Alarm schlagen. Viele schlafen nicht mehr in ihren eigenen Zimmern, so „scheitern“ vier von fünf Einsätzen.
Zunehmend wird ein Abschiebeversuch zur Durchsuchung von ganzen Trakten und Gebäudekomplexen. Die Beamten sind wütend, die Bewohner*innen verzweifelt, Eskalationen sind bislang trotzdem selten. Stattdessen tauchen zahlreiche Insassen unter oder flüchten in andere EU-Staaten. Die bayerischen Lager sollen zum Vorbild der AnKER-Zentren werden, die Horst Seehofer gern bundesweit installiert sehen möchte. Sie stehen im Zentrum des „Masterplans Abschiebung“. In Bayern haben die zunehmenden Konflikte in den Zentren vor allem dazu geführt, dass der bayerische Innenminister Joachim Herrmann massiv das Security-Personal und die Polizeipräsenz erhöhen will, während am Personal der Sozialberatung gespart wird.
Die Gesellschaft soll sich raushalten, die Polizei es richten
Zu dieser Tendenz, durch Staatsgewalt die Flüchtlinge verfügbar und fügsam zu machen, gehört auch die Kritik an denjenigen in der Gesellschaft, die sich gegen Abschiebungen, zum Beispiel nach Afghanistan, einsetzen. Die Rechte von Geflüchteten und das Flüchtlingsrecht zählen immer weniger, wenn es darum geht, durch hohe Abschiebezahlen zu punkten. Man will die Staatsgewalt durchsetzen, da stören das Recht und diejenigen, die es durchsetzen wollen.
Die Kasernierung von Flüchtlingen in großen Lagern soll Flüchtlinge verfügbar machen für das Handeln von Polizei und Behörden, aber sie soll auch vor allem eins: dafür sorgen, dass Geflüchtete sich nicht integrieren können und dass die Gesellschaft außen vor bleibt.
Die Erfolgsgeschichte, die die Integration von Hunderttausenden Flüchtlingen in den letzten drei Jahren vor allem ist, soll kleingeredet werden, die Abwehr von Flüchtlingen steht jetzt auf dem Programm, und da stören eine integrierende Gesellschaft und integrationswillige Flüchtlinge. Der Einsatz für Geflüchtete wird schwieriger, weil sie in den großen Lagern schwerer zu erreichen sind als im eigenen Wohnviertel.
Die Solidarität mit den Flüchtlingen, die noch immer viele gute Gründe für ihre Flucht haben, ist jetzt wichtiger denn je.
Stephan Dünnwald
(1) Als AnKER-Zentren (AZ) werden geplante Aufnahmestellen für Asylbewerber in Deutschland bezeichnet. Die Bezeichnung erscheint im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von 2018 und steht für "Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung bzw. Rückführung (AnKER)".
Dr. Stephan Dünnwald ist Mitarbeiter im Bayerischen Flüchtlingsrat und Mitglied im Labor für kritische Migrations- und Grenzregimeforschung.