Buchbesprechung

Die scheinbar natürlichste Sache der Welt

Nicht nur Frauen können schwanger werden

| Antje Schrupp

Alisa Tretau (Hg): Nicht nur Mütter waren schwanger. Unerhörte Perspektiven auf die vermeintlich natürlichste Sache der Welt. Edition Assemblage, Münster 2018, 162 Seiten, 14 Euro, ISBN 978-3-96042-041-5

Schwangerschaft und Geburt gehören sicherlich zu den verkitschtesten sozialen Begebenheiten. Einerseits ist es eine einfache biologische Tatsache, dass neue Menschen nur auf die Welt kommen können, wenn sie im Bauch einer anderen Person neun Monate lang wachsen. Andererseits ist dieses Phänomen merkwürdig doppelbödig, nämlich in seinen normierten Varianten unglaublich sichtbar und präsent, in seinen aus der Norm fallenden Varianten hingegen beinahe tabuisiert.

Alisa Tretau (Hg): Nicht nur Mütter waren schwanger, Edition Assemblag, Münster 2018

Fröhliche Babys, die zu jungen, meist blonden, immer aber heterosexuellen Paaren gehören, bevölkern die Werbung, das Kino, die Literatur, die Klatschspalten. Wenig sichtbar ist hingegen die Tatsache, dass in manchen Ländern bereits bis zu vier Prozent aller Kinder heute bereits durch In-Vitro-Fertilisation gezeugt werden. Oder das Leid der Menschen mit Kinderwunsch, die trotz aller Versuche nicht schwanger werden. Oder die Herausforderungen, die sich auftun, wenn sich herausstellt, dass ein Fötus vielleicht mit einer schweren Behinderung zur Welt kommen würde. Die Trauer nach einer Fehlgeburt. Die Hindernisse, die Menschen in den Weg gelegt werden, die nicht in den üblichen und sozial akzeptierten Familienkonstellationen leben wollen. Und so weiter.

Dieser Sammelband dokumentiert zahlreiche subjektive Erfahrungen mit dem Thema, teilweise auch in Form von Interviews oder Protokollen. Die Stärke dieser vielfältigen Perspektiven ist es, von dem jeweiligen persönlichen Erleben auszugehen und das Thema „Kinderkriegen“ nicht auf einen Nenner bringen zu wollen, sondern es als subjektive Erfahrung zu erzählen. Es kann nämlich von der einen so, von dem anderen anders und von der dritten wiederum noch ganz anders erlebt werden – je nach Umfeld, je nach Kontext je nach Möglichkeiten, aber eben auch je nach eigener Persönlichkeit und je nach eigenem Begehren.

Und dann ist da noch die Verknüpfung von Schwangerwerdenkönnen mit Weiblichkeit. Dass in der traditionellen Logik „nur Frauen“ schwanger werden können, ist wohl einer der Gründe dafür, dass das Thema bislang nicht als politisches erkannt wird – außer es geht um Abtreibungsverbote. Dass es vielmehr als „Privatsache“ gilt, wie eben alles, was „nur“ mit Frauen zu tun hat. Der Hinweis des Buchtitels, dass dieses Thema auch nicht-weibliche Geschlechter betrifft, bezieht sich daher nicht nur auf die Tatsache, dass „Menschen mit Uterus“ und „Frauen“ nicht dasselbe sind. Es hat auch nicht nur den Zweck, schwangere trans Männer oder nicht binäre Menschen einzubeziehen und so eine queere Leser*innenschaft anzusprechen. Sondern dass „nicht nur Mütter schwanger waren“ (sondern auch Männer, auch richtige, normale Menschen quasi) verschafft dem Thema des Buches auch eine Legitimation und Allgemeingültigkeit, die es nicht hätte, wenn es „nur“ um Frauen ginge.

Ich selbst bemerkte diese Dynamik zum Beispiel, als ich den Erfahrungsbericht des langzeitstillenden trans Mannes Julien las. Er empfindet sich nicht als „Mutter“, weil dieses Wort für ihn weiblich konnotiert ist, möchte deshalb auch nicht von „Muttermilch“ sprechen und benutzt stattdessen das Wort „Brustmilch“. Beim Lesen merkte ich, wie sich durch den geschlechtsneutralen Begriff meine innere Vorstellung vom Vorgang des Stillens veränderte. Im Unterschied zu dem Wort „Muttermilch“ lenkt „Brustmilch“ die Aufmerksamkeit nämlich nicht auf das Geschlecht der Milch gebenden Person, sondern auf das dabei involvierte Körperteil. Man denkt unweigerlich darüber nach, ob Brustmilch Vor- oder Nachteile hat im Vergleich zu Kuhmilch oder Flaschenmilch, und nicht – wie beim Begriff „Muttermilch“ – darüber, ob Kinder besser von ihren Müttern oder von anderen Personen gestillt werden sollen, und ob Weiblichkeit in dem Zusammenhang ein relevanter Faktor ist.

Es mag also zwar stimmen, dass die überwältigend große Mehrheit aller Menschen, die schwanger werden, tatsächlich Frauen sind. Und es gibt viele Kontexte, in denen eine „Geschlechtsneutralisierung“ des Sprechens darüber reale Verhältnisse verschleiern würde: So richten sich etwa Abtreibungsverbote gegen die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen, und nicht von „Menschen mit Uterus“. Es äußern sich dabei dezidiert frauenfeindliche Ordnungen; dass auch nichtweibliche Geschlechter betroffen sind, ist sozusagen ein Kollateralschaden. Von daher ist es auch verständlich, dass manche Feministinnen befürchten, dass man dem Thema nicht gerecht wird, wenn man die den entsprechenden Kontroversen eingeschriebene Geschlechtsbezogenheit nicht benennt.

Im Politischen andererseits hat es der gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung darüber in der Vergangenheit mehr geschadet als genutzt, dass Schwangerwerden und Gebären als genuin „weibliche“ Erfahrung galt. Es muss vielleicht keine schlechte Sache sein, wenn wir uns an den Gedanken gewöhnen, dass nicht nur „Frauen“ schwanger werden können, sondern generell Menschen. Nur halt nicht alle.

Antje Schrupp