antimilitarismus

Ein europäischer Kongreß zu Osnabrück anno 1998

350 Jahre nach dem 'Westfälischen Frieden' nun ein 'Friedenskongreß' / Führt die Friedensbewegung jetzt endlich die notwendigen Diskussionen?

| Rudi Friedrich

Aus Anlaß von 350 Jahren westfälischer Friede schüttete die Stadt Osnabrück auch über die lokalen Friedensgruppen einen Geldregen aus, mit dem seit zwei Jahren ein europäischer Friedenskongreß vorbereitet wird. Um Probleme und Chancen des Kongresses geht es in folgendem Beitrag. (Red.)

Die deutsche Friedensbewegung war noch nie das, was sie hätte sein sollen und müssen. Als soziale Bewegung ist sie vor Jahren dahingeschieden. Quasi stellvertretend für sie agieren noch einige hundert Friedensbewegte, die sich hin und wieder gerne sehen und plaudern, wie im vergangenen Dezember in Kassel. Immerhin 280 AktivistInnen fanden den Weg und bestätigten sich, daß es sie noch gibt.

Ihre Mobilisierungsfähigkeit ging bereits in den 80er Jahren, nach ihrem offensichtlichen Scheitern mit der Stationierung der Mittelstreckenraketen, stark zurück. Mit der Entspannung des sogenannten Ost-West-Konfliktes ab Mitte des Jahrzehnts, die schließlich im Kollaps der osteuropäischen autoritär-sozialistischen Staaten mündete, ging es mit ihr weiter bergab. Völlig umhauen sollte sie allerdings der II. Golf-Krieg und vor allem die Kriege im ehemaligen Jugoslawien. Hier rächte sich ihr alter Minimalkonsens, der antimilitaristische, staatskritische Analysen ausgrenzte. Atompazifistisch wie sie war, wußte sie nicht, wie auf konkrete Kriege zu reagieren sei, die auch in der Nähe Deutschlands tobten.

Während man noch im Rahmen des Kalten Krieges an die Vernunft und den guten Willen der Staatsmänner appellieren und sich kraft seiner eigenen Friedfertigkeit als handlungsfähig erleben konnte, produzierten nun solche Haltungen lediglich Gefühle der Hilflosigkeit und Wut. Es fiel der Medienöffentlichkeit leicht, diejenigen, die ‚Frieden schaffen ohne Waffen‘ als die bessere Außenpolitik präsentierten, als verantwortungslos und egoistisch vorzuführen. Ihnen wurde Duldsamkeit gegenüber den Gewalttaten der Kriegsherren vorgeworfen, dem nur durch rasches Eingreifen ein Ende gesetzt werden könnte. Und solcher Logik entsprechen lediglich Militärinterventionen. Die Intervention wurde gefordert und Teile der Friedensbewegung griffen diese Diskussion auf, um auf deren Basis Alternativen wie z.B. den ‚Zivilen Friedensdienst‘ zu entwickeln. Das entscheidende Problem war jedoch, daß damit die Logik der Intervention selbst nicht mehr in Frage gestellt wurde. Es wurde verkannt, daß der Einsatz von Militär adäquates Mittel staatlicher Machtpolitik und keine Verirrung ist. Die Attraktivität des ‚Zivilen Friedensdienstes‘ dokumentiert die emotionale Betroffenheit Friedensbewegter angesichts der konkreten Kriege, klärt in seinem Ansatz aber nicht über die herrschende Machtpolitik auf.

Wer ist „Die Friedensbewegung“?

Eine gemeinsame Idee einer möglichen Friedensbewegung gibt es nicht. Ein Kristallisationspunkt an dem sich die existierenden Initiativen zusammenfinden könnte, ist nicht in Sicht. So werkeln sie nebeneinander her. Ein Treffen wie in Kassel, das einen Austausch zwischen den Initiativen ermöglichen sollte, scheiterte deshalb im Ansatz. Denn die mehr oder weniger gelungene Präsentation der Arbeitsbereiche trat an die Stelle einer Diskussion über gemeinsame Ziele (1).

Gründe für eine gemeinsame Auseinandersetzung gibt es also mehr als genug – nicht nur in Deutschland. Und deshalb ist es grundsätzlich positiv zu bewerten, daß vom 29.-31. Mai in Osnabrück ein „Europäischer Friedens- und Kriegsdienstverweigerer – Kongreß“ stattfinden wird. Begrüßenswert ist obendrein, daß er nicht als deutsche Nabelschau-Veranstaltung angelegt ist. Zumindest europaweit wurden Kontakte zu friedenspolitischen Initiativen hergestellt und diese eingeladen.

