Für die britische Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie zeichnet sich der Postfeminismus des Neoliberalismus dadurch aus, dass einerseits Anleihen an feministische Positionen und Errungenschaften gemacht werden, anderseits Feminismus bzw. die Frauenbewegung als obsolet zurückgewiesen wird. Diese mentale Gymnastik findet sich unter rassistischen Vorzeichen im aktuellen „Rechtspopulismus“ bzw. Rechtsnationalismus. Für Rechte ist das Ende von sexualisierter Gewalt gegen Frauen eine ernst zu nehmende politische Forderung, wenn die Gewalt sich gegen weiße Frauen richtet und von Fremden ausgeht – und zwar nur dann.
Jede feministische Forderung, die diesen rassistischen und sexistischen Deutungsrahmen des „Schutz[es] der eigenen Frauen vor den Fremden“ verlässt, wird diskreditiert und für nicht relevant erklärt. Der echte, der relevante Sexismus ist ein importiertes Problem.
Wissenschaftlerinnen wie Gabriele Dietze, Estelle B. Freedman oder Joanna Bourke haben übereinstimmend aufgezeigt, dass historisch gewachsene und politisch umkämpfte Vorstellungen über Herkunft und Hautfarbe beeinflussen, wer als bedrohlicher Vergewaltiger imaginiert und wer als Opfer übersehen wird. Die feministischen Kämpfe gegen sexualisierte Gewalt seien besonders dann an die Mehrheitsgesellschaft und Politik anschlussfähig gewesen, wenn es darum ging, weiße Frauen vor schwarzen bzw. fremden Tätern zu schützen.
Die rechtsnationalistische Instrumentalisierung von tatsächlichen und angeblichen Sexualstraftaten durch Geflohene sind so anschlussfähig an die Mehrheitsgesellschaft, weil auch jenseits des rechten Randes eine „Ethnisierung von Sexismus“ stattfindet. Yasemin Shoomann zeigt in ihrer Dissertation „… weil ihre Kultur so ist: Narrative des antimuslimischen Rassismus“, dass sich antimuslimischer Rassismus durch das Anknüpfen an emanzipativen bzw. feministischen Diskursen auszeichnet. Dabei stehen sich die stereotypen Figuren der unterdrückten Muslimin mit Kopftuch und des gefährlichen, (sexuell) übergriffigen Muslims gegenüber. Die Ursachen dafür werden in einer als einheitlich postulierten islamischen Kultur bzw. Religion verortet.
Diese Ethnisierung von Sexismus dient gleichzeitig dazu, Feminismus jenseits eines rassistischen Deutungsrahmens zu verwerfen. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist ein Tweet von André Poggenburg (Aufbruch deutscher Patrioten, ehemals AfD) im Januar 2018: „Völlig richtig, die #metoo-Kampagne ist zu einer reinen Farce verkommen. Nur noch peinlich und überflüssig. Als ob es keine wirklichen Probleme gibt, wie bspw. tägliche sexuelle Übergriffe durch sog. Flüchtlinge!“
Die rechte Gruppierung „Identitäre“ startete dieser Logik folgend ihr eignes #metoo – die Internetkampagne „120 Dezibel“. 120 Dezibel deshalb, weil es die Lautstärke eines handelsüblichen Taschenalarms, den viele europäische Frauen angeblich mittlerweile mit sich trügen, sei. Die Kampagne bedient sich unter rassistischen Vorzeichen an feministischen Forderungen und weist Feminismus gleichzeitig zurück.
Im Video berichten Frauen über (sexualisierte) Gewalt, die Frauen alltäglich widerfahre und die mit ihrer Erfahrung nicht ernst genommen werden. Laut Polizeistatistik wurden 2016 149 Frauen von ihrem jeweiligen Partner ermordet oder totgeschlagen – davon ist hier nicht die Rede. „Wir stehen bald einer Mehrheit von jungen Männern aus archaischen, frauenfeindlichen Gesellschaften gegenüber.“, warnt eine der Frauen, „Wir sind nicht sicher, wenn ihr uns nicht schützt“, eine andere. So ist der (vermeintliche) Anti-Sexismus auch ganz zentral ein Rollenangebot für Männer, sich als „Beschützer“ ihrer Frauen zu fühlen. Björn Höcke (AfD) appellierte auf dem AfD-Parteitag Ende November 2015: „Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken. Denn nur, wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft.“ Entsprechend sind nur weiße, junge, schlanke Frauen zu sehen, die allesamt in das Bild der „radikal femininen“ Frau passen, das von den Identitären u.a. propagiert wird. „Schützenswert“ sind nur bestimmte Frauen. Feminismus wird in dieser stereotypen Bildsprache durch die Überbetonung des Femininen abgelehnt. Dass auch Feministinnen „schön“ sein können, sich schminken oder lange Haare haben können, daran musste Margarete Stokowski erinnern. (1)
