Am 13. Oktober 2018 haben in Berlin 242.000 Menschen unter dem Motto „#unteilbar. Für eine offene und freie Gesellschaft – Solidarität statt Ausgrenzung!“ demonstriert. Das breite Spektrum der Teilnehmer*innen reichte von Anarchist*innen bis zur Gewerkschaft der Polizei und christlichen Nichtregierungsorganisationen.
Graswurzelrevolution (GWR): #unteilbar war eine der größten antirassistischen Demonstrationen seit langem. Gerechnet hattet Ihr mit 40.000 Demonstrant*innen. Wie erklärst Du dir, dass so viele Menschen gekommen sind?
Theresa Hartmann: Ich glaube, wir haben schon vor #unteilbar gesehen, dass viele Menschen in den letzten Monaten aktiv geworden sind und nicht mehr zulassen wollen, dass der politische Status quo zum Normalzustand wird. Das hat man in Hamburg bei We’ll-come-united oder in München bei #ausgehetzt gesehen. #Unteilbar war vielleicht so etwas wie der Höhepunkt des Herbstes der Solidarität.
GWR: Wie fällt Dein persönliches Resümee zur Demo aus? Was war gut? Was hat Dir nicht gefallen?
Theresa Hartmann: Die Demo hat uns total beeindruckt. Als ich schon fast an der Abschlusskundgebung angekommen war, habe ich Freunden von mir geschrieben: „Und wo seid ihr?“ und als Antwort kam zurück: „Wir stehen immer noch auf dem Alex und warten bis unser Wagen losfahren kann“. Das war ein gutes Gefühl. Aber nicht nur die Masse, sondern auch die Unterschiedlichkeit der Teilnehmenden hat mich beeindruckt.
GWR: Wie bist Du dazu gekommen, Dich so in die Demo-Organisation hineinzuschmeißen? Was hat dich motiviert?
Theresa Hartmann: Am meisten hat uns alle motiviert, dass es bei dieser Demonstration um so Vieles ging: wir wollten letztendlich nicht nur gegen Rassismus und Ausgrenzung protestieren, sondern auch gegen die politischen Zuspitzungen, gegen den Sozialabbau und dafür, dass soziale Fragen nicht mehr auf dem Rücken von Migrant*innen ausgetragen werden.
GWR: Im Vorfeld distanzierten sich CDU, FDP und andere, weil die Demo von einem „Linsextremisten“, einem Anwalt, der Mitglied der Roten Hilfe ist, angemeldet wurde. Sahra Wagenknecht vom rechten Rand der Linkspartei hat sich von #unteilbar distanziert, was ihr ein Lob von AfD-Chef Gauland einbrachte. Die „Aufstehen“-Politikerin kritisierte am #unteilbar-Aufruf eine Tendenz, wo die Forderung „offene Grenzen für alle“ als „die bestimmende Position dargestellt“ werde. Es sei ein „bestimmtes Milieu, was dort demonstriert und es ist ein anderes, was man dort nicht finden wird“. Die Forderungen nach offenen Grenzen für alle seien „völlig weltfremd“, so Wagenknecht. Was sagst Du dazu?
Theresa Hartmann: Also zuerst: Wir sprechen in unserem Aufruf davon, dass Solidarität keine Grenzen kennt. Von offenen Grenzen steht da nichts, obwohl es bestimmt Bündnispartner gibt, die diese Forderung unterstützen würden. Ansonsten würde ich sagen, dass man schon von mehr als einem „bestimmten Milieu“ sprechen kann, wenn fast eine Viertelmillionen Menschen für Solidarität demonstrieren. Das war ja unser Anliegen: zu zeigen, dass ein großer gesellschaftlicher Teil immer noch zu dem Lager gehört, das gegen Ausgrenzung und für Solidarität steht.