Der 350. Jahrestag des Westfälischen Friedens – er wurde zu Osnabrück und Münster verkündet und beendete offiziell den sogenannten Dreißigjährigen Krieg – bildet allemal nicht den schlechtesten Anlaß, über die Krise pazifistischer und antimilitaristischer Politik zu reflektieren. Zumal er der Osnabrücker Friedensinitiative die Chance bot, von der Stadt Osnabrück erhebliche finanzielle Mittel zu erhalten, und damit einen anderen Akzent als die von den Städten Osnabrück und Münster anläßlich des Jahrestages ausgerichteten Feierlichkeiten zu setzen. Und keine Frage, „Highlights in der Friedensregion“, wie das von der Stadt Osnabrück angekündigte Historische Reiterlager, das Errichten von Friedensgärten und ein barockes Fest mit Feuerwerk, zeigen an, daß Gegenakzente not tun. Ob der Kongreß allerdings tatsächlich andere Akzente setzt, muß derzeit bezweifelt werden. Nicht nur, daß es im Rahmen der zweijährigen Vorbereitungen des Kongresses versäumt wurde, sich kritisch mit dem Westfälischen Frieden auseinanderzusetzen und er auf dem Kongreß kein Thema ist, insgesamt läuft der gesamte Kongreß Gefahr, allzu gut zur Imagepflege der Stadt Osnabrück zu passen. Voraussichtlich wird er kein provokantes politisches Ereignis sein. Er droht vielmehr, sich harmonisch in einen „Frieden“ einzureihen, der ein Projekt des Stadtmarketings ist. Solche Projekte werden von Regionen und Städten als Standortfaktoren erachtet, um Mythen und Fiktionen einer attraktiven Urbanität herzustellen. Sie werden als Spektakel geplant, die mit einem bunten Reigen kultureller Ereignissen, Ausstellungen, Konzerte, und nun noch mit einem Peace Congress dekoriert werden.

Mit dieser Rolle steht der Kongreß übrigens nicht allein. Auch verschiedene Veranstaltungen des Frauenbündnis Osnabrück werden wie selbstverständlich von dem für die Vermarktung des Jahrestages extra gegründeten Büro mit angekündigt. Alles steht unter dem Begriff „Frieden“ nebeneinander. Bislang ist nicht zu entdecken, daß darüber eine Auseinandersetzung z.B. über die Funktion von Militär in Gang kommt, sie wird in Osnabrück selbst kaum gesucht. Viel zu sehr droht damit auch die finanzielle Basis in Frage gestellt zu werden.

Unklare Zielsetzung

Von Anfang an gab es bei den InitiatorInnen des Kongresses sehr unterschiedliche Anliegen. Im Vorstand herrscht die Ansicht vor, dem Pazifismus mit Hilfe von Prominenten zum Durchbruch zu verhelfen. So gab es für die wichtigsten Teile des Kongresses Vorschläge für RednerInnen, die nicht so sehr an Inhalten, sondern am Bekanntheitsgrad der Auserwählten orientiert waren. Übersehen wurde jedoch geflissentlich, daß die Beiträge dieser Personen nicht unbedingt den Forderungen entsprechen würden und somit viel eher die Prominenten ins Rampenlicht gerückt werden, als die Anliegen des Kongresses selber. Selbstverständlich werden die Kameras nach den Highlights wieder eingepackt, der Rest ist für den großen Teil der bundesdeutschen Presselandschaft nur Staffage. Die mit dem Kongreß verbundenen Ziele, die europaweite Anerkennung und Schutz für Kriegsdienstverweigerer, Asyl für Kriegsdienstverweigerer oder die Herausstellung positiver Beispiele alternativer Wege zur Friedenssicherung könnten dabei leicht auf der Strecke bleiben.

Ein anderer Ansatzpunkt für den Kongreß war die Überlegung, eine Diskussion zwischen AntimilitaristInnen und PazifistInnen auf europäischer Ebene zu organisieren und gemeinsame Ziele zu formulieren. Diese Absicht nahm einen kuriosen Verlauf. In der Vorbereitungsphase entstanden gleich zwei ausführliche Papiere, die versuchten, aufgrund einer Analyse der Situation in Europa Forderungen zu entwickeln, die über den Kongreß hinausreichen. Die beiden Papiere wiesen unterschiedliche Schwerpunkte auf, eines konzentrierte sich mehr auf das Thema Kriegsdienstverweigerung, das andere suchte eher allgemein nach pazifistischen Handlungsmöglichkeiten, und sie hätten beide reichlich Stoff für Diskussionen geboten. Um die Verwirrung bei den TeilnehmerInnen klein zu halten, gab es schließlich den Beschluß, sie zwar als weitgehend endgültige Papiere anzusehen, gleichwohl aber nur als Diskussionsanregungen für den Kongreß, nicht um diese auf dem Kongreß selbst zu verabschieden. Nun sind immerhin die TeilnehmerInnen dazu aufgerufen, sich selbst auf dem Kongreß zu artikulieren und einzubringen, um auf dieser Grundlage z.B. einige Forderungen zu entwickeln, die tatsächlich für den Kongreß und die TeilnehmerInnen stehen. Und obwohl die Vorzeichen hierzu als schlecht einzuschätzen sind, ist die Diskussion damit praktisch eröffnet.

