Kaum war das Castor-Sixpack im letzten Frühjahr in das Gorlebener Zwischenlager gerollt, kündigten die Betreiber einen nächsten Transport für den Herbst an. Nicht jedoch in das für die Anti-AKW-Bewegung so symbolträchtige Wendland, sondern in das münsterländische Ahaus, bisher alles andere als ein Ort, an dem sich der Widerstand der Anti-AKW-Bewegung kristallisierte, soll der Transport gehen. Mittlerweile ist aus Herbst 1997 das Frühjahr 1998 geworden und es wird immer deutlicher, daß sich die Anti-AKW-Bewegung nicht nur an dem Standort Gorleben kristallisiert, sondern generell an dem Ziel "den Castor stoppen". Wie schon in der letzten GWR berichtet, wird es nun ernst: nach dem Willen der Betreiber soll zwischen dem 23. und 27. März jeweils 3 Castorbehälter aus Neckarwestheim und Gundremmingen nach Ahaus rollen. Grund genug für uns, die Situation in Ahaus einmal näher zu beleuchten. (Red.)
1977 kam Ahaus als Standort für ein Zwischenlager erstmals ins Gespräch, damals angeboten von der nordrhein-westfälischen SPD-Landesregierung (1). Wichtig für diese Standortentscheidung waren zwei Gründe: zum einen befand sich das Grundstück im Besitz eines Energieversorgungsunternehmens, zum anderen sollte aufgrund der Planung des „Entsorgungsparkes Gorleben“ im CDU-geführten Niedersachsen auch ein SPD-geführtes Land seinen Beitrag zur Entsorgung leisten. 1984 wurde mit dem Bau einer Halle für die Lagerung von Castorbehältern begonnen. Die Klage eines benachbarten Bauerns führte 1985 letztendlich vor dem OVG in Münster zum Baustopp. Dieser dauerte drei Jahre an, dann wurde es den Verantwortlichen zu bunt. Kurzerhand wurde die Zuständigkeit für das Verfahren dem Bau-Senat des OVG entzogen und an den Atom- Senat weitergegeben. Schon 1989 war der Bau der Halle abgeschlossen.
Die Auflage der nordrhein-westfälischen Landesregierung, daß das Zwischenlager, um „Zwischen“lager zu bleiben, erst dann in Betrieb gehen dürfe, wenn andernorts die Inbetriebnahme eines Endlagers als „gesichert erscheint“, verlor spätestens dann ihre Gültigkeit, als man sich überlegen mußte wie der mit dem „Entsorgungsnachweis“ Ahaus genehmigte und inzwischen stillgelegte Thorium-Hochtemperaturreaktor (THTR) Hamm- Uentrop entsorgt werden sollte. Im März 1992 wurde die Genehmigung zur Einlagerung der THTR Kugelbrennelemente erteilt, schon im Juni rollte der erste Transport. Mittlerweile sind es 305 Castor-Behälter mit THTR-Brennelementen, die im Zwischenlager Ahaus lagern.
Seitdem wurden die Pläne für das Zwischenlager häppchenweise ausgeweitet. 1993 wurde der Bau einer weiteren Lagerhalle, hauptsächlich für Transporte aus der Wideraufarbeitung in Sellafield (England) und La Hague (Frankreich) gedacht, beantragt, und, dem Rat der Stadt Ahaus durch ein Bestechungsgeld in Höhe von 160 Millionen DM, zahlbar von der Betreibergesellschaft Brennelemente-Zwischenlager Ahaus (BZA) verteilt auf 20 Jahre schmackhaft gemacht, auch beschlossen. Weitere Kapazitätserhöhungen und die Lagerung verschiedener Castorbehälter-Typen wurden 1996 erörtert und 1997 genehmigt.
Damit wurde das Zwischenlager Ahaus zu einem Standort gemacht, welcher in seinen Aufnahmekapazitäten dem Zwischenlager in Gorleben entspricht, und damit eine wichtige Rolle für den Weiterbetrieb der AKW’s sowie für den Neubau des Forschungseaktors in Garching, für den Ahaus als Entsorgungsnachweis gilt, spielt.
Der 306. Transport ist gleichzeitig der erste!
Es ist absehbar, daß eine der Verwirrungsstrategien der Atomlobby darauf hinauslaufen wird, zu betonen, daß doch schon 305 Castor-Transporte ohne größere Probleme nach Ahaus gerollt sind. Was soll daher jetzt die Mobilisierung gegen den 306. Transport?
Diese Argumentation unterschlägt einen wesentlichen Aspekt: die Transporte aus Hamm dienten der „Entsorgung“ eines bereits stillgelegten AKWs, der jetzt angekündigte Transport dient dazu, laufende AKWs weiterhin in Betrieb zu halten!
