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Das Elend des Protestantismus

Futter für Religionskritiker*innen

| Knoblauch/Wagener

Karsten Krampitz, „Jedermann sei untertan“ – Deutscher Protestantismus im 20. Jahrhundert. Irrwege und Umwege. Alibri Verlag, Aschaffenburg 2017, 352 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3-86569-247-4

Sich mit der Religion im Allgemeinen auseinander zu setzen ist das Eine, sich mit den kirchlichen Institutionen anzulegen das Andere. Der Streit unter Religionsgegner*innen, ob nun die katholische oder die protestantische Kirche schlimmer sei, erhält hier neues Futter. Sind doch die katholische Kirche und ihre Institutionen offenbar leichter zu kritisieren. Aber die scheinbar liberalere Variante des Christentums, der Protestantismus, ist nicht viel besser, wie der Historiker Karsten Krampitz jetzt in seinem Buch mit dem programmatischen Titel „Jedermann sei untertan“ belegt.

Krampitz schildert hier gnadenlos die protestantische Kirche in der Tradition des Judenhassers Martin Luther, antisemitisch und menschenverachtend, weltliche Probleme verdrängend und immer der Obrigkeit zugewandt. Ohne reißerisch aufzutrumpfen wird die Politik der „Deutschen Christen“ und der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) im 20. Jahrhundert dokumentiert. Und für zu leicht empfunden. Beginnend mit der Demontage des Mythos Luther bis hin zum halbherzigen Widerstand gegen die Diktatur des NS-Regimes und des so weitermachens in der BRD und der DDR. Protestantismus als irdisches Mitläufertum, als Garant eines treuen Untertanen in jedwedem System.

Karsten Krampitz, ein Weihnachtskind aus dem Osten, hat sich bereits 2016 mit seiner 680 Seiten dicken Promotionsschrift „Der Fall Brüsewitz. Staat und Kirche in der DDR“ eingehend mit dem Protestantismus beschäftigt, und ihn nun anhand von Dokumenten weiter aufgearbeitet.

Die Kirche hat sich von der Politik der Weimarer Republik distanziert, aber das Naziregime gestützt. Ab 1933 wurde die EKD „völkisch“ und nach dem Krieg alles verdrängend. Das Aushängeschild, welches als Mythos für den „Widerstand gegen das Naziregime“ benutzt wurde, die bekennende Kirche, war aus Sicht von Krampitz eigentlich nicht viel mehr als ein theologischer Disput.

[Anmerkung der GWR-Sätzerin: Das Stuttgarter Schuldbekenntnis von 1945 hat nichts ungeschehen gemacht, war aber doch ein Versuch, eine Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle anzustoßen. Und dafür, dass die Bekennende Kirche nichts weiter gewesen sein soll als ein „theologischer Disput“, hat sich in diesem Umfeld doch recht aktiver Widerstand entwickelt und viele daran Beteiligte haben einen denkbar hohen Preis bezahlt – Dietrich Bonhoeffer ist nur das bekannteste Beispiel, es gab viele andere.]

Krampitz ist in seiner Kritik schonungslos, als Schriftsteller und Journalist parteiisch und manchmal auch mit eigenen Kommentaren nicht sparend, aber die Evangelische Kirche machte es ihm auch leicht. Nur weil der Dreck unter den Teppich gekehrt wird, ist er eben längst nicht verschwunden.

Selbst für Menschen, die in der Kirche aktiv sind oder waren, hat Krampitz Fakten parat, die vielen neu und unbekannt sein werden. Krampitz zwingt die Kirche mit diesem Buch, sich mit der eigenen Geschichte kritisch auseinander zu setzen, auch die in der neueren Zeit sich unterschiedlich entwickelnden evangelischen Kirchen in der BRD und der DDR.

Alle, die sich der protestantischen Kirche nahe fühlen, sollten dieses Buch lesen. Es ist nahezu zwingend sich der instituierten historischen Verdrängung zu stellen und Mythen endlich abzulegen. Und mit ihm ein Untertanentum im Namen der Religion. Absolut empfehlenswert.

Knoblauch/Wagener