Am 13. Dezember 2018 lief auch in den deutschen Kinos der isländisch-französische Film „Gegen den Strom“ von Regisseur Benedikt Erlingsson an. Darin führt die Hauptperson Halla (Halldóra Geiharösdóttir) als individual-ökologische Aktivistin Sabotageakte gegen die Stromzufuhr für eine national bedeutsame Aluminiumproduktionsfabrik in Island durch, die kurz vor einem lukrativen Handelsabschluss mit China steht. Hallas Hauptaktionsfeld sind Sabotageaktionen gegen Hochspannungsmasten, die zur Fabrik führen.
Der skurrile isländische Hintergrund mit äußerst wenigen Menschen auf riesigem Terrain, unterbrochen nur von absurder Polizeiverfolgung durch Helikopter, durchmischt mit nahezu surrealistischen Szenen einer immer wieder überraschend im Hintergrund spielenden dreiköpfigen Musikgruppe, läßt die politische Frage ganz in den Vordergrund rücken und lädt zu Reflexionen über die Aktionsform Sachbeschädigug/Sabotage ein.
Nur am Rande wird im Film ausgeleuchtet, warum eine Aluminiumfabrik so umweltschädlich ist: Um an das Rohmaterial Bauxit zu kommen, müssen in der südlichen Hemisphäre Ur- und Regenwälder abgeholzt werden (der Transport ins kaum industrialisierte Island wirkt dann umso bizarrer); das im industriellen Prozess entstehende Abfallprodukt Rotschlamm ist mit Blei und Schwermetallen vergiftet und kann nicht weiter verarbeitet werden; das Elektrolyseverfahren zur Herstellung von Aluminium ist extrem energieaufwendig. Das wird im Film nicht umfassend genug dargestellt, für die Erörterung der zentralen Frage ist das aber zweitrangig. Es lässt höchstens die Motivation der Protagonistin als ein wenig überfanatisiert daherkommen, während es gute ökologische Gründe für ihren Widerstand gibt.
Im Zentrum des Films stehen aber Diskussionen und Begründungen für Sabotageaktionen. Und die Protagonistin begründet ihre Handlungen gegen Hochspannungsleitungen explizit als gewaltfreie Aktion. Dafür sorgen schon die Diskussionen, die sie mit Normalbürger*innen oder enfernt befreundeten Chormitgliedern im Film führt, worin sie sich nicht als die gesuchte Saboteurin zu erkennen gibt, sondern die medialen Verfälschungen über die Aktionen nur richtig stellt und argumentativ verteidigt. Dass sie sich als Gewaltfreie versteht, wird nicht nur in den Dialogen deutlich, sondern auch an der Einrichtung ihrer Wohnung, wo mehrfach an der Wand zwei übergroße Poster sichtbar werden: eines von Mahatma Gandhi, ein weiteres von Nelson Mandela – sie stehen quasi für ihre Aktionsvorbilder. Explizit verteidigt sie sich gegen den vom Staat, den herrschenden Medien und von ihren Gesprächspartner*innen immer wieder erhobenen Vorwurf, solche Aktionen seien Gewalt oder gar Terrorismus.
Der englischsprachige Originaltitel des Films ist übrigens „Woman in War“, also richtig übersetzt: Frau im Krieg. Dass für die deutsche Fassung der eigentlich falsch übersetzte Titel „Gegen den Strom“ gewählt wurde, halte ich hier einmal für durchaus produktiv, unterstreicht der Filminhalt doch das Selbstverständnis der Aktivistin, zumindest keinen physischen Krieg gegen Menschen führen zu wollen, so dass hier gar nicht erst über eine mögliche Doppelbedeutung des Begriffes „Krieg“ nachgedacht werden muss. „Gegen den Strom“ als Titel hat zudem eine sympathisch andere Doppelbedeutung: Gegen den Mainstream, also die dominierende Hauptströmung in der Gesellschaft, d.h. das kapitalistische Industriesystem – und ganz profan gegen die Stromtrassen zur Belieferung toxischer Industriebetriebe.
Mich erinnerte der Film an die Hochzeiten des Widerstands innerhalb der Anti-AKW-Bewegung in den Achtzigerjahren, besonders an die entscheidende Zeit der Kämpfe um den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf. Als die Zaunschlachten als Mittel in eine Sackgasse gerieten, setzte sich eine dezentrale Aktionsstrategie durch, zu der u.a. auch Sabotageaktionen gegen Strommasten gehörten. Damals führten sowohl Autonome wie gewaltfreie Aktionsgruppen solche Aktionen durch, allerdings mit verschiedenen Begründungen: Autonome schrieben in ihre Aktionserklärungen den Satz „Gewalt gegen Sachen ist gerechtfertigt“ (was den Unterschied Sachen-Mensch reduzierte, gegen beide wurde eben notfalls „Gewalt“ gerechtfertigt; en vogue war damals auch der Begriff „Anschlag“, der eben auch gegen Sachen wie Menschen durchgeführt werden konnte), während gewaltfreie Aktionsgruppen dieselben Aktionen als „gewaltfreie Sachbeschädigung, weil Sachen keine Gewalt erleiden können“, bezeichneten (siehe dazu etwa die Erklärung von G. Waltfrei in GWR Nr. 110). Die GWR erhielt damals sogar wegen Veröffentlichung einer solchen Erklärung ein Verfahren wegen Bildung einer „terroristischen Vereinigung“ nach Paragraph 129a. Solche Verdrehungen durch Medien und Staat werden auch im Film sehr gut thematisiert. Das Verfahren gegen die GWR wurde damals kurz vor einem Prozess eingestellt. Man konnte sich denken, dass der Staat keine mediale Aufmerksamkeit durch einen Prozess haben wollte, in dem solche Aktionen als gewaltfrei und von jedermann/frau durchführbar begründet worden wären.
Solche Reflexionen und Diskussionen bringt der Film wieder in die heutige Öffentlichkeit – und dafür müssen wir Regisseur und Schauspieler*innen dankbar sein. Im Film benutzt Halla übrigens bei einer Aktion den Sprengstoff Semtex. Das wurde in gewaltfreien Aktionsgruppen damals auch diskutiert, ob für gewaltfreie Sabotage Sprengstoff benutzt werden sollte. Die Gruppendiskussionen führten jedoch in den mir bekannten Fällen damals zu einer interessanten Unterscheidung zwischen dem handwerklichen Charakter und dem bewaffneten Charakter der Sabotageaktionen. Gewaltfreie benutzten damals fürs Strommastenfällen nur Handwerksmittel, also eine Eisensäge. Dadurch dauerte das natürlich viel länger als das Sprengen mit Semtex, wie es ziemlich detailliert im Film gezeigt wird. Die Sabotagegruppen in der Anti-AKW-Bewegung dagegen arbeiteten mit der Säge die ganze Nacht durch, bis die Strommastenstelzen abgesägt waren und der Mast fiel. Aber der Säge hing als Handwerksmittel kein Doppelcharakter an wie beim Sprengstoff. Der Sprengstoff ist sowohl ein zivil als auch militärisch einsetzbares Mittel, jedes Militär hat eine Sprengstoffkompagnie, jede Guerilla auch; die kleine Handsäge ist aber ausschließlich zivil und nicht gewaltsam nutzbar. Außer natürlich vom Psychokiller oder in Horrorfilmen. Aber da geht’s auch eher gleich um maschinelle Kettensägenmassaker, eine einfache Handsäge reicht da nicht aus für den Thrill. Doch nun sind wir weit weg von diesem sehenswerten, mit isländischem und gar nicht makabren Humor gedrehten Film.
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