Der Begriff der 'Macht' wird häufig nur im negativen Sinne verwendet. Doch im Begriff der 'Macht von unten' (vgl. Impressum der GWR) kommt schon zum Ausdruck, daß es ebenfalls einen positiven Begriff von Macht in sozialen Bewegungen gibt. Den verschiedenen Bedeutungen von Macht in gewaltfreien Bewegungen geht dieser Artikel nach. (Red.)
Gewaltfreie AktivistInnen sind Menchen, die einen unverhältnismäßigen Teil ihrer Selbst – ihres Lebens, ihrer Energie, ihres Gefühls – in den Versuch stecken, eine Situation zu verändern.
Der türkische Kriegsgegner Osman Murat Ülke, der wiederholt gefangen genommen wurde, könnte möglicherweise seiner Einberufung leise entgehen, und dabei sicherlich auch vermeiden jemanden töten zu müssen. Stattdessen nutzt er all seine Macht und die seines sozialen Umfeldes, eine Veränderung zu erreichen.
Wir wählen keine „persönliche Lösung“, sondern wir streben nach einer sozialen oder sogar universalen Lösung. Und so passiert es, daß wir beispielsweise eingesperrt werden oder manchmal ein körperliches Risiko eingehen um ein tötliches Programm zu blockieren – nur für wenige Stunden oder Minuten – und wir tun unzählige andere Dinge, die, in einem großen Zusammenhang gesehen, vielleicht gesellschaftlich nebensächlich erscheinen, die wir aber bei Gelegenheiten als eine Sache um Leben und Tod betrachten.
Gewaltfreie Aktion – sei es Ziviler Ungehorsam oder konstruktive Arbeit – zielt normalerweise darauf hin, zündend zu sein. Schließlich hoffen wir Katalysatoren für ein breiteres Empowerment zu sein, andere zu ermutigen, sich nicht wie Opfer zu verhalten, sondern sich als aktive BürgerInnen wahrzunehmen, einen Prozess zu initiieren um soziale Macht von unten neu aufzubauen.
Gewaltfreie Macht ist nicht Dominanz, es ist die.Macht zu sein und die Macht zu handeln. Sie verbindet ein persönliches Verständnis von Macht – innere Macht – mit einem Willen zur kollektiven Aktion – Macht zusammen mit – und einem Begehren bestimmte Ziele zu erreichen – Macht in Beziehung zu.
Innere Macht
Sie beginnt bei Dir selbst. Die meisten Menschen haben sich damit abgefunden, daß Ereignisse unabhängig von ihnen passieren, und die meisten haben sich auch an ihre Unterdrückung angepaßt. Was immer gewaltfreie AktivistInnen dazu führt zu rebellieren, ihre eigene innere Macht zu finden und sich auf den Weg zu machen, es kann bei anderen Menschen auf Verständnis stoßen und eine Diskussion Wert sein.
Unsere Motive können Herz und Kopf, Liebe und Haß, Frust und Hoffnung verbinden. Manchmal gelingt es Menschen einen guten Mittelweg zu finden, aber gewaltfreie AktivistInnen sind keine Engel – wir sind rebellische Menschen und wir können uns das Leben, sogar gegenseitig, sehr schwer machen. Jede Gruppe würde von einem Brainstorming zu den folgenden zwei Fragen profitieren.
- was bewegt uns, uns diesen Ärger einzuhandeln?
- warum machen wir trotzdem weiter?
Die persönliche Einstellung ist das Zentrum von Gewaltfreiheit, egal ob es Alltagsentscheidungen über eher banale Sachen wie Lebensmittel, Kleidung und Mobilität betrifft, oder einen Anlaß, wo Du Gefängnis oder mehr riskierst. Und Gelegenheiten ergeben sich, wenn wir uns genötigt sehen, eine bestimmte Aktion ungeachtet irgendeiner Kalkulation ihrer Wirkung zu ergreifen.
Trotzdem, in der Arbeit für Veränderung muß unsere innere Macht von der Macht zusammen mit begleitet sein, im Zusammensein mit anderen Menschen. es kann sonst wirklich hart sein, die innere Macht auszudrücken, ohne die Verbindung zu anderen Menschen zu haben.
