Filmreview

Klischee-Gags und Fremdschämen

Neu im Kino: Vorhang auf für Cyrano

| Jakob Heier

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Ein Mann mit einer Vision (Thomas Solivérès) und die skeptischen Geldgeber (Simone Abkarian und Marc Andreoni). © 2019 PROKINO Filmverleih GmbH

Der Film erzählt die Geschichte hinter der Entstehung des Theaterstücks Cyrano de Bergerac, welches im Jahr 1897 von dem französischen Theaterschriftsteller Edmond Rostand (1868 – 1918) geschrieben wurde.

Bild-ID: VAC© 2019 PROKINO Filmverleih GmbH

Das moderne Paris, 1895. Der junge Theaterschriftsteller Edmond Rostand hat mit seinen zu übermäßig romantischen Ausdrücken neigenden Stücken kaum Erfolg. Seine junge Familie braucht allerdings das schnöde Geld, um im schönen Paris (über-)leben zu können. Ganze zwei Jahre später leidet Rostand noch immer an mangelnder Inspiration zu einem echten Erfolgsstück. Durch eine alte Bekannte wird er dem bekannten Schauspieler Constant Coquelin vorgestellt, der ein Theaterstück mit sich selbst in der Hauptrolle in Auftrag gibt – und dies mit nur einer kurzen Frist.

Rostand ist in der Zwickmühle, denn er hat nur wenig Zeit und keine Idee, braucht den Auftrag, um die Familie zu ernähren. Schließlich findet er als Ghostwriter für die Liebeserklärungen seines Freundes Leo an die schöne Jeanne in dieser eine Muse und somit zurück in die kreative Spur. Er schreibt das Stück Cyrano über den im Gesicht entstellten (eine zu groß geratene Nase!) Helden Cyrano de Bergerac, der für seinen gutaussehenden, aber einfach gestrickten Freund Briefe schreibt, die für die – von beiden – auserwählte Herzensdame Roxane bestimmt sind. Das Stück wird fortwährend geändert und entsteht noch während das Schauspielerensemble die bereits fertigen Akte probt. Es kommt zu allerhand Durcheinander, Verwechslungen und am Ende einer illustren und ganz besonderen Premierenvorstellung.

Trailer zu „Vorhang auf für Cyrano“ – Quelle: Youtube

Die französische Produktion Cyrano zeigt die durch verschiedenste Hindernisse erschwerte Entstehung des Werkes Cyrano de Bergerac, welches laut den Produzenten das bis heute am häufigsten in Frankreich aufgeführte französische Theaterstück ist. Alexis Michalik übernahm sowohl die Regie als auch das Drehbuch. Zudem übernahm der Franzose auch eine Nebenrolle.  Cyrano überzeugt als Film mit tollen Kostümen und einigen interessanten Einblicken hinter die Kulissen eines historischen Theaters. Einige Szenen werden direkt auf der Bühne inszeniert, sodass die Zuschauer ein Gefühl dafür bekommen, auf statt vor der Bühne zu sein. Leider sind dies auch schon die wenigen positiven Eindrücke von Cyrano, die Haupthandlung ist höchstens rührend harmlos. Wer allerdings mehr als nur oberflächlich angekratzte Gesellschaftsfragen aus der Zeit um die Jahrhundertwende des ausgehenden 19. Jahrhunderts erwartet, wird enttäuscht. Denn brisante und interessante Themen wie Rassismus, Sexismus und soziale Ungerechtigkeiten werden nur am Rande und mainstreamtauglich touchiert. Da wäre beispielsweise die einzige person of colour mit Sprechrolle, der Barbesitzer Monsieur Honoré, welcher zu Beginn des Films einen ihn abschätzig „Neger“ nennenden Gast nach einem kurzen poetischen Intermezzo aus dem Lokal wirft – und das unter dem staunenden Beifall der weiteren Gäste.

Auch wenn die Geste an sich geradezu romantisch inszeniert ist, fehlt es im Nachgang dann doch an der Tiefe oder dem Willen, über den damaligen und sicher auch heute vorhanden strukturellen Rassismus gegenüber Nachkommen der kolonisierten Menschengruppen zu sprechen. Mit einem sanften Fußtritt aus der Tür wird die Menschheit den Rassismus leider nicht aus der Gesellschaft entfernen können.

Es bleibt die einzige Szene in dieser Richtung.  Die im Film mitwirkenden Frauenrollen entsprechen auch eher vormodernen Rollenklischees. So gibt es die schöne und umsichtige, aber dennoch mit der Poesie der Seele „eroberte“ Jeanne, die beiden divenhaften Altstars Sarah und Maria und die eifersüchtige Ehefrau Rosemonde. Ganz zu schweigen von den immer fröhlich kichernden Huren aus dem Bordell der Filmproduzenten. Jene Huren haben dann auch die zweifelhafte Ehre, den verstockten Sohn des Hauptdarstellers zu einem „richtigen Mann zu machen“, ihn also zu verführen. Die meisten dargestellten Männer kümmern sich ganz standesgemäß darum, wie sie eine Frau am besten von sich und ihrer Liebe überzeugen können.

Der Mann, der für seine große Nase berühmt werden wird – Constant Coquelin (Oliver Gourmet) gibt den Cyrano. © 2019 PROKINO Filmverleih GmbH

In einer weiteren Szene erreicht der für Jeanne nicht sichtbare Leo durch Schmeicheleien (Einflüsterungen Edmont’s) sein Ziel und die Angebetete lässt ihn einen Balkon für einen ersten Kuss erklimmen. Oben angekommen stürzt der sich auf die erstbeste anwesende Person, welche nun aber der zwischenzeitlich herausgekommene Chef von Jeanne ist. Der unfreiwillige und innige Kuss zweier Männer – endet in diesem Film damit, dass beide erschrocken zurückweichen und Leo sogar einen metertiefen Sturz zum schnellstmöglichen Rückzug in Kauf nimmt. Ein auf sexuellen Klischees aufgebauter Gag, Fremdschämen für die Zuschauer inklusive.

Etwas sensibler geht der Film auf die chronische Geldknappheit der Protagonisten aus der Theaterbranche ein. So zeigt „Vorhang auf für Cyrano“ beruflichen Misserfolg, welcher sich auch als wirtschaftliche Belastung darstellt, einen Star, welcher von Geldeintreibern zum Spielen „genötigt“ wird, sowie vom Ensemble nicht unbedingt gewollte, jedoch notwendige Produzenten, die das ganze Stück erst möglich machen.  Diese aufschlussreichen Beziehungen zwischen Geldgebern- und Empfängern und die gelungene Darstellung des Archetypen eines Ghostwriters alleine verändern nicht das Gesamtbild dieser netten aber harmlosen französischen Komödie.

Vorhang auf für Cyrano - Spielfilm Frankreich 2019 - Regie: Alexis Michalik - mit Thomas Solivérès, Olivier Gourmet, Mathilde Seigner - 112 Minuten - ab 20. März im Kino

 

Dies ist ein Beitrag der Online-Redaktion. Weitere Besprechungen von Büchern, Filmen und Musik finden sich in der Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.