GWR: Unter dem Titel „Toleranzfestival mit den Muslimbrüdern“ kritisierte Marcus Latton in der Jungle World vom 11. Oktober, dass zu den Erstunterzeichnern des #unteilbar-Aufrufs auch der Zentralrat der Muslime zählt. Latton: „Zu dessen Mitgliedern gehören unter anderem die Islamische Gemeinde Deutschlands (IGD), der deutsche Ableger der Muslimbruderschaft, und das Islamische Zentrum Hamburg (IZH), das zum Netzwerk der iranischen Mullah-Diktatur gerechnet wird. Auch dem Berliner Verein Inssan wird eine Nähe zu den Muslimbrüdern nachgesagt. Dass Antisemitismus und Homophobie zur Ideologie der Muslimbrüder gehören, stört die Organisatoren von #unteilbar offenbar nicht. (…) eine Bewegung, die den Rechtsextremismus mit islamischem Antlitz nicht nur ignoriert, sondern mit ihm kollaboriert, hat den Antifaschismus hinter sich gelassen.“ Was sagst du zu dieser Kritik?
Zuerst einmal sind wir ja ein Demo-Bündnis, dessen Aufruf der ZDM unterzeichnet hat. In unserem Aufruf steht, dass wir gegen Antisemitismus kämpfen und daran halten wir fest. Wir sind aber kein Dachverband für jede Organisation, die Mitglied eines Bündnisses ist, das uns unterstützt. Trotzdem nehmen wir die Kritik ernst und setzen uns damit auseinander.
Wir finden es aber auch schwierig, wenn es als allererstes Kritik gegen die größte muslimische Initiative im Bündnis hagelt, die eigentlich in vielen anderen Zusammenhängen ein anerkannter Dialogpartner ist.
GWR: In BILD, Spiegel Online und Welt ereifern sich Autoren gerade, dass auf der #unteilbar-Demo Deutschlandfahnen nicht toleriert wurden. „Palästinensische und türkische Fahnen seien indes erlaubt gewesen“, mokiert sich Die Welt am 17. Oktober unter dem Titel „Wut auf der Wohlfühl-Demo“. Was haben nationalistische Fahnen überhaupt auf einer Demo zu suchen, die sich nach eigenen Worten gegen die nationalistische Stimmung der Entsolidarisierung und Ausgrenzung stellen will?
Theresa Hartmann: Wir haben von Anfang an gesagt, dass unser Symbol nicht die Deutschlandflagge und auch keine andere Nationalfahne ist. Eben weil wir nicht für Nationalstolz oder Deutschland als Nation demonstrieren wollten.
Uns ging es um Solidarität, die keine nationalen Grenzen kennt. Wir wollen aber nicht jeden, der auf unsere Demo geht, im Vorhinein kontrollieren. Trotzdem bleiben unsere Fahnen die Regenbogenfahne, die Gewerkschaftsfahnen oder die „Refugees Welcome“-Fahne.
GWR: Stichwort Instrumentalisierung: Der SPD-Politiker Heiko Maas hat die Demo im Vorfeld als „großartiges Signal“ bezeichnet, dabei trägt er als ehemaliger Justiz- und heutiger Außenminister eine Mitverantwortung für Waffenexporte in Kriegsgebiete, die Verschärfung von Gesetzen und den Rechtsruck. Wie wehrt Ihr euch gegen solche Vereinnahmungsversuche?
Theresa Hartmann: Ob sich nun Spitzenpolitiker*innen von der Demo distanzieren, sie vereinnahmen oder sie als „großartiges Signal“ bezeichnen: Darum ging es uns schlichtweg nicht. Wir haben an die Zivilgesellschaft appelliert, denn es wird sich nur etwas ändern, wenn viele Menschen sagen: jetzt ist Schluss mit Abschottung, Gesetzesverschärfungen und Waffenexporten.
GWR: Wurde im Vorfeld der Demo von den Organisator*innen genug über das Problem der möglichen Instrumentalisierung durch islamistische oder nationalistische Gruppen wie die Grauen Wölfe gesprochen? Am Rande der Demo wurde eine antisemitische Rede gehalten. Warum konnte das nicht verhindert werden?