Die Position der Anti-AKW-Bewegung war immer, daß über eine sicherlich notwendige „Entsorgung“ erst dann diskutiert wird, wenn alle AKWs abgeschaltet worden sind. In diese Diskussion früher einzusteigen würde bedeuten, den Weiterbetrieb der Atomanlagen zu unterstützen, da gerade die Beseitigung des Atommülls die Schwachstelle des gesamten Atomprogramms ist. Der Widerstand gegen die Castor-Transporte richtet sich daher auch nicht gegen die Transporte an sich, sondern greift über den Hebel der Entsorgungsproblematik das gesamte Atomprogramm an. Ziel ist nicht nur ein Stopp der Transporte, sondern die Stillegung aller Atomanlagen!
Bei den Transporten aus Hamm ging es „nur“ um die Frage, wo der Müll aus dem THTR bleibt, ob er erstmal im THTR selbst zwischengelagert wird oder aber „extern“. Auch wenn die externe Lagerung in Ahaus mit Sicherheit auch ein Versuch war, auf diese Art das Zwischenlager Ahaus in Betrieb zu nehmen und die Grundlage für weitere Transporte auch aus laufenden Atomanlagen zu schaffen, so war die Brisanz dieser Transporte im politischen Sinne doch wesentlich geringer als es der jetzt anstehende Transport ist.
Nun aber geht es darum, das Zwischenlager Ahaus für die „Entsorgung“ laufender Atomanlagen in Betrieb zu nehmen. Es gilt, den Schwung aus Gorleben zu nutzen und der Atomlobby das Schlupfloch Ahaus zu verstopfen!
Ahaus ist nicht Gorleben …
Nicht vergleichbar mit Gorleben ist die Geschichte des Widerstandes in Ahaus. Während Gorleben auf eine mittlerweile über 20-jährig gewachsene Widerstandskultur zurückblicken kann, in der die Strukturen Zeit hatten zu wachsen, in der Konflikte zwischen dem Widerstand vor Ort und der bundesweiten Bewegung ausgetragen werden konnten und in der sich die einheimische Bevölkerung langsam aber sicher radikalisierte, so blieb der Widerstand in Ahaus lange Zeit auf die Region beschränkt.
Dennoch gelang es dem Widerstand in den 80er Jahren immer wieder, Verzögerung in der Zeitplanung zu bewirken. Dabei wurde eine Strategie der Kombination des juristischen Weges mit Aktionen und Demonstrationen verfolgt, wobei letztere aufgrund der mangelnden bundesweiten Unterstützung im wesentlichen von der regionalen Bevölkerung getragen wurden.
Auch wenn in Ahaus in den letzten Jahren der Widerstand breiter geworden ist, so fehlen praktische Erfahrungen in Auseinandersetzungen mit der Staatsgewalt fast vollständig. Gerade durch diese Auseinandersetzungen ist in Gorleben in einem schwierigen und immer wieder von Brüchen begleiteten Prozeß eine Akzeptanz für radikalere Formen des Widerstandes gewachsen. Dies war auch in Gorleben nicht immer so. Noch 1977, bei der ersten Großdemonstration anläßlich der Standortbekanntgabe für den Bau einer WAA im Wendland, blieben die meisten Einheimischen zu Hause oder verbarrikadierten sich gar in ihren Häusern. „Wenn die Kommunisten gekommen wären, ich hätte geschossen, garantiert“, in dieser Äußerung eines Bauern spiegelt sich die Angst und Vorbehalte vor den „Auswärtigen“, die der Angst vor der WAA durchaus gleichrangig war.
Ahaus steht – trotz ebenfalls mittlerweile 20jähriger Geschichte – in vielerlei Hinsicht dennoch da, wo Gorleben vor 20 Jahren stand. Nach dem Transport jedoch, wird in Ahaus nichts mehr sein, wie es mal war. Schon jetzt bekommt die Stadt die Vorbereitungen voll zu spüren. Die Polizei macht Stimmung gegen die AtomkraftgegnerInnen. Zwei PolizistInnen wurden alleine für die Öffentlichkeitsarbeit abgestellt. Ahauser Betriebe bekamen Briefe von der Polizei, daß sie damit rechnen müssen, am Tag X ihren Betrieb nicht aufrechterhalten zu können, da der Verkehr weiträumig abgesperrt werde. Für die Ahauser Bevölkerung wird die Situation schwer einschätzbar. Durch Bilder, die über in Ahaus einfallende, unberechenbare und gewalttätige DemonstrantInnen verbreitet werden einerseits, und die massive, alles bestimmende Polizeipräsenz andererseits, enststehen in vielen Köpfen der Ahauser BürgerInnen Bedrohungsszenarien. Zur Zeit ist überhaupt nicht klar, in welche Richtung die Stimmung kippt. Wer wird Schuld sein an der Unruhe, an dem Chaos? Wird das, was sich am Tag X abspielt, motivierend sein für die Menschen aus der Region, den Widerstand gegen Atomkraft zu unterschützen, oder sich sogar aktiv daran zu beteiligen? Diese Fragen werden sich endgültig wohl erst nach dem Tag X beantworten lassen.