Eine dritte Idee, die sich mit dem Kongreß verband, war die Absicht, eine große Kontaktbörse zwischen West und Ost zu bieten. Mit diesen Kontakten hapert es, und dies ließ sich auch kaum im Zuge der Vorbereitungen ändern. Denn weder im übrigen Westeuropa noch in Osteuropa sind quirlige Initiativen zahlreich. Es zeigt sich auch, daß es bislang nur wenige Kontakte nach Osteuropa gibt. Das bisherige Programm erweckt auch den Anschein, daß besonders Menschen aus Osteuropa zwar willkommene Gäste, aber nur in Teilbereichen wirklich willkommene RednerInnen sind. Viele Arbeitsgruppen, selbst wenn sie sich z.B. mit der NATO-Osterweiterung beschäftigen, orientieren sich an den in Deutschland vorherrschenden Diskussionsmustern. Die NATO-Gegner aus Ungarn oder Litauen sind im Programm nicht auffindbar. Das ist ein ernsthaftes Manko. Und deshalb wird nur ein Forum, daß unmittelbar die Kriegszustände in diesen Regionen thematisiert, mit mehreren Personen aus Ost- und Südosteuropa besetzt sein.

Also doch eher ein deutscher als ein „Europäischer Friedens- und Kriegsdienstverweigerer-Kongreß“? Ja. Allerdings ist zu bezweifeln, daß viele InitiatorInnen sich tatsächlich einen europäischen Kongreß wünschen. Denn wie müßte ein solcher Kongreß aussehen? Eine inhaltliche Begrenzung des Themas Frieden und Kriegsdienstverweigerung auf die geographischen Breiten Europas dürfte im Ansatz scheitern. Schließlich ist Europa, bei aller Unbestimmtheit seiner Grenzen, keine Insel der Glückseligen. Die einzelnen europäischen Nationalstaaten kämpfen teils mit, teils gegeneinander um wirtschaftliche Einflußzonen, um Machtanteile innerhalb und außerhalb Europas. Sie sind Mitglieder in Organisationen, wie der Europäischen Union, der NATO und WEU, deren Wirken keinesfalls an den Grenzen Europas endet. Dies geht einher mit einer rigiden Politik gegenüber AusländerInnen, der Abschottung der Grenzen nach Osteuropa, der Stigmatisierung von Flüchtlingen als Illegale. Westeuropa schickt sich trotz aller Widersprüche an, den wirtschaftlichen, politischen und militärischen Einfluß in anderen Regionen der Welt geltend zu machen. Diese Frage wurde durch eine vorzeitige Orientierung auf einen „Europäischen Friedens- und Kriegsdienstverweigerer-Kongreß“ fast vollständig ausgeklammert, auch wenn sie sicher in der einen oder anderen Arbeitsgruppe auftauchen wird. Der Untertitel des Kongresses, der von einem ‚friedensstiftenden Europa‘ spricht, deutet auch daraufhin, daß sich so mancher dieses Europa durchaus als eine positive exportfähige Gesellschaft vorstellen kann. Wie soll daraus aber eine Bewegung gegen die europäische Machtpolitik entwickelt werden können?

Geboten werden nun auf dem Kongreß unter anderem inhaltliche Beiträge bekannter Aktiver gegen Krieg und Militär aus Ost und West und ein Galaabend in Form der heute so beliebten Talkshow. Entscheidener ist, daß der Kongreß trotz aller oben formulierten Kritik die avanciertesten Diskussionsforen bietet, die die verbliebenen Reste der Friedensbewegung seit Jahren zustande gebracht hat. Für die inhaltliche Auseinandersetzung ist der Samstag vorgesehen, der in den Foren „Gewissensfreiheit für Kriegsdienstverweigerer: Ein Menschenrecht“, „Sich dem Militarismus widersetzen“ und „Pazifistische Handlungsperspektiven“ stattfindet. Im ersten Forum werden beispielsweise die Folgen der abnehmenden Bedeutung der Wehrpflicht für die Kriegsdienstverweigerung diskutiert. Das zweite Forum ist im wesentlichen mit RednerInnen aus Ost- und Südosteuropa besetzt und thematisiert die westeuropäische Flüchtlingspolitik. Das dritte Forum hat u.a. eine grundsätzliche Kritik an Militär und Staat zum Thema. Etwa 20 Arbeitsgruppen der Foren bieten die Möglichkeit des Austausches, wenn auch eine wirklich tiefgehende Diskussion aufgrund der geringen Zeit kaum möglich sein wird.

Es ist ein Sammelsurium an Angeboten, das es zu nutzen gilt. Letztlich hängt es auch nicht nur von den VeranstalterInnen ab, welche Wirkungen vom Kongreß ausgehen. Raum für die TeilnehmerInnen, eindeutiger als dies geplant ist, in der Öffentlichkeit gegen Militär und Militärpolitik Stellung zu beziehen, besteht. In diesem Sinne: Kommt und bringt Euch ein.

(1) Vgl.: Volker Böge: Ende der Durststrecke?; Friedensforum 1/98

Kontakt

Europäischer Friedens- und Kriegsdienstverweigerer-Kongreß
Postfach 4124
49031 Osnabrück
Tel.: 0541/260650
Fax: 0541/260680