Laura Jane Grace ist vieles, Transperson, Frontfrau der US-Punkband Against Me!, Anarchistin und jetzt auch Solokünstlerin. Mit Atom Willard, von Weezer einstmals zum „Drum-God“ erklärt und mit reichlich Erfahrung bei Bands wie Social Distortion, The Offspring oder Danko Jones ausgestattet und Jacob Hudson spielte sie jetzt ihr erstes Album „Bought to rot“ ein.
Das Schwierigste an ihrer Transition sei es gewesen, das eigene männliche Ego zu zertrümmern: „Wenn man als Mann aufgewachsen und sozialisiert ist und sein Leben dahingehend umwirft, dass man plötzlich offen als Frau leben will, muss man das männliche Ego, mit dem man aufgewachsen ist, zerstören. Für mich hat es nicht genügt, mich vor meinen Freunden zu outen, um es komplett zu zerstören. Es war eher das, was danach in mir ablief“, erklärte sie 2016 dem englischen Guardian und auch, wie kleingeistig und engstirnig die Punk-Szene gewesen sei und wie schwierig die Männlichkeitsrituale dort zu überwinden sind.
Dieses Vorhaben scheint gelungen, Laura Jane Grace gilt unterdessen selbst als eine der wichtigsten Protagonist*innen der aktuellen Punk- und Post-Punk-Szene und mit ihrem ersten Soloalbum bestätigt sie nicht nur diese Einschätzung, sie demonstriert mit überspannter Leichtigkeit, was man aus diesem Genre auch 2018 noch herausholen kann, wenn man denn kann. Und Grace kann. Dem selbstbewusst-harten Einstieg „China Beach“ folgt mit „Born In Black“ eine kleine Reminiszenz an die eigene Geschichte, die Abgründe und Wendepunkte des Lebens: „Born in black/ We‘ve only ever wanted to go back/ Born in black/ Suicide medicine/ Kill yourself to live“. Mit klassischem Drei-Akkorde-Punk haben die 14 Songs indes nicht viel zu tun – und trotzdem bekommt jedes Stück eine ordentliche Portion Rauheit und Punkschmutz ab.
Video zu „Apocalypse Now (And Later) – Quelle: Youtube
Bestes Beispiel vielleicht der großartige „Hotel-Song“, der zwei Minuten lag nach einem etwas rüden Beatles-Update klingt, auf der Zielgerade aber von Grace noch gut zusammengebrüllt wird. Wer will, kann unter den harten Rocksounds Einflüsse von Tom Petty, The Stooges oder auch Bruce Springsteen und Konsorten finden, von Aganist Me! ist der Sound sowieso nicht weit entfernt. Interessanter als dieses Referenzensuchen ist Laura Janes Graces eigener Einfluss auf ihre Songs, denn hinter all dem Trotz, dem Gebrüll und der Zerstörungsfreude liegt ein seltsames Talent, ebenso pathetische wie süße Melodien in einen Kontext einzubinden, der fern von Kitschgrenze und Radiotauglichkeit bleibt und während Against Me! sich zuletzt durchaus Richtung Stadion-Punkrock bewegten, ist Grace auf „Bought To Rot“ darauf bedacht, allen Songs gerade genug Widerspenstigkeit mitzugeben, dass sie nicht zu Ohrwürmern verkommen. Selbst eine echte Punk-Hymne wie „Reality Bites“ wirkt erst nach dem zweiten Hören und hat gerade genug Ecken und Kanten, um nicht beliebig zu werden. Und für Freunde der gepflegten Städte-Beschimpfung hat Grace mit „I Hate Chicago“ eine besondere Überraschung parat: „I hate the Cubs, the Sox, the Blackhawks and the Bulls/ I couldn‘t give a shit about the [Smashing] Pumpkins, Slint or Wilco/ Learn to make a pizza you fucking jack-offs/ Say hello back when someone says hello, you asshole/ I hate O‘Hare, I hate Midway, I can‘t stand Chicago!“
Bought To Rot ist ein echtes Hit-Album geworden, vielleicht das beste Punk-Album des Jahres.
Nicolai Hagedorn
Laura Jane Grace & the Devouring Mothers: Bought To Rot, Bloodshot Records, USA, November 2018, https://www.bloodshotrecords.com/album/bought-rot
Laura Jane Grace & The Devouring Mothers - „The Airplane Song“
https://www.youtube.com/watch?v=NJ0__vF3bUk
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