In Brasilien steht ein rechtsradikaler Ex-Militär vor dem Gewinn der Präsidentschaftswahl. Das Land ist wirtschaftlich abgehängt, die Entscheidungseliten ratlos. Am Sonntag steht der entscheidende zweite Wahlgang an.
Jair Bolsonaro wäre um ein Haar bereits im ersten Wahlgang zum Präsidenten von Brasilien gewählt worden, schließlich reichte es nicht ganz, mit 46 Prozent der Stimmen geht er aber als haushoher Favorit in die Stichwahl am Sonntag. Mit Brasilien droht damit ein weiteres Land demnächst von einem Rechtsradikalen regiert zu werden.
Der Aufstieg des Rechtspopulismus in dem südamerikanischen Land hat sicher viele Gründe, allen voran die Korruptionsvorwürfe gegen die linksliberalen Eliten, die das Land Jahre lang regierten, ein weiterer Grund dürfte die Frustration der brasilianischen Bevölkerung über die teils dramatische ökonomische Situation in der größten Volkswirtschaft Südamerikas sein.
Denn die Mehrheit der Brasilianer lebt in dürftigen Verhältnissen und trotz niedrigem Lohnniveau hat es das Land nicht geschafft, eine nachholende Modernisierung der Ökonomie einzuleiten. Aktuell beträgt das durchschnittliche monatliche Einkommen in Brasilien rund 512 Euro und das bei einem Preisniveau, das bei rund 70 Prozent des deutschen liegt. Hinzu kommt das wohl größte Problem, die enorm hohe Arbeitslosigkeit. Rund 13 Millionen Brasilianer sind offiziell arbeitslos, was einer Arbeitslosenquote von rund 11 Prozent entspricht, ein Blick auf die Beschäftigungsquote zeigt aber das ganze Ausmaß der Misere: Laut dem brasilianischen Statistikamt lag diese zuletzt bei rund 54 Prozent, fast die Hälfte der brasilianischen Erwerbsfähigen geht demnach keiner bezahlten Beschäftigung nach.
Hinzu kommt, dass der brasilianische Staat hoch verschuldet ist, laut der US-Investmentbank JP Morgan hat Brasilien mit einem Minus von 7,6 Prozent des BIP derzeit „das größte Budgetdefizit weltweit“.
Das Miniwachstum der Wirtschaft nach Jahren der Rezession von einem Prozent 2017 reicht hinten und vorne nicht, um die Probleme des Landes zu beheben und der Spielraum der Politik ist begrenzt. Die Wirtschaft ist im Vergleich mit 2011 um rund 20 Prozent geschrumpft, das Rentensystem ist stark defizitär und ungerecht, es kommt in erster Linie den Gutverdienern zu Gute, etwa einkommensstarken Staatsbediensteten.
Brasilien hat wie viele andere Schwellenländer auch den Anschluss an die Wachstumsindustrien in den kapitalistischen Zentren verloren. Die brasilianische Industrie ist abhängig von ausländischem Kapital, vergleichsweise unproduktiv und bei steigendem Zinsniveau in den USA ist das Land ein weiterer Krisenkandidat.
Dass sich angesichts der dramatischen Lage sowohl große Teile der brasilianischen Wirtschaft, als auch viele lohnabhängige Brasilianer hinter den Rechtspopulisten Bolsonaro stellen, dürfte in erster Linie schierer Verweiflung geschuldet sein. An dessen Wirtschaftsprogramm kann es kaum liegen. Bolsonaro interessiert sich nicht sonderlich für ökonomische Fragen, verweist gerne auf seinen Wirtschaftsberater Paulo Guedes, einen Multimillionär und ehemaligen Universitätsdozent mit einer überkommenen neoliberalen Strategie, die auf Privatisierungen der letzten und teilweise profitablen Staatsunternehmen sowie des Rentensystems zielt und damit die Belastungen für die verarmte Bevölkerung noch erhöhen würde.
Eine Perspektive für einen Weg aus dem für Brasilien nicht zu gewinnenden kapitalistischen Wettbewerb bieten die Rechtspopulisten nicht und so dürfte der kurzfristige Hype an den Börsen, der kurz nach Bolsonaros Wahlerfolg im ersten Wahlgang einen Anstieg des brasilianischen Aktienleitindex Bovespa von über 5 Prozent auslöste, bald Ernüchterung weichen.
Nicolai Hagedorn
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