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Drei Frauenleben in drei Episoden

| Mona Grosche

Julia Zejn: Drei Wege, Avant Verlag, Berlin, Oktober 2018, 184 Seiten, vierfarbig, Softcover, 25 Euro, ISBN 978-3-945034-99-6

Es sind nicht die aufsehenerregenden Geschehnisse aus den Schlagzeilen, die in der Graphic Novel „Drei Wege“ im Mittelpunkt stehen. Vielmehr widmet sich Julia Zejn in drei unterschiedlichen Epsioden den Porträts dreier junger Frauen, die – im zeitlichen Abstand von 50 Jahren – versuchen, mit ihrem „ganz normalen“ Leben klarzukommen.

Einfach ist das für keine von den dreien, auch wenn ihre Lebensumstände sich deutlich voneinander unterscheiden: So treffen wir 1918 auf Ida, als sie im letzten Kriegsjahr des Ersten Weltkrieges bei einer wohlhabenden Arztfamilie in Berlin in Stellung geht, um ihren Vater und ihre kleinen Brüder zu unterstützen.

Sie ist froh, bei der gnädigen Frau und deren Söhnen gut aufgenommen zu werden. Sogar mit am Tisch sitzen darf sie und mit den Kindern Jules Verne lesen, so dass sich bald ein recht familiäres Verhältnis zwischen ihr und der Hausherrin entwickelt. Das findet allerdings ein jähes Ende, als der verwundete Ehemann wieder aus dem Lazarett nach Hause kommt.

Alter Standesdünkel und strikte Regeln für Familie und Erziehung halten damit wieder Einzug in diesem Haushalt.

Zudem macht sie sich große Sorgen um ihren Liebsten, der im Feld verschollen ist.
Im Jahr 1968 lernen wir Marlies kennen, die in einem Berliner Café arbeitet, aber viel liest und nur zu gerne eine Lehre in einem Buchladen machen möchte. Eine Ausbildung halten ihre Eltern aber bei einem Mädchen für überflüssig. Auch wenn Marlies nur wenig von den aufrührerischen Gedanken und Protesten der Studentinnen und Studenten um sie herum mitbekommt, gehen ihr die miefige Enge ihrer Familie, die spießige Ehe der Schwester und die BILD-Zeitungs-Weisheiten des Vaters mächtig auf die Nerven.

Als sie dann den Literaturstudenten Wolfgang kennenlernt, der im SDS engagiert ist, macht sie auf einer Demo nach dem Attentat auf Rudi Dutschke die ersten Erfahrungen mit der knüppelnden Polizei.

2018 wiederum hat Selin gerade ihr Abitur geschafft und fragt sich, was sie bloß mit ihrem Leben anfangen soll. Ihre Mutter, eine ernährungsbewusste Yogalehrerin, lässt ihr zwar alle Freiheiten, aber sie fühlt sich total ziel- und nutzlos. Sie sieht sich ohne Talente, ohne Ideen und ohne gutes Aussehen – was soll also jemals aus ihr werden?

Da ist ihre beste Freundin Alina schon wesentlich strebsamer. Ein Studium in Amerika soll der nächste Schritt auf ihrem Lebensweg sein, wie sie der staunenden Selin und dem gemeinsamen Freund Finn erzählt. Doch dann muss Selin erkennen, dass bei Alina in Wahrheit nichts so ist, wie es scheint.

Sie fasst einen Beschluss, um dem Herumhängen und Nichtstun ein Ende zu setzen.
Julia Zejn erzählt die Geschichten der Frauen in rasch wechselnden Zeitebenen, bei denen sie diese mitunter an den gleichen Schauplätzen agieren lässt.

Trotz der schnellen Wechsel der Erzählstränge gelingt es ihr mit ihren prägnanten Zeichnungen, die Atmosphäre der jeweiligen Epoche einzufangen, wobei sie auch auf zeitgeschichtliche Zitate zurückgreift.

Auf dem Tableau realer historischer Ereignisse lässt sie uns so teilhaben an den Konflikten und Alltagssorgen der Frauen, denen sich allen die große Frage stellt, wie sich ihre Zukunft gestalten wird.

Dabei sind die Möglichkeiten, diese selbst zu bestimmen, erwartungsgemäß recht unterschiedlich: Während Ida angesichts der Verheerungen des Krieges nichts anderes übrig bleibt, als ihre Arbeit zu tun und zu hoffen, dass der Traum vom Eheglück noch wahr wird, haben die anderen beiden eine Wahl bei der Entscheidung, welche Ziele sie im Leben verfolgen wollen.

Während das bei Margot mit starken gesellschaftlichen Zwängen und Konflikten in der Familie verbunden ist, ist es bei Selen aber gerade der Überfluss an Optionen, der es ihr schwermacht, ein Ziel ins Auge zu fassen, auch wenn ihr als einziger der Frauen Verständnis und Sicherheit seitens ihrer Eltern entgegengebracht werden.

Eine lesenswerte, spannende Lektüre.

Mona Grosche