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„Frauen spielten eine große Rolle“

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taz: Herr Marin, bekommt der gewaltfreie Protest in Syrien zu wenig Aufmerksamkeit?

Lou Marin: Ja, dieses Bild zu korrigieren ist der Zweck des Buches, das ich mitherausgegeben habe. Die Medien berichten nur über den Frontverlauf des Bürgerkriegs und militante Milizen. Dabei waren die Proteste in Syrien 2011 die größte gewaltfreie Massenbewegung der Welt.

Welche Rolle spielten Frauen bei den Protesten?

Sie spielten eine große Rolle und waren 2011 in den ersten Reihen der Demonstrationen zu sehen. Vor allem im Süden Syriens übernahmen sie viel Organisationsarbeit und gründeten Frauenprojekte. Auch die in der arabischen Welt berühmte Schauspielerin Fadwa Suleiman leistete mit den Mitteln der Kunst Widerstand gegen das Assad-Regime.

Welche Erfolge hatte der gewaltfreie Widerstand?

Die seit 48 Jahren geltenden Notstandsgesetze wurden aufgehoben. Die Massenbewegung wollte jedoch den Rücktritt des Präsidenten Assad und gab sich damit nicht zufrieden.

Sind die gewaltfreien Proteste heute kleiner oder medial weniger beleuchtet?

Sie sind heute weniger stark. Zu Beginn gab es landesweite Generalstreiks, unter denen die Verwaltungsstrukturen des Landes zusammenbrachen. Im ersten Jahr war das noch möglich. Sogar parallel zu den militärischen Aktionen der Freien Syrischen Armee konnten gewaltfreie Proteste stattfinden.

Warum handelt der zweite Teil des Buchs über den Widerstand im Sudan in den frühen 80er-Jahren?

Weil wir ein Beispiel für erfolgreichen unbewaffneten Kampf zeigen wollten. Im Gegensatz zu Syrien, wo auch der bewaffnete Kampf gescheitert ist, gelang es dem Theologen Mahmud Taha 1983 zu friedlichen Massenprotesten zu mobilisieren. Letztlich wurde die islamistische Militärherrschaft gestürzt.

Gibt es aktuell erfolgreiche Beispiele für friedlichen Widerstand in Ländern der südlichen Hemisphäre?

Ja, beispielsweise in Armenien. Präsident Sersch Sargsjan ließ sich 2018 nach zwei Amtszeiten als Staatspräsident zum Premierminister wählen, dessen Befugnisse durch Verfassungsänderung gestärkt wurden. Daraufhin kam es zu Massenprotesten, Sargsjan trat sechs Tage später zurück. Selbst in dieser autoritären Region, neben Russland und der Türkei, ist so etwas möglich. Das macht optimistisch, trotz steigender Brutalität in der Welt.

Interview: Philipp Effenberger

Erschienen in: taz nord, 22. Oktober 2018