Nachdem der erste Castor im April 1995 nur mit dem größten Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik durchgesetzt werden konnte, ist die Atomindustrie sehr vorsichtig geworden, was weitere Gorleben-Transporte angeht. Statt 40 bis 50 Transporte pro Jahr, wie ursprünglich geplant, sollen vorerst nur ca. zwei Atommüll-Fuhren jährlich stattfinden. Solange der Widerstand im Wendland und an den Bahnstrecken durch die Republik langen Atem beweist und nicht nachläßt, ist Gorleben für die Entsorgungs-Pläne der AtomikerInnen wenig nützlich.
Ganz im Gegenteil: So haben jetzt scheinbar auch die Betreiber des AKW Gundremmingen gemerkt, daß sie sich mit dem Versuch, einen Castor nach Gorleben zu schicken, eine neuerliche Diskussion um das ungelöste Atommüll-Problem einhandeln. Statt des für den 11. März geplanten Belade-Beginns wird nun auf Zeit gespielt. Erst wurde um eine Woche verschoben, dann erklärte die Geschäftsführung, lieber bis nach den Landtagswahlen am 24. März warten zu wollen und schließlich wollen sie nur noch dann die Brennelemente in den Castor packen, wenn sowohl die beteiligten Stromkonzerne als auch die involvierten staatlichen Stellen zusichern, daß sie die dann folgende Auseinandersetzung bis zum Schluß mit durchziehen.
Die Cogema, Betreiberin von La Hague, ängstigt sich derweil um das französische Image im Ausland. Nachdem der Streit um die Atomtests jetzt halbwegs überstanden scheint, will mensch sich nicht gleich die nächste internationale Atom-Debatte einhandeln. Wichtig ist für die WAA-Chefs, daß sie weiter lukrative Aufträge der deutschen Atomindustrie erhalten. Würden diese wegen der Diskussion über die Wiederaufarbeitung, ausgelöst von den umstrittenen Transporten, Abstand von ihren Auslandsgeschäften nehmen, wäre der Cogema nicht gedient. Bisher ist geplant, mit der Beladung in La Hague nach Ostern zu beginnen.
Der niedersächsische Innenminister schickte derweil einen Brief an Bundesreaktorministerin Merkel, in dem er beschreibt, daß weitere Castor-Transporte die innere Sicherheit Niedersachsens gefährden. Um die zum Castor-Schutz nötigen Überstunden abfeiern zu können, müssen hinterher ganze Polizeiwachen zeitweise geschlossen werden. Und da das Land faktisch pleite ist, kann es sich weitere Großeinsätze wie 1995 kaum leisten.
Ach ja, Atomindustrie und Staat haben es nicht einfach mit dem Widerstand der Anti-AKW-Bewegung. Wenn es gelingt, in den nächsten Wochen nicht nur den Blick auf die Opfer von Tschernobyl zu richten, sondern auch aktiv Anti-Atom-Politik zu betreiben, dann kann dies zum Sargnagel für die Atomindustrie werden. Die Chancen dazu sind da, die politischen GegnerInnen schwanken. Jetzt liegt es an den AtomkraftgegnerInnen selbst. Notwendig dazu ist eine gute Beteiligung an den sechs dezentralen Demonstrationen am 27./28. April und am Widerstandscamp in Ahaus vom 26. bis 28. April. Notwendig ist aber auch, die Tschernobyl-Demos zu nutzen, um für die kurz danach anstehenden Aktivitäten in Gundremmingen, entlang der Transportstrecken aus Bayern und/oder Frankreich und im Wendland zu werben (siehe GWR 206). Von alleine verhindert sich kein Castor und wird kein AKW stillgelegt.
Gelingt es aber, daß, wenn der nächste Castor-Transport Richtung Gorleben rollt, noch mehr Menschen Widerstand leisten, als beim ersten Tag X 1995, dann ist der Zeitpunkt absehbar, an dem die Atomindustrie die Castor-Halle in Gorleben aufgibt. Das wäre ein Etappensieg, der Mut macht zu neuen Taten an den anderen „Entsorgungs“-Standorten Ahaus, Greifswald, Morsleben und Salzgitter und an den Transportstrecken nach La Hague und Sellafield.
Da die nächste "reguläre" GWR erst wieder Anfang Juni erscheint, bitten wir unsere LeserInnen, sich über aktuelle Entwicklungen und Aktionstermine rund um den Castor möglichst bald direkt bei der BI Lüchow- Dannenberg (Drawehner Straße 3, 29439 Lüchow, Tel.: 05841/4684) zu informieren.