Dieser rassistische Postfeminismus ist allerdings kein genuin rechtes Phänomen. Poggenburgs Tweet bezog sich auf einen Artikel von Focus Online. Er ist ebenfalls keine männliche Angelegenheit – im Gegenteil. 2012 brachte die ehemalige Familienministerien Kristina Schröder (CDU) das Buch „Nein Danke! Emanzipiert sind wir selbst“ heraus. Nach der Silvesternacht in Köln forderte sie, dass „gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen“ im Islam diskutiert werden müssen. 2017 wiederum mahnte sie im Interview, auf #metoo angesprochen, es mit dem Anti-Sexismus nicht zu übertreiben, schließlich wolle sie nicht in einer „komplett sterilen Arbeitswelt leben, in der sich Männer und Frauen wie rohe Eier behandeln. […] Dafür ertrage ich auch gerne, wenn mal ein Spruch danebengeht“ (2) 2018 sagte sie in einem Interview mit der Bild-Zeitung nach dem Bekanntwerden eines Mordfalls einer 14-jährigen durch einen Geflohenen: „Man muss aber klar sagen, dass unter 1000 muslimischen Männern eine höhere Gewaltneigung vorhanden ist als unter 1000 nicht muslimischen Männern mit dem gleichen sozialen Hintergrund.“ Die Politik müsse sich klar „bewusst machen, dass christliche Zuwanderer leichter zu integrieren sind als muslimische Zuwanderer“. (3)
Dieses Muster findet sich auch bei ihrer Partei-Kollegin Julia Klöckner. 2016 schickte die CDU-Politikerin Klöckner Grußworte an die Abtreibungsgegner*innen-Demonstration „Marsch für das Leben“ und forderte „konsequenten Lebensschutz in allen Bereichen“. Gerade das ungeborene Leben brauche eine Lobby. Ein vorbehaltloses Asyl für schwangere Geflohene hat sie nicht gefordert. (4) 2018 erschien ihr Buch „Nicht verhandelbar. Integration nur mit Frauenrechten“.
2016 wurde die umfassende Verschärfung des Asylrechts, das sogenannte Asylpaket II, verabschiedet. Zülfukar Çetin verweist darauf, dass die Debatte um die Silvesternacht in Köln maßgeblich zur Verabschiedung und Legitimation dieser Gesetze beitrug. Es sei leichter, Menschen zurück in Armut, Hunger, Elend und Krieg zu schicken, wenn sie als „archaische Männerhorden“ statt als schutzsuchende Opfer innerhalb einer humanitären Katastrophe gezeichnet werden (5). Im selben Jahr wurde hingegen der Antrag der Fraktion Die Linke abgelehnt, der forderte, Sexismus „die rote Karte zu zeigen“. Der linke Aktionsplan sah unter anderem Maßnahmen der geschlechtersensiblen Pädagogik wie bundesweit abrufbare Angebote zur schulischen Weiterbildung und Projekte der Jugendhilfe, um Rollenklischees frühzeitig aufzubrechen, Maßnahmen im Bereich der medialen Darstellung, eine dezentrale Unterbringung von Geflüchteten und eine bedarfsgerechte und bundeseinheitliche Finanzierung des gesamten Hilfe- und Schutzsystems für von Gewalt betroffene Frauen, gleichgültig welchen Aufenthaltsstatus sowie Fortbildungen von Polizei und Justiz zum Umgang mit Betroffenen sexualisierter Gewalt vor. Anders als die Einschränkung des Menschenrechts auf Asyl, hätte der Aktionsplan gegen Sexismus tatsächlich gegen Sexismus geholfen. Er setzt beim sexistischen Alltag an und bezieht sich auf alle Frauen. Im Gegensatz zur konservativen Variante des rassistischen Postfeminismus.
„Wenn im Jemen eine Frau nicht alleine aus dem Haus darf, in Nigeria Mädchen wie Vieh verkauft werden oder in Syrien und Ostanatolien minderjährige Mädchen von ihren Familien verheiratet werden, dann will ich Protest hören.[…] Das sind die wirklichen Probleme. Wir müssen genau darauf achten, dass wir diese Probleme nicht in unser Land importieren“, führte Silva Pantel (CDU) in ihrer Rede zur Abstimmung aus. (5) Eben weil Sexismus kein alltägliches, sondern ein importiertes Problem sei, können Maßnahmen, die beim alltäglichen und strukturell verankerten Sexismus ansetzen, als „Ideologie, Bevormundung und Umerziehung“ diskreditiert werden. „Ich sage, wir müssen solchen Anträgen wie dem Ihren die Rote Karte zeigen, damit nicht mehr relativiert wird, damit Geld nicht mehr in absurde Gender-Mainstreaming-Projekte fließt, damit vielmehr Opfern geholfen wird, damit Täter verfolgt und damit Frauen gefördert werden.“
Die zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser wies im März 2018 darauf hin, dass in drei Bundesländern kein einziger freier Frauenhausplatz zu finden war. Wäre 2016 anders abgestimmt worden, wäre es wahrscheinlich nicht zu dieser Situation gekommen.
Anna Schiff
Anna Schiff hat in Bochum und Istanbul Geschichte und Gender Studies studiert. Von 2011 bis 2018 war sie Redakteurin bei WIR FRAUEN – Das feministische Blatt. Für die Rosa-Luxemburg Stiftung hat sie die Broschüre „Ist doch ein Kompliment. Behauptungen und Fakten zu Sexismus“ verfasst.
Anmerkungen:
4) https://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/ungeborenes-leben-braucht-eine-lobby
6) Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 179. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 23. Juni 2016