Guillaume Gamblin, Pierre Sommermeyer, Lou Marin (Hg.): Im Kampf gegen die Tyrannei. Gewaltfrei-revolutionäre Massenbewegungen in arabischen und islamischen Gesellschaften: der zivile Widerstand in Syrien 2011-2014 und die „Republikanischen Brüder“ im Sudan 1983-1985, Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2018, 144 Seiten, 13,90 Euro, ISBN 978-3-939045-34-2
„Auch die Toten werden vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein, und dieser Feind hat zu siegen nicht aufgehört.“ (Walter Benjamin)
„Im Kampf gegen die Tyrannei“ ist ein Buch des Verlags Graswurzelrevolution über gewaltfrei-revolutionäre Bewegungen in arabischen und islamischen Gesellschaften. Der erste Teil ist dem gewaltfreien Aufstand in Syrien gewidmet, der im Frühjahr 2011 versuchte das Regime Bashar al-Assads zu stürzen und im Bürgerkrieg unterging.
Der zweite Teil des Buches erinnert an Ustad Mahmud Muhammad Taha und die Bewegung der „Republikanischen Brüder“ im Sudan 1983-1985.
Wer waren die Menschen, die im Frühjahr 2011 den gewaltfreien Aufstand und in den folgenden Jahren den zivilen Widerstand sowohl gegen Assad als auch den Islamischen Staat führten?
Das Buch erzählt von den freien Frauen Darayyas, die eine Schlüsselrolle im Anfangsstadium des Aufstands spielten; dem Mazaya-Frauenzentrum, das sich in Kafranbel gegen die Vereinnahmung der Revolution durch islamistische Milizen zur Wehr setzte; der Bewegung „Die Straße gehört uns“, die bis Mitte 2012 in Salamiyya gegen die Repression der Sicherheitskräfte auf die Straße ging; Ahmed Zaino, der im Oktober 2011 gemeinsam mit anderen gewaltfreien Aktivist*innen das Wasser der Springbrunnen Damaskus rot färbte. Es geht außerdem um Suad Nofel, die im Juli 2013 vor dem Hauptquartier des „Islamischen Staates“ in ar-Raqqa eine „Eine-Frau-Demonstration“ durchführte. Gewürdigt wird auch Fadwa Suleiman, die syrische Schauspielerin, die am 17. August 2017 in Paris starb.
Wir lernen Omar Aziz kennen, den syrischen Anarchisten, dessen „Diskussionspapier über lokale Räte“ die Selbstorganisation der Bewegung inspirierte, den das Regime zusammen mit vielen anderen ins Gefängnis werfen ließ und der dort im Februar 2013 an Herzversagen starb.
Schließlich muss noch Jawdat Said erwähnt werden, dessen gewaltfreie Interpretation des Islams das Gesicht des Aufstands prägte, bis Deserteure der syrischen Armee in der zweiten Hälfte des Jahres 2011 unter dem Eindruck der brutalen Repression des Regimes zur Gegengewalt übergingen und sich der Traum von einer sozialen Revolution in einen Alptraum verwandelte.
„Wenn Du deine Hand erhebst, um mich zu töten, dann erhebe ich nicht meine Hand, um Dich zu töten“ (Koran, Sure V, Vers 28)
Ebenso wie Jawdat Said in Syrien, lebte und lehrte Ustad Mahmud Muhammad Taha im Sudan einen gewaltfreien und herrschaftskritischen Islam.
Islamischen Fundamentalist*in-nen und christlichen Kulturkriegern zum Trotz zeigen ihre Beispiele, dass nicht die Religion entscheidet, ob Menschen zu Heiligen oder Fanatiker*innen werden, sondern die Interpretation der Religion durch die einzelnen Individuen. So hielt Taha im Gegensatz zur herrschenden Lehrmeinung die früheren Koranverse, die der Prophet in Mekka geäußert hat, für essentieller als die Koranverse aus Medina, wo der Prophet als Staatsgründer und Krieger auftrat. Die Verse der medinensischen Phase, denen er den Jihad in seiner Form als bewaffneten Kampf, die Sklaverei, den Kapitalismus, die Scharia und die Unterdrückung der Frau zuordnete, seien nur für das Siebte Jahrhundert gültig und der geringen geistigen Entwicklung der Zeit geschuldet, während das grundlegende Prinzip der mekkanischen Predigten die individuelle Freiheit in Verbindung mit sozialer Gerechtigkeit sei. Politisch traten Taha und die Vereinigungen der republikanischen Brüder und Schwestern für einen demokratischen, föderalistischen, weltlichen und sozialistischen Sudan und die Gleichstellung von Mann und Frau ein. In einem von Bürgerkrieg zerrissenen Land boten sie eine gewaltlose Alternative zu Militärdiktatur und islamischen Fundamentalismus.
Aufgrund seines Protestes gegen die Einführung der traditionell-islamistischen „Hadd“-Strafen im Sudan wurde Mahmud Muhammad Taha am 18. Januar 1985 wegen Apostasie, also dem „Abfallen vom Islam“, hingerichtet.
Darth Korth