Rote Hilfe e.V. und ATIK (Hg.): „Dieser Prozess wird nicht im Gerichtssaal, sondern auf der Straße entschieden.“ Der TKP/ML-Prozess in München. Göttingen / München 2018, 2 Euro. Zu beziehen über: literaturvertrieb@rote-hilfe.de
„Dieser Prozess wird nicht im Gerichtssaal, sondern auf der Straße entschieden.“ Das titelgebende Zitat stammt von Müslüm Elma, einem der zehn Angeklagten, die seit Juni 2016 vor dem Oberlandesgericht München stehen. In dem politischen Prozess, der nach dem Terrorismus-Paragrafen 129b (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland) geführt wird, werden die Kommunist*innen der Mitgliedschaft in der TKP/ML (Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch) beschuldigt.
Dabei werden ihnen keine strafbaren Handlungen vorgeworfen, sondern ausschließlich ihre Tätigkeit für eine Partei, die in der BRD nicht einmal verboten ist. Nach dreijähriger Untersuchungshaft sind sechs von ihnen inzwischen auf freiem Fuß; vier weitere Aktivisten sitzen seit der gemeinsamen Verhaftung im Frühjahr 2015 noch immer im Gefängnis. Warum diese staatliche Verfolgungswut gegen türkische Oppositionelle?
Allem Anschein handelt es sich schlicht um eine Gefälligkeitsgeste der Bundesregierung gegenüber dem Erdoğan-Regime. Ohne eine „Verfolgungsermächtigung“ des Bundesjustizministeriums wären die Kommunist*innen nie verhaftet oder vor Gericht gestellt worden.
Die im Juli 2018 erschienene Broschüre versucht, einen Überblick über das Gerichtsverfahren, die Angeklagten und die Hintergründe zu geben.
Herausgeberinnen sind die Rote Hilfe e.V. und der den Betroffenen politisch besonders verbundene Verein ATIK, jedoch wurden viele Artikel von den solidarischen Anwält*innen beigesteuert.
In längeren Texten werden die Geschichte und Anwendung der Paragrafen 129 a/b, die Ermittlungen gegen die TKP/ML im Vorfeld der Verhaftungen im März 2015 sowie der bisherige Prozessverlauf dargestellt. Weitere Beiträge schildern die Schikanen, mit denen die Rechtsanwält*innen in ihrer Arbeit behindert wurden, sowie die besondere Situation des schwer erkrankten Aktivisten Mehmet Yeşilçalı, gegen dessen Entlassung aus der zerstörerischen Haft sich das Gericht über Jahre hinweg sperrte. Daneben kommen in Interviews sowohl die Verteidigung als auch zwei Betroffene zu Wort.
Das Verfahren wird von Angeklagten und Verteidiger*innen gleichermaßen als Politikum begriffen und mit kämpferischen Statements begleitet, die deutlich machen, worum es hier geht: einen staatlichen Angriff auf linke Strukturen, gelenkt von außenpolitischen Interessen. Sehr aufschlussreich sind dabei die Pressemitteilungen der Verteidigung, aber auch die Prozesserklärungen der kriminalisierten Kommunist*innen. Unter dem Titel „ATIK ist nicht alleine“ wird abschließend die praktische Solidaritätsarbeit beleuchtet – nicht zuletzt in der Hoffnung, weitere Unterstützungsaktionen anzuregen.
Die Broschüre bietet eine übersichtliche Einführung in den komplexen Prozess und seine Hintergründe und ermöglicht somit auch Menschen, die nicht mit der Thematik vertraut sind, einen einfachen Einstieg.
Wir wünschen der Publikation viele Leser*innen, dem Prozess breite öffentliche Aufmerksamkeit und den Angeklagten eine wachsende Solidaritätsbewegung – im Gerichtssaal und auf der Straße!
Silke