Noch starren große Teile der alten 91er Anti-Golfkriegs-Bewegung wie das Kaninchen auf die Schlange oder hoffen apathisch, daß dieser Krieg an ihr vorübergehen möge. Welche Konsequenzen können tretz der in vielem unterschiedlichen Situation heute aus der Anti-Kriegsbewegung von 1990/91 gezogen werden? Wie könnte eine Orientierung für eine neue Anti-Golfkriegs-Bewegung aussehen?
Just an dem Tag (19.2.98), als UN-Generalsekretär Annan zum letzten Vermittlungsversuch nach Bagdad aufbrach, wurde über dpa/AP an alle bürgerlichen Medien gemeldet, nach Darstellung des britischen Labour-Premiers Blair habe der Irak „genug chemische und biologische Massenvernichtungswaffen angehäuft, um die Weltbevölkerung drei Mal auslöschen zu können.“ Dabei meldeten die UN-Inspekteure noch vor wenigen Monaten, das irakische Potential an Massenvernichtungswaffen sei zerstört und die Möglichkeit der Verschleierung gering (Le Monde diplomatique, 12.12.97). Wem ist da zu glauben, zudem bei einer Materie, die gemeinhin höchster militärischer Geheimhaltung unterliegt? Am selben Tag legte der Bundesnachrichtendienst noch einen drauf. Der Presseagentur dpa meldete er, der Irak verfüge nach Erkenntnissen des BND über B- und C-Waffen, „die im Tonnenbereich angesiedelt werden müssen.“ Wozu dienen diese Pressemeldungen, wenn nicht dazu, die Annan-Reise von vorneherein öffentlich zu desavouieren?
Déjà vu! Viele Voraussetzungen dieses neuerlich drohenden Golfkrieges sind anders als 1991, aber die Kriegspropaganda ähnelt sich auf frappierende Weise: wieder werden sogenannte „chirurgische Schnitte“ propagiert, die die Waffenkammern treffen sollen, ohne angeblich Menschen zu töten. Von neuen „lasergelenkten Präzisionsbomben“ wird gesprochen, die minimal zeitversetzt explodieren und so unterirdische Bunker zerstören könnten. Mittels eines neuen Magnesiumsprengkopfes sollen dabei B- und C-Kampfstoffe leicht vernichtet werden. So „leicht“, wie die „chirurgischen Schnitte“ schon 1991 ihr Ziel trafen: am 13.2.1991 zum Beispiel, als der Bunker Amariyah getroffen wurde, in dem sich an diesem islamischen Feiertag über tausend Menschen zum Beten versammelt hatten. So „leicht“, wie durch freigesetzte Kampfstoffe aus Depots, die 1991 etwa 60 000 US-GIs verseuchten (taz, 9.2.98).
Die erste Lehre in Zeiten der Kriegspropaganda ist es, nicht alles zu glauben, was die Medien eines Landes und insbesondere die Militärs und Regierungen veröffentlichen. Erst wenn kritisch hinterfragt wird, kann die Ohnmacht des Zuschauens überwunden werden. Die Hinterfragung der „military censured“ Nachrichten wäre dann der erste Schritt zur Befreiung, zur Abkehr von der CNN-gesteuerten Herstellung des gesellschaftlichen Konsenses für den Krieg – hier in der BRD zuweilen sicherlich etwas weniger einheitlich als in den USA inszeniert, doch mit gleicher Tendenz.
Das Hinterfragen der offiziellen Propaganda ist die Voraussetzung für Protest und Widerstand. Auf den ersten Demonstrationen der 91er Antigolfkriegsbewegung wurde uns unsere minoritäre Alternativzeitung förmlich aus der Hand gerissen, weil plötzlich Angaben aus Kreisen der Antikriegsbewegung, die etwa selbst in den Irak gefahren waren oder nichtoffizielle Nachrichtennetze nutzten, mehr geglaubt wurde als den offiziellen bürgerlichen Blättern und Medien. So entstand eine Antigolfkriegsbewegung ungeahnten Ausmaßes mit einer starken Tendenz zu direkter Aktion, ob es Blockaden militärischer Einrichtungen, Besetzungen von Ämtern, oder auch überregionale direkte Aktionen wie die Blockade der Frankfurter US-Air-Base oder der Verschiffung in Bremerhaven.