Macht zusammen mit
Die Struktur von Bewegungen – und im Westen würde ich besonders die Praxis, sich in kleinen Gruppen zu organisieren hervorheben – kann eine wichtige Rolle dabei spielen, daß jedeR von uns seine/ihre Stimme findet, sein/ihr persönliches Gleichgewicht halten und den Kampf durchstehen kann. Das bedeutet den Beziehungen und Strukturen in Bewegungen Aufmerksamkeit entgegenzubringen.
Indem wir zusammenarbeiten, haben wir viele Möglichkeiten Ängste, Hemmungen und andere Blockaden zu überwinden und unsere innere Macht zu finden, aber auch das Verlangen bis an unsere Grenze zu gehen auszugleichen, indem wir uns umeinander kümmern und auf uns selber achtgeben.
In harten Zeiten – wenn wenig Grund auf Hoffnung besteht und wir uns isoliert fühlen – brauchen wir einander, um weitergehen zu können. Allgemein tendieren Bewegungen dazu einen zyklischen Charakter zu besitzen: AktivistInnen sind ausgepowert, oder andere Bereiche des Lebens müssen mehr Beachtung finden. Dies erscheint unvermeidlich, aber Bewegungen können ihren Niedergang beschleunigen, und ihr eigenes Potential verschwenden, indem sie ihre Strukturen vernachlässigen, indem sie es versäumen zur Teilnahme auf verschiedenen Ebenen zu ermutigen und indem sie es versäumen Menschen zu helfen sich in Zeiten der Veränderung umzustellen. Für viele von uns ist es auch wichtig Alternativen zum Oben-Unten der typischen konventionellen Machtmodelle aufzuzeigen.
Eine gemeinsame Identität sorgt für Zusammenhalt in der Bewegung, egal ob dies über gemeinsame Werte oder über gemeinsame Unterdrückungserfahrung geschieht. Manchmal nimmt dies äußere Erscheinungsformen an. Für InderInnen bedeutete das Tragen der handgesponnenen Kleidung – Khadi -, die Nehru als die Kleidung der Freiheit bezeichnete, ein Symbol der Einigkeit im Kampf und eine freiwillig aufgenommene Selbstdisziplin. Manchmal ist es eine Form der Selbstbehauptung. Slogans wie „black is beautiful“ oder „glad to be gay“ haben die Macht Selbstunterdrückung zu überwinden. Wenn eine Gruppe von Menschen – sei es ein Geschlecht oder eine Nation – marginalisiert werden und ihre Errungenschaften unsichtbar gemacht werden, sind ihr Bewußtsein über ihre Identität und ihre eigene Geschichte und Kultur lebenswichtig, um ihren Selbstwert zu erhalten.
Identität kann natürlich zweischneidig sein. Trotzdem, für Bewegungen, die auf einer Philosophie der Gewaltfreiheit basieren, ist Identität nicht auf Ausschließung gegründet, sondern im Zusammenbringen von Selbstachtung mit Respekt vor anderen, oder in Gandhis Worten: Arbeiten für Unabhängigkeit, während wechselseitige Abhängigkeit gehegt wird. Eine Quelle der Identität einer Bewegung kann der Weg sein, wie gearbeitet wird, die Aktionsmethoden und die Art und Weise zu organisieren, ihre Sorge dafür, einschließend und teilnehmend zu sein.
Macht in Beziehung zu
Wenn wir über die Macht zusammen mit nachdenken, müssen wir auch darüber nachdenken, mit wem und wie wir Allianzen bilden können. Für einige reicht es aus, die innere Macht mit der Macht zusammen mit zu verbinden und sich darauf zu konzentrieren die eigene Kraft auzubauen. Aber die meisten Bewegungen tendieren dazu, sich in Konflikten zu engagieren: unsere wirklichen Ziele stehen im Konflikt zu den herrschenden Machtstrukturen und zu konventionellen Einstellungen. Also hat Macht mit mit strategischen Fragen zu tun: von welcher sozialer Basis aus können Aktionen ausgehen? Wessen Unterstützung können wir für bestimmte Ziele gewinnen? Welche Stellen der Macht in der Gesellschaft sind am ehesten beeindruckbar, um Druck für Veränderung zu erzeugen?