Viel wird von unserem Verhalten abhängen. Es kann bei dem kommenden Transport nicht darum gehen, Ahaus nur als Kulisse für unsere Aktionsformen zu sehen. Wir müssen uns ebenso fragen, was an dem Standort passieren wird, wenn wir – die „Auswärtigen“ – wieder weg sind.
…aber irgendwie doch!
Auch wenn Ahaus nie Kristallisationspunkt der bundesweiten Anti-Atom-Bewegung gewesen ist, Widerstand gegen das Zwischenlager hat es in der Region von Anfang gegeben. Durch die beantragte Erweiterung der Genehmigung und den geplanten Bau einer zweiten Halle regte sich Mitte der 90er Jahre stärkerer Protest. Eine eigens angesetzte Ratssitzung mußte aufgrund des Ansturms von 300 ZuhörerInnen polizeilich geräumt werden, und bei der Wiederholung demonstrierten 2 000 Menschen. Anfang 1995, nach Abschluß der THTR-Brennelement- Transporte startete die BI eine Aktion mit dem Motto „Es reicht! – Wir stellen uns quer.“ Nach dem wendländischen Vorbild erklärten fast 500 Menschen öffentlich in einer Zeitungsanzeige, daß sie weitere Atommülltransporte nicht hinnehmen wollen, und diese blockieren würden.
Und spätestens seit der Ankündigung des Castor-Transportes im März letzten Jahres hat der Widerstand sichtlich zugenommen. Beim letzten Sonntagsspaziergang am 15. Februar beteiligten sich 4 000 Menschen, überwiegend aus der Region.
Haben die Herrschenden also mit der Entscheidung den nächsten Transport nach Ahaus zu schicken vielleicht noch gehofft, daß der Widerstand außerhalb des Kristallisationspunktes Gorleben geringer ausfallen würde, so wurden sie schon jetzt eines besseren belehrt. Die Vorbereitungen seitens der Bewegung laufen auf Hochtouren und betrachtet mensch die Konzepte der Gegenseite, so wird auch jetzt schon klar, daß der kommende Transport nach Ahaus den Aufwand, Kosten und Absurdität der bisher nach Gorleben gelaufenen Transporte noch übertreffen wird. 20 000 PolizistInnen sollen die Region besetzen, Containerplätze werden als Gefangenensammelstellen eingerichtet, am Tag X soll die Stadt nebst Autobahnabfahrt gesperrt werden. Gerüchte über Pläne, das über 4 km lange Castorgleis vom Bahnhof Ahaus bis zum Zwischenklager mit einem Bauzaun abzusperren, konnten bisher nicht bestätigt werden, werden aber als nicht unwahrscheinlich eingeschätzt. Am Anschlußgleis vom Ahauser Bahnhof zum Zwischenlager werden derzeit bereits Flutlichtmasten aufgebaut, um so auch nachts das Gelände vollständig ausleuchten zu können. Der Atomstaat beginnt seine Zähne zu zeigen…
Wie bereits bei den letzten Castor-Transporten ins Wendland wird dabei das Dilemma einer staatlichen Politik überdeutlich, die letztlich nur noch mit „militärischen“ Mitteln gegen einen breit unterstützten Widerstand der Bevölkerung durchgesetzt werden kann. Nach 25 Jahren Anti-AKW-Bewegung, mehr als 10 Jahre nach Tschernobyl und einem darauf folgenden breiten gesellschaftlichen Konsens gegen Atomkraftwerke kristallisiert sich diese Auseinandersetzung nun an den Castor-Transporten. Die Polizeiarmee, die Jahr für Jahr ins Feld geführt wird, um diese Transporte durchzusetzen, zeigt deutlich, daß der Staat nicht Interessenswahrer der Bevölkerung ist – wie sollte er auch? – sondern die Partikularinteressen der Atomlobby mit – im wörtlichen Sinne – aller Gewalt durchsetzt.
Die Tatsache, daß mit Hubert Wimber ein grüner Polizeipräsident die Polizei befehligt zeigt nur umso deutlicher, daß sich auch hinter grüner Regierungsbeteiligung die häßliche Fratze des Atomstaats nur unzureichend verbergen läßt.
(1) vgl. Hartmut Liebermann. Ahaus. In: Gorlebener TurmbesetzerInnen. Leben im Atomstaat. 1996