Theresa Hartmann: Erstmal vorweg: Wir stellen klar, dass diese Redebeiträge nicht auf einem der offiziellen Lautsprecherwagen oder Bühnen des #Unteilbar-Bündnisses gehalten wurden. Aber für das, was auf unserer Demo passiert, haben wir die Verantwortung.
Dieser Beitrag verlässt eindeutig den gemeinsamen Boden unseres Konsenses und wir distanzieren uns in aller Deutlichkeit davon. Wir wollten keinen Antisemitismus auf unserer Demonstration.
GWR: Eigentlich sollte im Oktober in Berlin auch eine Großdemo gegen die neuen „Polizeiaufgabengesetze“ (PAG) stattfinden. Die wurde dann mit der #unteilbar-Demo zusammengelegt. Das Thema NoPAG hat es bisher trotzdem kaum in die Medien geschafft. Dabei sind diese Pläne ein drastischer Angriff auf die Grundrechte. Künftig soll schon eine vermeintlich „drohende Gefahr“ ausreichen, um Überwachung, DNA-Tests und Online-Durchsuchungen einzuleiten. Wie beurteilst Du die geplanten Polizeiaufgabengesetze?
Theresa Hartmann: Die in vielen Bundesländern geplanten Polizeiaufgabengesetze sind ein Angriff auf die Grundrechte und ein weiterer Schritt hin zu einem immer autoritärer werdenden Überwachungsstaat. Auch weil wir als Aktivist*innen als eine der ersten von diesen Verschärfungen betroffen sein werden, war NoPAG ein wichtiges Thema unserer Demonstration.
GWR: Wie können wir die NoPAG-Kampagne stärker in die Öffentlichkeit bringen? Wie lassen sich die orwellschen PAG-Pläne durchkreuzen?
Theresa Hartmann: Ich denke, dass Kampagnen und Bündnisse wie das „NoPAG Bündnis“ total wichtig sind, gerade auch um Leute darüber aufzuklären, wie und warum die neuen PAGs ein Eingriff in ihre Menschenrechte sind.
GWR: Was plant Ihr als nächstes?
Theresa Hartmann: Wir planen, nochmal zu einem offenen „Wie weiter“-Treffen einzuladen. Zuerst einmal hoffen wir aber, dass viele Menschen nach der Demonstration gestärkt und
hoffnungsvoll nach Hause gefahren sind und sie diese Dynamik mitnehmen, in ihre Städte, in ihren Alltag und in Eigeninitiative anfangen, sich zu wehren und zu protestieren.
GWR: Wie sieht Deine eigene Utopie aus?
Theresa Hartmann: Naja, so wie die, denke ich, bei uns allen aussieht: eine von Diskriminierung, Rassismus, Sexismus und all den anderen Schweinereien befreite Gesellschaft!
GWR: Was ist zu tun, um die Utopie einer solidarischen Gesellschaft Wirklichkeit werden zu lassen?
Ich glaube bis dahin ist es noch ein langer Weg. Aber Aktionen wie #unteilbar zeigen immer wieder, dass wir nicht alleine sind mit unserem Wunsch nach Veränderung. Deswegen müssen wir auch noch mehr werden und weiter machen.
GWR: Ein Schlusswort? Was möchtest Du den Graswurzelrevolution-Leser*innen noch mit auf den Weg geben?
Theresa Hartmann: #unteilbar war am Anfang auch nur eine gute Idee und ein paar gute Leute mit sehr viel Energie und Kraft, die diese Idee umsetzen wollten. Und Themen, für oder gegen die man protestieren sollte, gibt es wirklich genug. Deswegen: selber machen!
Weitere Artikel zum Thema in der monatlich erscheinenden Druckausgabe der GWR. Schnupperabos gibt es hier.