So schnell wie sie entstand, so schnell war die Antigolfkriegsbewegung damals auch wieder beendet. Bald stellte sich heraus, daß der Krieg auf einen regionalen Konflikt beschränkt bleiben würde. Die anfangs berechtigte Angst vor der Eskalation in einen Weltkrieg wich der Unmöglichkeit, für mehr als zwei Wochen komplett aus dem Alltag aussteigen zu können. Bürgerlicher und linksautoritärer Gegenpropaganda, sie sei antiamerikanisch und antiisraelisch zugleich, war die Bewegung zudem schutzlos ausgeliefert, weil sie gerade mit diesen Vorwürfen überhaupt nicht gerechnet hatte. Einzelne Ausfälle grüner PolitikerInnen auf Israelreisen wurden der ganzen Bewegung angelastet, die Frage der Waffenhilfe für Israel durch Patriot- Abwehrraketen wurde völlig losgelöst von deren Wirksamkeit (siehe Artikel zu Israel/Palästina) diskutiert und diente gleichzeitig der Bundesregierung dazu, im Geschäft zu bleiben, nachdem gerade die Rüstungsexporte in den Irak aufgedeckt worden waren und eine große Legitimationskrise für Rüstungsexporte entstand.
Als das von GraswurzelrevolutionärInnen und gewaltfreien Aktionsgruppen gegründete unabhängige Aktionsbündnis „Kein Krieg am Golf“ nach Ende der US-Truppenverlegung auf Aktionen gegen einen potentiellen Bundeswehreinsatz orientierte und in Massenzeitungen dafür warb, wurden unsere Räume durchsucht und Druckvorlagen beschlagnahmt. Immerhin trugen die Aktionen gegen die Bundeswehrverlegung in die Türkei (z.B. Bremervörde 7.2.91, ebenso in Oldenburg) ein wenig dazu bei, solche Kampfeinsätze noch umstritten zu halten und ihre vollständige Legitimation noch um ein paar Jahre zu verschieben, auch wenn später ans Licht kommen sollte, daß 150 Bundeswehrsoldaten bei AWACS-Aufklärungsflügen an Feuerleitplanungen für den Krieg beteiligt waren.
Der Gang der Dynamik der neuen Golfkrise ist nicht vorauszusehen. Die Erfahrung eines regional begrenzten Krieges und die drastische Anfeindung der 91er Bewegung von allen Seiten könnte heute dazu führen, daß diesmal keine auch nur annähernd vergleichbare Bewegung entsteht. Sollte sie spontan doch wiedererstehen, dürfte die Antigolfkriegsbewegung sich nicht auf die ebenfalls notwendigen Aktionen gegen Strukturen der US-Armee beschränken, sondern müßte an die damaligen Aktionsperspektiven gegen die Bundeswehr anknüpfen. Direkte Aktionen gegen eine Bundeswehr, die jederzeit in einen Krieg miteinbezogen werden kann, wären nicht nur konkrete Ansatzpunkte des Eingreifens, weil US-Truppenverlegungen und Materialtransporte in viel geringerem Umfang stattfinden und die von Kohl angebotene Nutzung der Militärbasen in weit geringerem Maße benötigt wird als noch 1991, sondern der deutlichste Beweis dafür, daß die Antikriegsbewegung nicht antiamerikanisch ist. Das sollte dann auch denjenigen auffallen, die bisher nicht wußten, daß radikal-antimilitaristische Kritik an den USA immer Regierungskritik war und nie das US-amerikanische Volk als einheitliche Masse behandelte. Im Gegenteil: nicht nur direkte gewaltfreie Aktionen konnten von Thoreau, King und anderen erlernt und übertragen werden, sondern da war beim letzten Golfkrieg auch das Bewußtsein vom Vorhandensein einer US-amerikanischen Antikriegsbewegung, mit der man/frau sich solidarisch fühlte.
Sollte tatsächlich eine neue Antigolfkriegsbewegung entstehen, könnten nach anfänglichen örtlichen Aktivitäten und neben den Aktivitäten gegen US-Einrichtungen, wie z.B. die Frankfurter Airbase und die Kommandozentrale EUCOM (European Command) in Stuttgart (vgl. GWR 214), überregionale militärische Einrichtungen der Bundeswehr zum Focus von direkten Aktionen werden:
das „Kommando Spezialkräfte“ (KSK) der Bundeswehr in Calw, die neue Eliteeingreiftruppe; und die Standorte der Krisenreaktionskräfte (KRK) der Bundeswehr, wie z.B. die Luftlandebrigade 31 in Oldenburg. (Eine Liste der Standorte findet sich auf unserer Internet-Seite.)
Thematisiert werden könnte bei direkten Aktionen gegen die Bundeswehr die ebenso absurde wie gefährliche Melange von Männlichkeitskult, Rechtsextremismus und offiziellem Auftrag, international „Frieden“ herstellen zu sollen.
Meldet euch bei den Kontaktadressen (siehe rechte Spalte), wenn es denn soweit sein sollte und eine Antikriegsbewegung tatsächlich überregional nach Konfrontationspunkten sucht.