Also, Macht in Beziehung zu bedeutet in Beziehung zu unseren Zielen und zu den dominanten Machtbeziehungen. Welchen Einfluß hat eine gewaltfreie Bewegung gegen die Politik der allgemein eingebürgerten und institutionellen Mächte? Die klassisch gewaltfreie Antwort ist darauf: die Macht einer Bevölkerung, die ihre Zusammenarbeit verweigert – und Bewegungen sollten niemals vergessen, daß Systeme regieren, weil die Menschen gehorchen. Zu der Zeit, als es noch üblicher war von einer „anderen Gesellschaft“ zu sprechen, haben wir auch davon gesprochen, den Staat überflüssig zu machen – und das ist immernoch keine schlechte Perspektive für eine konstruktive Aktion.
Welche Gültigkeiten diese klassischen Antworten auch immer innehaben, trotzdem sind sie zu allgemein für die Bedürfnisse der Bewegungen. Grundlegender sozialer Wandel kann kaum so einfach erreicht werden. Stattdessen müßte es eine Kombination der Methoden geben: Dialog ohne kleinbeizugeben, Überzeugung mit Druck, selbstorganisierter Aufbau von Alternativen mit gewaltfreiem Widerstand – und Rhythmen der Aktivität, mit ruhigen Phasen und dramatischen Höhepunkten, Risiko mit Vorsicht aufsichnehmen.
Ein strategisches Basiswissen
Hier wird es wichtig für eine Bewegung einen Sinn für die eigene Effektivität zu haben, und dieser Sinn ist am besten in einer Strategie gegründet, die gut definierte Themen und klare Ziele beinhaltet.
Ohne dieses strategische Basiswissen ist es leicht, einen Irrglauben bezüglich der eigenen Effektivität zu entwickeln:
- Aktionen und Ereignisse zu wiederholen, weil sie sich gut anfühlen, und dann zu entdecken, daß sie aufgehört haben sich gut anzufühlen, daß ein netter Kreis von Leuten kreiert wurde, die sich zwar wohlfühlen, aber die es nicht geschafft haben, etwas zu erreichen, die sich verausgaben, aber die die Situation nicht verändern können.
- Sich auf falsche Kriterien für eine Bewertung verlassen, zum Beispiel quantitative Kriterien: die Anzahl der Teilnehmenden, die Menge der Pressemitteilungen, die Kosten, die einem Gegner beigebracht wurden, die Dauer der Verzögerung, die für ein Projekt erreicht werden konnte, die dazugewonnenen Resourcen;
- Sich nur noch der Technik hinzugeben.
Allerdings gibt es auch die entgegengesetze Gefahr, den eigenen
Erfolg nicht zu erkennen. Wenn eine Bewegung ihr endgültiges Ziel noch nicht erreicht hat, bedeutet das nicht, daß sie bisher noch gar nichts erreicht hat. Eine Strategie muß untergeordnete Ziele kennzeichnen, Schritte auf dem Weg zur Veränderung.
Bewegungen sollten sich auch der Zeitspannen gewahr sein, die zwischen einer Aktion und ihrer offensichtlichen Wirkung liegen. Dies setzt eine Mikro- und eine Makro-Ebene voraus. Bewegungen können untergehen gerade dann, wenn sie ihrem Ziel am nächsten sind. Solidarnosc in Polen war ein solcher Fall; sie waren daran beteiligt ein Abbröckeln der Staatsmacht in Gang zu setzen, was dazu führte, daß das System später zusammenbrach, aber zu dem Zeitpunkt hatte die Bewegung ihre Kraft verloren.
Wie Barbara Deming feststellte, haben wir mehr Macht, als wir ahnen. Eine zentrale Rolle für Organisationen wie den War Resisters‘ International und einer Zeitung wie der Peace News ist es, uns selber und anderen die Quellen und die Wirkung gewaltfreier Macht zu enthüllen – von der Person zur Gruppe auf die gesellschaftliche Ebene. Und da können einige Kriterien wichtiger sein eine gewaltfreie Bewegung zu beurteilen, als unsere Effektivität im Entfesseln der gewaltfreien Potentiale der Gesellschaft.